Friedenstauben wachsen Flügel

Nach den jüngsten Kollateralschäden der Nato wächst in Italien der Widerstand gegen die Angriffe auch in der Regierungskoalition. Der Protest richtet sich zunehmend gegen die USA

"Wir wollten eine 'intelligente' militärische Intervention und haben die dümmste Intervention bekommen, die man sich nur vorstellen kann." Scharfe Töne gegen den Nato-Krieg im Kosovo finden sich in der linksliberalen italienischen Tageszeitung La Repubblica. Der Verfasser, Eugenio Scalfari, bezweifelte nach den Bomben auf die chinesische Botschaft den humanitären Charakter der Intervention. Bei aller Kritik an den "unbewußten Extremisten", wie er Javier Solana, Tony Blair und William Clinton nennt, glaubt aber auch er noch an die italienische Regierung: Sie gehöre zu den wenigen, die das Steuer nie aus der Hand gelassen hätten - deshalb sei Italiens Ansehen nicht nur bei den Nato-Partnern, sondern auch bei den Kontrahenten wie Rußland gestiegen.

Um das nationale Ansehen Italiens geht es auch Ezio Mauro, dem Chefredakteur der Repubblica: Die europäische Linke, besonders die italienische, habe die "Prüfung des Krieges" gemeistert; durch die unbequeme Übernahme von Verantwortung sei die italienische Linke nun endgültig salonfähig. Für solche Lobeshymnen auf die politische Willenskraft Italiens hat Ministerpräsident Massimo D'Alema bereits seit Kriegsanfang hart gearbeitet. Stets hat er betont, daß Italien sich an der Suche nach einer politischen Lösung des Konflikts beteilige. Damit hat er seine Koalitionspartner - zumindest bislang - bei der Stange gehalten, obwohl Grüne und die Kommunisten um Armando Cossutta den Krieg allenfalls halbherzig mittrugen.

Doch die Bombe auf die chinesische Botschaft hat in Italien große Empörung ausgelöst. Während D'Alema und der Parteivorsitzende der Linksdemokraten, Walter Veltroni, den "schweren Fehler" bedauerten, erklärte der noch amtierende Staatspräsident Oscar Sc‡lfaro auf einer Reise nach Albanien, daß die Nato-Angriffe zu viele Opfer forderten.

Ob sich auch der neue Staatspräsident Carlo Azeglio Ciampi so kritisch äußern wird wie sein Vorgänger, ist fraglich. Der parteilose Ciampi war vorigen Donnerstag überraschend bereits im ersten Durchlauf mit einer Zweidrittel-Mehrheit zum Staatspräsidenten gewählt worden - eine Seltenheit in Italien, wo in der Vergangenheit teilweise bis zu 23 Anläufe für die Kür des Präsidenten nötig waren. Von dem neuen Staatsoberhaupt wird zwar eine Entspannung des innenpolitischen Klimas in Italien erwartet, doch vermutlich "wird er sich nicht wie Sc‡lfaro öffentlich in jedwedes politische Problem einmischen", wie die Frankfurter Rundschau kommentierte.

Anlaß dafür gäbe es genug - denn die Spannungen innerhalb der Koalition wachsen. Nachdem bereits in der letzten Woche 190 Abgeordnete der Regierungskoalition eine Resolution für eine Feuerpause und gegen den Einsatz von Bodentruppen unterzeichnet hatten, kündigte Kommunistenchef Cossutta an, daß seine Fraktion am Mittwoch auch im Parlament für eine sofortige Feuerpause votieren werde - unterstützt von der oppositionellen christdemokratischen Volkspartei. Was den Zusammenhalt der Regierung von Ministerpräsident D'Alema gefährden könnte.

Einen Tag später reagierte D'Alema auf den Druck des Koalitionspartners - und legte einen neuen Friedensplan für das Kosovo vor. Im Kern folgte er seinen Kritikern aus dem Regierungslager und schlug eine einseitige Waffenruhe der Nato vor; unter der Bedingung freilich, daß Rußland und China einer Uno-Resolution gegen den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic zustimmen - bis dahin dürften die Angriffe weitergehen.

Nicht nur deshalb ist fraglich, ob die Friedensinitiative D'Alema nützen wird. Denn durch die jüngsten Nato-"Pannen" haben die "Tauben" innerhalb und außerhalb des Parlaments wieder Auftrieb bekommen - die Kriegsablehnung äußert sich zunehmend anti-amerikanisch. Der Zorn vieler Italiener wurde in den letzten Tagen durch die Bombenfunde italienischer Fischer in der nördlichen Adria geschürt. Angaben eines italienischen Militärexperten zufolge soll es sich bei den mehr als 30 scharfen Bomben, die die Fischer aus ihren Netzen fischten, um Modelle gehandelt haben, die von US-Kampfflugzeugen sowie von B-1- und B-2-Bombern benutzt werden.

Auch der Beschluß des US-Kongresses, die Entschädigung für die Opfer des von US-Piloten verursachten Seilbahnunglücks von Cavalese zu streichen, sorgte für Unmut. "Warum behandeln uns die Amerikaner fortwährend wie Hinterbänkler?" fragte die römische Tageszeitung Il Messagero in einem Leitartikel. Einer Umfrage zufolge fordern inzwischen 49 Prozent der Bevölkerung eine sofortige Feuerpause.

Wasser auf die Mühlen des Papstes. Nach einer geradezu revolutionären Reise zum Patriarchen der rumänisch-orthodoxen Kirche - immerhin der erste Papst-Besuch seit der Trennung der beiden Kirchen im Jahr 1054 - verabschiedeten die Kirchenhäupter einen Appell "Legt die Waffen nieder". Auch wenn sich die italienische Regierung den Aufruf kaum zu Herzen nehmen wird, dürfte er nicht ungehört verhallen: Der päpstliche Pazifismus hat großen Einfluß auf die breite Antikriegsbewegung - die Jugendgruppen der Azione cattolica nehmen regen Anteil an den Anti-Kriegs-Aktionen.

Doch D'Alema erhält auch Unterstützung für seine Politik - und zwar von der neofaschistischen Alleanza nazionale (AN). Die hat nur ein Problem: Nachdem die Regierung beschlossen hat, Flüchtlingen aus dem Kosovo eine vorübergehende Aufenthaltsgenehmigung zu erteilen, forderte Massimo Gaspari von der AN, daß diese nicht in unbefristete Genehmigungen umgewandelt werden sollten.