Kriegsparteitag in Bielefeld

Humanitäre Intervention

Wenigstens für Joseph Fischer hat der Ausdruck "innere Zerrissenheit" auf dem Bielefelder Parteitag einen Sinn bekommen. Allerdings steht der Riß im Trommelfell des Außenministers in keinem Verhältnis zu den Leichen von Korisa. Noch am selben Tag, an dem die Grünen ihre innere Zerrissenheit in diesem "gerechten Krieg" (Tony Blair) theatralisch zur Schau gestellt haben, zerfetzten die Streubomben der Nato im Kosovo fast hundert Menschen: Kinder, Frauen, Männer.

Mit demonstrativer Nonchalance hat sich Fischer in Bielefeld gegenüber den Hinweisen auf diese grausamen Nebenschauplätze seiner humanitären Intervention taub gestellt - nicht nur auf dem roten Ohr. Man ist also gut beraten, auch die Folgen der Farbbeutelattacke als Kollateralschaden zu verbuchen. Sein Ziel hat der Außenminister ohnehin erreicht: Er kann weiter Außenminister bleiben. Der Nato-Krieg gegen Jugoslawien hat nun auch ganz offiziell den Segen der grünen Feldprediger erhalten.

Die Grünen haben entschieden. Für den Krieg, für die Macht, für das Mitmachen. Etwas anderes hat niemand erwartet. Die Linken, die Zweifler, die Kriegsgegner in der Partei liefern in diesem Szenario den Kombattanten die moralische Schützenhilfe, die dieser Krieg braucht, der aus vielerlei Motiven geführt wird, zuallerletzt aber aus humanitären: Seht her, hier stehen wir und können nicht anders! Wir sind zwar gegen den Krieg, aber wir verantworten ihn trotzdem mit. Und, nebenbei gesagt, was hätten wir denn sonst tun sollen? Man kennt das Argument von seinen Großeltern - hatten die im Schützengraben nicht auch hin und wieder moralische Skrupel? Das schauerliche Geheul, mit dem die Grünen den Angriffskrieg veredeln, weiß sogar die Truppe zu schätzen: Die Diskussion der Partei, so lobte der deutsche Nato-General Walter Jertz, sei "wichtig" für die Gesellschaft.

Die Begründung für die Haltung der linken Grünen lieferte Ludger Volmer, der in der Frankfurter Rundschau den Kanon grüner Verantwortungsethik herunterbetete. Kritik an der fehlenden Prinzipienfestigkeit der Partei tat er als "meinungsmanische Besserwisserei" ab, die über eine "Nebenrolle als Zaungast der Weltgeschichte" - unter einer Hauptrolle beim Bombardieren von Zivilisten macht Volmer es nicht mehr - nicht hinauskomme. Diese Haltung, so schrieb der grüne Staatsminister im Auswärtigen Amt, müsse "restlos entsorgt" werden. Das zumindest ist der Partei gelungen.

Einmal mehr haben die Grünen bewiesen: Das erste Opfer des Krieges ist immer der Verstand derjenigen, die ihn legitimieren. Die grüne Fraktionschefin Kerstin Müller fand es wichtig, daß jemand die Position der Nato kritisiere, während sie selbst für die Streubomben auf das Kosovo die politische Mitverantwortung trägt. Und die verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen, Angelika Beer, erklärte Intellekt und Rationalität einmal mehr den Krieg und gab bekannt, sie habe einfach nicht mehr wegsehen können.

Bei anderen Tatsachen fällt es den grünen Bomberbräuten erheblich leichter, die Augen zu schließen: Beispielsweise, wenn die UN-Menschenrechtskommissarin Mary Robinson kritisiert, die Angriffe der Nato würden "zu unterschiedslos" und "nahezu wahllos" gegen militärische wie zivile Ziele geflogen. Oder wenn der serbische Regimekritiker Dejan Anastijevic in der Woche darauf hinweist, daß die - zweifellos widerwärtigen - Vertreibungen im Kosovo "nicht, wie allgemein angenommen, brutale vom Völkerhaß diktierte Akte der Gewalt waren, sondern ein wohl vorbereiteter Schachzug aus militärischem Kalkül" - das erst nach dem Einsetzen der Nato-Luftangriffe zum Tragen kam.

Die Grünen aber ficht das nicht an. Ungeniert machen sie das Brett vor dem Kopf zur Waffe im total humanitären Krieg. Am Ende sind sie sich alle sehr glücklich in die Arme gefallen: Der Kampf kann weitergehen, trotz Umweltkatastrophen und toter Zivilisten. Trotzdem hatte der "Bodenkrieg in Bielefeld" (tageszeitung) auch einen lehrreichen Effekt: Wenigstens einzelne grüne Delegierte dürften eine leise Ahnung davon bekommen haben, daß Krieg eben niemals ohne eigene Verluste zu führen ist. Angesichts der Bilder aus Korisa jedenfalls muß man Farbbeutel auf Fischers Ohr als die erste humanitäre Intervention bezeichnen, die diesen Namen verdient.