»Für Gott und Ulster«

Der protestantische Eiferer Ian Paisley will bei den Europawahlen über die Zukunft Nordirlands abstimmen lassen

Von einigen wird er als "neuer Hitler" bezeichnet, für andere ist er wiederum "der Mann, den Gott uns in der Stunde von Ulsters Not sandte". Reverend Dr. Ian Kyle Richard Paisley, Vorsitzender der Demokratisch Unionistischen Partei (DUP), Gründer der Freien Presbyterianischen Kirche, Mitglied des Europaparlaments, des britischen Abgeordnetenhauses sowie des nordirischen Schattenparlamentes in Stormont, Belfast, ist wohl eine der umstrittensten Figuren in der neueren nordirischen Geschichte.

So nimmt auch Paisley für sich selbst und seine Partei in Anspruch: "Hätte es uns nicht gegeben, gäbe es auch Nordirland heute nicht mehr." Ulster oder Nordirland sind für unionistische Anhänger zumeist dasselbe, ursprünglich wurden so jedoch neun Grafschaften im Norden der irischen Insel bezeichnet, von denen 1921 allerdings nur sechs die britische Provinz Nordirland bildeten.

Am 10. Juni wird Paisley zum fünften Male als einer von drei nordirischen Kandidaten zu den Europawahlen antreten. Seit 1979 hält er dabei den Rekord, die jeweils höchste Stimmenanzahl unter seinen beiden Mitstreitern zu erzielen. Während er die Europäische Union anfangs noch als "größten katholischen Superstaat, den die Welt je gesehen hat" (Paisley) verdammte, führte ihn sein politischer Instinkt doch bald zu einer positiveren Einstellung gegenüber Straßburg. Zu groß war die Versuchung, die "Sache Ulsters" auch auf internationaler Ebene vertreten zu können.

Er überzeugte schließlich seine besorgten Glaubensgenossen, daß er als "Gottes Stimme" in dieser antichristlichen Versammlung wirken müßte. Seitdem funktioniert er regelmäßig den europäischen Wahlkampf als Entscheidung über die Zukunft Nordirlands um. So erklärte Paisley auch in der Auftaktveranstaltung zu den diesjährigen Europawahlen: "Am 10. Juni wird den Bewohnern Nordirlands die Möglichkeit gegeben, über das sogenannte Friedensabkommen von Belfast zu urteilen."

Ian Paisley, "die Stimme Ulsters", feierte vor einem Monat seinen 73. Geburtstag, und auch wenn schon seit langem über seinen Rücktritt spekuliert wird, scheint es, als ob er nicht vom unionistischen Ruder lassen könnte. Versprach Pfarrer Paisley anfangs noch, sich aus den "teuflischen Hinterhalten der Politik" herauszuhalten, brach er dieses Versprechen 1970 endgültig, als er als Abgeordneter für Westminster, die "Mutter der Parlamente" (Paisley), gewählt wurde. Seine politische Karriere ging von da an steil bergauf. Er errichtete sich einen sicheren Wahlkreis in seiner Heimatregion Nordantrim, der Ostküste Nordirlands, zog bald darauf in das Europäische Parlament ein und gründete mit der DUP eine Bastion radikal-loyalistischen Widerstands innerhalb der Unionisten. Als harter Interessenvertreter genießt er auch bei Gegnern Respekt, hat er doch den etwa hundert Bewohnern seines Insel-Wahlreises vor der Küste Nordirlands Anschluß an die nordirische Infrastruktur verschafft.

Organisierte sich seine Anhängerschaft anfangs noch in fundamentalistisch orientierten Zirkeln, den sogenannten Ulster Protestants, stellte Paisley bald fest, daß seine Politik noch viel mehr Unionisten ansprechen könnte, würde es ihm gelingen, auch die weniger religiös gesinnten loyalistischen Arbeiter Nordirlands einzubinden.

Die traditionell unionistische Bewegung hatte sich seit der Teilung der irischen Insel 1921 immer mehr zu einer Eliteorganisation entwickelt, deren Mitglieder zumeist aus den wohlhabenderen Schichten stammten. Ihr politischer Reformkurs wurde vor allem von den loyalistischen Arbeitern sehr widerwillig betrachtet. Schon bald erwies sich Paisleys Bewegung als die neue dynamische Kraft innerhalb der sich spaltenden Unionisten.

Mittlerweile ist die Demokratische Unionistische Partei die drittstärkste Partei im nordirischen Schattenparlament. Auch in Zukunft scheint ihr Erfolg als eine gegen das Karfreitagsabkommen gerichtete Partei gesichert zu sein: Eine Meinungsumfrage des BBC ergab im März, daß die Unterstützung unionistischer Wähler für das an Ostern 1998 geschlossene Abkommen von 55 auf nur noch 41 Prozent gesunken sei.

Doch von Ian Paisley existiert noch eine zweite, oft weniger bekannte Seite: Er ist vor allem ein überzeugter "wiedergeborener" Fundamentalist, der in seinen aggressiven Predigten unverhohlen seine Abneigung gegen jegliche ökumenische Bestrebungen der größeren Kirchen zum Ausdruck bringt. Der Süden der irischen Insel wird als "papistische Hochburg" betrachtet, deren Vormarsch auf die "reine" Existenz Ulsters gestoppt werden muß.

Paisley, der selbst in einer streng religiösen Baptistenfamilie aufwuchs, konnte seinen Fundamentalismus nur schwer mit den damaligen protestantischen Lehren vereinigen. Nachdem er von immer mehr Kirchenhäuptern als Prediger aus ihren Gemeinden verbannt worden war, gründete er schließlich 1951 gemeinsam mit einigen Anhängern die Freie Presbyterianische Kirche.

Diese bildet heute die sechstgrößte kirchliche Vereinigung im Norden Irlands. Die DUP hat eine starke Anhängerschaft unter den sogenannten wiedergeborenen Evangelisten, deren Anzahl in Nordirland auf ungefähr 100 000 Personen geschätzt wird. Diese sind politisch zumeist aus "moralischen Gründen" gegen das Karfreitagsabkommen eingestellt. Hier hat Paisley seine stärkste Basis. Von vielen wird er als der einzig glaubhafte religiöse wie politische Führer betrachtet.

Paisleys Presbyterianische Kirche ist stark verbunden mit den religiös-fundamentalistischen Bewegungen des amerikanischen "Bible-belt". Mit Bob Jones, dem bekannten evangelischen Prediger aus South Carolina, unterhielt Paisley eine besondere Freundschaft. 1976 gründeten sie gemeinsam den Fundamentalistischen Weltrat. "Für Gott und Ulster" - Paisley verkörpert wie kaum ein anderer die Verschmelzung von Religion und Politik in Nordirland.

Allister Lucas, Gemeindeältester der Freien Presbyterianischen Kirche von Antrim, erklärt es so: "Was wir heute brauchen, sind Gottesmänner, die den einzelnen Nationen den richtigen Weg weisen. Ich glaube, daß auch Ian Paisley von Gott erhoben worden ist, wie früher Moses, Elijah und König David."