Bündnis für Niedriglöhne

Kanzleramtsminister Bodo Hombach möchte die Sozialbeiträge von McJobs subventionieren, um diese in großem Stil einzuführen

Wären die Löhne so niedrig wie die Mieten, bräuchte sich niemand mehr einen Kopf um solche kompliziert klingenden Dinge wie das "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" zu machen. Denn wären die Löhne so niedrig wie die Mieten, gäbe es - so die gängige Argumentation - auf einmal so viele neue Arbeitsplätze, daß niemand mehr eine Wartemarke auf dem Arbeitsamt ziehen oder einen Termin beim Sozialamt einhalten müßte. Vor allem gering Qualifizierte hätten wieder die Chance, die Brötchen selber zu verdienen, wären ihre Löhne so niedrig wie die Mieten.

Und Kanzleramtsminister Bodo Hombach, für die Bundesregierung Vertreter beim Bündnis, das Anfang Juli in die nächste Runde geht, könnte die dringend benötigten Erfolge verkünden: Die Regierung habe die Arbeitslosigkeit spürbar gesenkt. Da aber die Löhne noch nicht so niedrig sind wie die Mieten, mußte sich Hombach ins Zeug legen. In der vergangenen Woche präsentierte er ein Konzept, dessen Verwirklichung die bisherige Arbeits- und Sozialordnung der Bundesrepublik grundlegend verändern würde.

Das Modell, das Hombach vom Direktor des Kölner Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, Wolfgang Streeck, und dem Bochumer Sozialwissenschaftler Rolf Heinze ausarbeiten ließ: Im Niedriglohnbereich sollen die Arbeitseinkommen gänzlich von den Sozialabgaben befreit werden. Bis zu einem Bruttolohn von 1 500 Mark würden also die Zahlungen an die Arbeitslosen-, Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung, die von Unternehmen und Beschäftigten je zur Hälfte getragen werden, vom Staat übernommen werden. Bis zu einem Bruttolohn von 2 800 Mark würden dann die Sätze auf die heute geltende Höhe steigen. Ganz nebenbei würde auch das Problem mit den 630-Mark-Jobs entfallen; diese würden einfach in einem vergrößerten Niedriglohnsektor aufgehen.

Das Problem: Diese Subvention von Unternehmern dürfte den Staat ziemlich teuer zu stehen kommen. Das Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet mit einem zweistelligen Milliardenbetrag. Finanziert werden könnte dies, so Streeck, unter anderem durch harte Einsparungen bei der aktiven Arbeitsmarktpolitik. Vom Gärtner zum Schuhputzer: Wer heute noch in einer halbwegs angemessen bezahlten Arbeitsbeschaffungsmaßnahme steckt, könnte sich morgen schon als Niedriglöhner wiederfinden.

Doch wenn es um Arbeit und Faulheit geht, spielt Geld keine Rolle - schließlich soll Arbeit und nicht Arbeitslosigkeit bezahlt werden. Da können sogar die Deutschen vom puritanischen Arbeitsethos in den USA lernen. IAB-Geschäftsführer Ulrich Walwei frohlockt: Drei bis vier Millionen zusätzliche Jobs könnte es hierzulande geben, wenn der Anteil der Servicejobs so hoch wäre wie in den Vereinigten Staaten.

Da die meisten Arbeitslosen aber verständlicherweise wenig Lust verspüren dürften, nun Schuhputzer oder Streichholzverkäufer, Hausdienerin oder Fahrstuhlführerin zu werden, sieht Streecks Konzept einen verstärkten Druck auf die Betroffenen vor. Ausdrücklich werden noch weiter verstärkten Sanktionsmöglichkeiten gegen Empfänger von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe gefordert, die die Annahme niedrig bezahlter Arbeit, auch von Zeitarbeitsfirmen vermittelte, verweigern. Angedacht ist weiter, die Sozial- und Arbeitslosenhilfe langfristig zusammenzuführen.

Hombachs Pläne allerdings sind auf breite Ablehnung gestoßen. Hauptargument: Sie seien nicht bezahlbar. IG-Metall-Chef Klaus Zwickel sprach von bis zu 30 Milliarden Mark, die das Lohnsubventionsmodell jährlich koste. Weiter fürchten die Gewerkschaften Mitnahme-Effekte. Was sollte schließlich einen Unternehmer davon abhalten, reguläre Arbeitsplätze abzubauen und durch subventionierte zu ersetzen?

