Mund zu, Augen auf

Der Nigerianer Marcus Omofuma starb während seiner Abschiebung aus Österreich

"Es dürfte so gewesen sein, daß die Beamten nicht erkannt haben, wann das Randalieren des Schubhäftlings zum Todeskampf wurde." Die Frage, wann die Randale aufhört und der Exitus beginnt, konnte auch Wiens Polizeipräsident Peter Stiedl am vergangenen Wochenende in einem ORF-Interview nicht erschöpfend erklären. Das Ergebnis dieser medizinischen Unkenntnis jedenfalls beschäftigt derzeit Österreichs Politik.

Am 1. Mai wurde der Nigerianer Marcus Omofuma von drei Beamten in ein Flugzeug der "Balkan Air" nach Sofia gesetzt. Angeblich, weil sich der 25jährige Flüchtling gegen seine Abschiebung aus Österreich wehrte, fesselten ihn die Fremdenpolizisten an Händen und Füßen, fixierten ihn mit Klebeband am Sitz und klebten ihm den Mund zu. Kurz nach der Landung der Maschine in Sofia bemerkten die drei beamteten Begleiter, daß Omofuma verdächtig reglos in seinem Sitz verharrte. Er war erstickt.

Eine Obduktion durch die bulgarischen Behörden ergab, daß Omofuma an Bronchitis gelitten hatte. Selbst Polizeipräsident Stiedl mußte zugeben, daß Omofuma in der Abschiebehaft in ärztlicher Behandlung war und einschlägige Medikamente bekam.

Der nicht gerade mit Charisma gesegnete österreichische Innenminister Karl Schlögl setzte sogleich zum bewährten Krisenmanagement an: Er habe nicht gewußt, daß Abschiebehäftlingen im Flugzeug ab und zu der Mund verklebt werde und sei grundsätzlich gegen solche Methoden. Den Trick mit der Unwissenheit wendet Schlögl immer an, wenn seine Polizei in vergleichbaren Fällen Killerinstinkt beweist. Anderen Politikern wird bei solcher regelmäßig auftretenden Überforderung gerne der Rücktritt nahegelegt, doch Schlögls Outing als inkompetenter Ressortchef dient ihm als politischer Schutzschild.

Zwar wird der im Geiste rechtsextremen Tendenzen nicht immer abholde sozialdemokratische Schlögl auch diesmal nicht zurücktreten müssen: Er kann sich trotz angekündigter Mißtrauensanträge der Opposition der Unterstützung in der Koalition sicher sein und wird im Amt bleiben. Die österreichischen Sozialdemokraten argumentierten denn auch, daß nur Schlögl eine schonungslose Aufklärung des Vorfalls garantieren könne.

Was angesichts der Täuschmanöver der Polizei wenige Tage nach dem "Unfall" ziemlich unwahrscheinlich ist: Die Beamten hatten in ihren Berichten aus Sofia angegeben, der Nigerianer habe sich derart gewehrt, daß der Pilot der Maschine gebeten habe, ihn zu knebeln. Doch der Pilot bestritt, von Handgreiflichkeiten oder lautstarken Auseinandersetzungen überhaupt etwas bemerkt zu haben und gab an, es habe eigentlich keine außergewöhnlichen Vorfälle gegeben. Auch der Sprecher des Wiener Flughafens, Hans Mayer, widersprach der Version der Polizisten: Omofuma habe auch beim Einsteigen in die Maschine nicht randaliert.

Die verantwortlichen Polizisten werden den "bedauernswerten Vorfall" bald vergessen können: Sie wurden lediglich einige Tage lang in Sofia festgehalten, um dem Untersuchungsrichter zur Verfügung zu stehen. Am vergangenen Freitag schließlich mußten sie vor einem österreichischen Gericht aussagen. Innerhalb der Wiener Fremdenpolizei wurden sie in eine andere Abteilung versetzt - eine Maßnahme, die laut Polizeidirektion als "Schutzfunktion" dienen soll, weil die drei Klebeband-Experten "unter enormer Anspannung" stünden.

Gedeckt wird die Polizei und Schlögl natürlich auch vom immer lächelnden österreichischen Bundeskanzler Viktor Klima. In der Öffentlichkeit befand es der Regierungschef bisher nicht einmal für nötig, überhaupt zu dem Vorfall Stellung zu nehmen. Während eines Gespräches mit Schlögl sicherte Klima seinem Vollstrecker allerdings jede Unterstützung zu.