Bomben, Pußta, Paprika

Während die Regierung in Budapest sich zunehmend um die ungarische Minderheit in der Vojvodina sorgt, werden Stimmen für eine Unabhängigkeit der jugoslawischen Provinz lauter

Wenn dereinst einmal die Nato den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic aus dem Kosovo gebombt haben wird, warten auf die Regierung in Belgrad schon die nächsten Probleme: Als wäre der Westen doch etwas pikiert von der zeitweiligen Erfolglosigkeit der Nato-Luftangriffe auf Jugoslawien, möchten die Staatskanzleien zwischen London und Rom nach dem Ende des Kosovo-Abenteuers eine Balkan-Konferenz installieren. Da soll dann die widerspenstige Region Europas endgültig befriedet werden.

Eine Schlüsselrolle kommt dabei Ungarn zu, das - seit wenigen Monaten Nato-Mitglied - nun seine eigenen Probleme mit dem Militärschlag gegen Jugoslawien hat. Denn in der jugoslawischen Provinz Vojvodina leben rund 350 000 Ungarn - etwa 17 Prozent der Bevölkerung - und fühlen sich zunehmend unbehaglich in Jugoslawien. Sie haben doppelt unter den Luftangriffen der Nato zu leiden: Neben der Gefahr aus dem Himmel droht nun auch ein Konflikt mit dem jugoslawischen Staat. Angeblich kommt es vor, daß Ungarn aus den Luftschutzkellern der Vojvodina geworfen werden. Die Serben in der Vojvodina haben ihre Sympathie für die ungarischen Landsleute verloren, seit auch aus Ungarn Angriffe geflogen werden.

Zu um so vorsichtigerem Handeln sieht sich die Regierung in Budapest genötigt. Ungarns Außenminister Janos Martonyi schloß vor einigen Wochen definitiv aus, daß ein eventueller Bodenkrieg von ungarischem Territorium aus gestartet werden könnte: "Auch bei einer möglichen Änderung der Strategie könnten wir unser Staatsgebiet nicht zur Verfügung stellen", so Martonyi. Doch auch ohne Änderung der Strategie - also bei einer Beibehaltung der Luftangriffe - versucht Ungarn, sich leise durch die Wirrungen des Krieges hindurchzulavieren: Ungarns Flughäfen sind für Nato-Angriffe offen und auch die ursprünglich für die Sfor-Truppen gegründete Basis in Kaposzvar ist in die Kriegsaktivitäten integriert.

Mit einiger Verwirrung allerdings mußten die ungarischen Politiker feststellen, daß die Flugzeuge, die derzeit auf ungarischem Staatsgebiet stationiert sind, vor allem Ziele in der benachbarten Vojvodina angreifen. Janos Martonyi bittet die Nato-Verantwortlichen seit Wochen, die Wohngebiete der Ungarn nicht mit dem üblichen Bombenhagel zu belegen: "Wir ersuchen die Nato immer um eine Schonung ziviler Ziele in der Vojvodina - mit deren totaler Entlastung aber würde man den serbischen Kräften eine Zuflucht bieten", schränkt Martonyi seine Forderung ein.

Die letzten sieben Wochen des Krieges gegen Jugoslawien haben gezeigt, daß die Nato die Wünsche des neuen Mitgliedes Ungarn vor allem ignoriert. Da ist es nicht weiter erstaunlich, daß ein Teil der 350 000 Ungarn in der Vojvodina inzwischen nach Budapest und Umgebung flüchte.

Hier tummeln sich alle, die das Chaos in Jugoslawien nicht mehr ertragen können. Aber es tummeln sich hier auch all jene, die den Konflikt nützen, um politisches Kapital daraus zu schlagen. Wie etwa der rechtsextreme ungarische Politiker Istvan Csurka, Chef der Partei des ungarischen Weges. Er fordert schon jetzt, die Grenzen in Richtung Süden zu verschieben und die Nord-Vojvodina dem ungarischen Staatsgebiet einzuverleiben.

