Kein Widerspruch

Daniel J. Goldhagens Stellungnahme zum Krieg gegen Jugoslawien folgt der Logik seiner Analyse des Holocaust

In Jungle World Nr. 20 kritisierte Matthias Küntzel einen Beitrag Daniel J. Goldhagens in der Süddeutschen Zeitung, worin der Autor des Buches "Hitlers willige Vollstrecker" gefordert hatte, die Nato müsse Serbien "besiegen, besetzen und umerziehen", um das "Völkermorden zu beenden". "Die serbischen Schreckenstaten", so Goldhagen, "unterscheiden sich von denen der Nazis grundsätzlich nur durch die geringeren Dimensionen". Küntzel wies insbesondere den Vergleich zwischen Jugoslawien und dem nationalsozialistischen Deutschland entschieden zurück und betonte, daß mit derselben Eindeutigkeit Goldhagens Analyse des Holocaust verteidigt werden muß. (Red.)

Daß Daniel J. Goldhagens Stellungnahme zum Krieg der Nato gegen Jugoslawien in der antinationalen Linken für Aufregung gesorgt hat, ist verständlich. Mit seinem Buch "Hitlers willige Vollstrecker" hatte Goldhagen einen wichtigen Beitrag zur Kritik des "deutschen nationalen Projekts" geleistet und sich die Feindschaft des wissenschaftlichen und publizistischen Establishments zugezogen. Die antinationale Linke hat Goldhagen stets gegen diese Anfeindungen in Schutz genommen. Gerade auch die Rezeption seines Buches hat die Linke in ihrer Kritik an Deutschland bestätigt.

Teilweise wurde Goldhagens Studie über diese grundsätzliche Zustimmung hinaus als fundamentale und bahnbrechende Neuerung für die Analyse des Holocaust und des Nationalsozialismus gelesen. Sie sollte so etwas wie die theoretische Grundlage für eine "antideutsche" Position sein, die in der Auseinandersetzung mit dem Projekt Deutschland das Fundament für ihre Gesellschaftskritik sieht. Insbesondere stelle sie eine wichtige Korrektur zu den Aussagen der Kritischen Theorie dar, deren Analyse des Holocaust aus der "Dialektik der Aufklärung" durch die Herleitung aus einer spezifischen deutschen Nationalgeschichte ersetzt werden solle.

Unter diesen Voraussetzungen mußte Goldhagens Eintreten für eine radikale Eskalation des Jugoslawien-Krieges besonders schockieren, war sie doch zentral durch eine Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit dem heutigen Serbien begründet. Wie schon seine äußerst wohlwollenden Aussagen über den demokratischen Charakter der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, so mußte auch die Kriegspropaganda im Widerspruch zu den Thesen seines Buches stehen.

Doch genau dies ist nicht der Fall. Goldhagens politische Äußerungen stehen in einem strukturellen Zusammenhang mit seiner Interpretation des nationalsozialistischen Antisemitismus. Dabei ist es selbstverständlich nicht die Aussage, daß der Antisemitismus das Zentrum der Vernichtungspolitik und damit des Nationalsozialismus war, die der Kritik unterzogen werden muß - hier liegen die unbezweifelbaren Verdienste von Goldhagens Studie. Sein Begriff des Antisemitismus selbst ist problematisch. Er interpretiert ihn als ein "kognitives Muster", als eine Art und Weise, in der sich die Antisemiten die Welt erklären. Nicht die kapitalistische Subjektkonstitution produziert demnach den modernen Antisemitismus, denn eine solche Fragestellung liegt außerhalb der theoretischen Konzeption Goldhagens. Vielmehr würden die Menschen vorhandene antisemitische Deutungsmuster übernehmen.

Deshalb ist die Geschichte des Antisemitismus Goldhagen zufolge die Geschichte dieser Deutungsmuster, sie hat nichts mit der Geschichte des Kapitalismus und des Nationalstaates zu tun. Konsequenterweise vertritt er die These von der Kontinuität antisemitischer Vorstellungen, wonach zwischen dem mittelalterlichen Antijudaismus und dem modernen Antisemitismus kein grundsätzlicher Unterschied bestehe. Goldhagens Begriff des Antisemitismus ist deshalb nicht gesellschaftstheoretisch, sondern rein phänomenologisch ausgewiesen.