Auch die Unternehmer lehnen Hombachs Modell ab, da sie fürchten, durch Steuern indirekt diese Subventionen der Sozialkassen zu bezahlen. Sie setzen vielmehr auf direkte Lohnsenkungen durch einen deregulierten Arbeitsmarkt, der die Arbeitslosen zur Annahme jeder Arbeit zwingt. Arbeitgeber-Präsident Dieter Hundt: Den Nichtqualifizierten müßten Arbeitsplätze angeboten werden, bei denen die Einkommen deutlich unter dem derzeitigen Niveau liegen.

Das ist deutlich: Den Unternehmern geht Hombachs "dritter Weg" zwischen Marktradikalismus und staatlicher Regulierung nicht weit genug. Zwar will auch Hombach die Lohnkosten spürbar senken, da zu hohe Löhne gerade im wenig produktiven Sektor Arbeitsplätze gefährden würden - durch staatliche Subvention soll aber dafür gesorgt werden, daß die Niedriglöhner nicht zu tief unter das Existenzminimum fallen.

Mit solchen Vorschlägen sollen die Gewerkschaften, ganz im Sinne einer neokorporatistischen Politik, eingefangen werden. Hombachs Hoffnung ist nicht unbegründet, wie die schwache Ablehnung seiner Vorschläge durch die Gewerkschaften ("nicht finanzierbar und wirkungslos") zeigt. Darüber hinaus hält sich in den Gewerkschaften das populäre Vorurteil, eine wie auch immer geartete Lohnzurückhaltung würde den Unternehmern gestatten, mit dem eingesparten Geld neue Arbeitsplätze zu finanzieren - die Grundidee des Bündnisses für Arbeit.

Dahinter steckt die Vorstellung eines gegebenen Lohnfonds - sowohl im Einzelunternehmen als auch in der Gesamtwirtschaft -, der mit den Faktoren Beschäftigtenzahl und Lohnhöhe beliebig variiert werden könnte. Eine geradezu planwirtschaftliche Herangehensweise, die mit dem realen Kapitalismus wenig zu tun hat. Entscheiden doch in erster Linie die Entwicklungen auf den globalisierten Finanz- und Gütermärkten über Investitionen und Beschäftigung - und eben nicht die Löhne.

Dennoch geht es beim "Bündnis für Arbeit" - anders noch unter der Kohl-Regierung - weniger darum, allgemeine Lohnsenkungen durch Lohnleitlinien abzustimmen, sondern um die Schaffung eines Niedriglohnsektors, wie Streeck bereits Mitte April in der Zeit skizzierte und Hombachs Vorstoß nun zeigt. Dabei wird versucht, die Entwicklung im Dienstleistungsektor von der im industriellen Sektor abzukoppeln. Streeck: "Es gibt keinen Grund, warum qualifizierte Berufsarbeit, Flächentarif und Kündigungsschutz nicht weiterhin den industriellen Kernsektor prägen sollen."

Im Klartext: Die überwiegend männlichen Kernbelegschaften prosperierender Weltmarktunternehmen - die Gewerkschaftsklientel - dürften auch in Zukunft relativ gut verdienen; für gering qualifizierte Dienstleistungsbeschäftigte - in der Mehrzahl Frauen - ist Bescheidenheit angesagt. Streeck und Heinze - letzterer ist immerhin Vertrauensprofessor der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung - nennen das dann "stärkere Lohnspreizung".

Damit würde vom alten Gewerkschaftsideal des rheinischen Kapitalismus Abschied genommen: daß sich die Lohnfindung am gesamtwirtschaftlichen Produktivitätsanstieg orientieren sollte und nicht am einzelbetrieblichen Unternehmenserfolg. Die bisherigen Öffnungen der Flächentarifverträge für betriebliche Regelungen sind bereits Ausdruck davon.

Michael Wendl, Vorsitzender des ÖTV-Bezirks Bayern, analysiert denn auch in Sozialismus: "Der wettbewerbsorientierte Korporatismus, der hinter dem Bündnis für Arbeit steht, zielt auf einen weitgehenden Umbau des Tarifsystems in Deutschland, um den Übergang vom Sozialstaat zum Wettbewerbsstaat gestalten zu können." Anders als der angelsächsische Neoliberalismus bedeute der "dritte Weg", die Gewerkschaften einzubinden und damit zu kontrollieren. Dies erreiche die rot-grüne Regierung im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin, so Wendl, weil sie erkannt habe, daß "die Unterordnung und zugleich Transformation des Charakters der Gewerkschaften in der engen Zusammenarbeit besser gelingt als mit der Methode der politischen Konfrontation."