Aber auch Zsolt Lanyi, Vize-Vorsitzender der rechtsnationalen "Kleinlandwirte", eine der beiden kleineren Koalitionsparteien in der Regierung, hatte vergangene Woche verlangt, im Rahmen einer großen Balkan-Friedenslösung die Vojvodina von Jugoslawien abzulösen. Zumindest aber solle das Gebiet eine weitgehende Autonomie, etwa nach dem Vorbild Südtirols, erhalten.

Die Mehrheit in der Regierung unterstützt zwar die Forderungen nach einer Selbstverwaltung. Und sie verlangt, daß die jugoslawische Provinz bei einer künftigen Friedensregelung ebenso wie das Kosovo unter eine internationale Aufsicht gestellt werden muß. Doch Spekulationen über eine Unabhängigkeit hält die national-konservative Regierung in Budapest derzeit für recht gefährlich. Denn Slobodan Milosevic gerade jetzt zu reizen, könnte zum - von der Nato stets ausgeschlossenen - Flächenbrand führen und den Krieg auf die nördlichen Nachbarländer Jugoslawiens ausweiten.

Die Parallelen zwischen dem Kosovo und der Vojvodina sind offensichtlich: So wie die derzeitige Kriegsprovinz hat auch die Vojvodina 1989 auf Betreiben Slobodan Milosevics die Autonomie verloren. Lediglich an der nötigen Verklärung der Vojvodina als serbisches Kernland müßte Milosevic noch arbeiten.

Auch die Ungarn arbeiten zumindest schüchtern an der Reanimierung des eigentlich nicht mehr aktuellen Vojvodina-Problems. Der Exil-Jugoslawe ungarischer Herkunft Tibor Varady etwa grübelt in Budapest öffentlich darüber nach: "Das Problem muß jetzt gelöst werden", meint Varady. Sein Wort hat durchaus Gewicht: 1993 war er Minister in der jugoslawischen Regierung.

Die derzeitige ungarische Regierung von Premier Viktor Orban macht die Behandlung des Themas Vojvodina und die Intensität der Kooperation mit der Nato besonders von einem Faktor abhängig: Wichtig für die Ungarn ist, ob die jugoslawischen Behörden auch die Angehörigen der ungarischen Minderheit zum Wehrdienst zwingen. Bisher zumindest zeigt sich das Milosevic-Regime in diesem Punkt einsichtig und übergeht die jungen ungarischen Männer wenigstens teilweise bei der Rekrutierung. Hintergrund dieser Entscheidung aber ist auch, daß man in Belgrad inzwischen nicht mehr so ganz von der Zuverlässigkeit ungarischer Wehrpflichtiger überzeugt zu sein scheint. Und für deren serbische Leidensgenossen bietet Ungarn Zuflucht: Die Behörden des Landes nehmen Deserteure aus der jugoslawischen Armee auf, und solange der Krieg im Kosovo anhält, werden die nicht abgeschoben.

Für die Nato hingegen ist die Stimmung in Ungarn eher ungemütlich. Vor einem Jahr noch stimmten knapp 90 Prozent der wahlberechtigten Bevölkerung für den Beitritt zum westlichen Militärbündnis, doch wegen der Malaise im Kosovo regt sich Unmut. Immer weniger Ungarn können verstehen, warum die Regierung sich mit der Nato um die Albaner im Kosovo kümmert, während die eigenen Landsleute in der Vojvodina in Gefahr geraten.

Sogar von Ex-Premier Gyula Horn wurde der Nato-Beitritt als notwendig angesehen, um das Land zu schützen. Nun hat die Nato Krieg in der Nachbarschaft gebracht. Für eine Entspannung aber sorgt auch der sozialistische Ex-Premier nicht. Er ist es, der im Budapester Parlament recht umtriebig für eine Wiederauflage der Vojvodina-Debatte trommelt. Vielleicht hoffen Horn, Csurka und Co., daß die Nato in Zukunft auch für die Ungarn in der Vojvodina fliegt. Bombenangriffe ist man ja dort inzwischen gewohnt.