Auf dieser Grundlage steht seine Aussage, daß der Holocaust ein deutsches nationales Projekt war: "No Germans, no Holocaust." Es spricht durchaus für diese These, daß sie sich, wie von Goldhagen vorgeführt, bereits auf phänomenologischer Ebene überzeugend belegen läßt. Dennoch bleibt fraglich, ob auf diese Weise die historische Bedeutung des Holocaust und des Antisemitismus erfaßbar ist. Vor allem aber ist es eine schmale Basis für die Kritik am Projekt Deutschland, etwas, das Goldhagen auch in seinem Buch niemals im Sinn hatte. Denn es reduziert den Antisemitismus auf das Problem eines deutschen kulturellen Sonderwegs und blendet die Frage nach den gesellschaftlichen Grundlagen aus.

Antisemitismus - und hier behält die Kritische Theorie allemal recht gegen Goldhagen - ist nur zu verstehen als ein Zerfallsprodukt bürgerlicher Subjektivität, und nicht als anachronistischer Traditionsbestand. Erst vor diesem Hintergrund macht eine spezifisch antideutsche Kritik Sinn: Die deutsche Geschichte ist keine - politisch korrigierbare - Abweichung von der generellen Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft, sondern zeigt deren verheerende Konsequenzen auf.

Bereits Goldhagens Aussagen zur westdeutschen Nachkriegsgesellschaft machten deutlich, wie problematisch ein rein kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Antisemitismus-Begriff ist. In diesem Zusammenhang erklärte er, daß sich das Deutschland nach 1945 von demjenigen davor in seiner politischen Kultur fundamental unterscheide und daß der Antisemitismus keine Rolle mehr spiele. Er attestierte den Deutschen eine geradezu vorbildliche Gesinnung und ein ebensolches politisches System. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe seines Buches hatte Goldhagen bemerkt, daß sich diese erstaunliche Entwicklung "mit dem gleichen Erklärungsansatz verständlich machen (lasse), der in dieser Studie dazu dient, die weite Verbreitung und Dauerhaftigkeit des Antisemitismus in Deutschland während und vor der NS-Zeit zu erklären."

In der Tat läßt sich ein solcher Umschwung nur behaupten, wenn der Antisemitismus zu einer bloßen Einstellung herunterdefiniert wird. Diese kann man tatsächlich von heute auf morgen ändern, wenn sie der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung nicht mehr angemessen erscheint.

In ganz ähnlicher Weise wie den deutschen Antisemitismus charakterisiert Goldhagen in seinem Artikel in der Süddeutschen den Rassismus der Serben. Er spricht vom "glühenden Haß ihres ethnischen Nationalismus" und von den "Wahnvorstellungen über ihre Nachbarn und den Rest der Welt". Nun kann schwerlich bestritten werden, daß in Serbien ein ethnischer Nationalismus immerhin so dominant ist, daß er die Regierungspolitik bestimmt. Doch von Goldhagen wird er auf eine Mentalität reduziert, die ebenso wie der deutsche Antisemitismus durch den erzieherischen Einfluß von außen beseitigt werden könne.

Unerwähnt bleibt dabei, daß es sich beim serbischen Nationalismus um das Gegenstück zum albanischen, kroatischen, bosnischen etc. Nationalismus handelt. Vor allem aber löst er diese Nationalismen aus ihrem (gemeinsamen) gesellschaftlichen Kontext, der Transformation von staatssozialistischen in strukturell krisenhafte privatkapitalistische Ökonomien.

Auch der von Goldhagen angestrengte Vergleich Serbiens mit dem Nationalsozialismus funktioniert nur auf dieser Grundlage. Wenn es lediglich eine Einstellung war, die in Gestalt des Antisemitismus den Kern des Nationalsozialismus und des Holocaust ausmachte, so lassen sich in der Tat sehr leicht Analogien bilden. Abgesehen von der inakzeptablen Gleichsetzung des deutschen Vernichtungskrieges mit der serbischen Kriegsführung im Kosovo sowie der von beiden Staaten begangenen Massenmorde, basieren diese Analogien lediglich auf der Behauptung, der serbische Nationalismus werde von den breiten Massen getragen.

Demnach wäre allerdings jede Gesellschaft, in der rassistische, nationalistische oder antisemitische Einstellungen vorherrschen, dem Nationalsozialismus vergleichbar. Ganz wie im linksalternativen Diskurs in Deutschland, so taucht auch hier der Holocaust plötzlich in allen Teilen der Welt auf.

Insofern liegt nicht allein in der Gleichsetzung mit Serbien eine Relativierung des Nationalsozialismus. Vor allem durch die Reduzierung auf ein kulturelles Problem wird die historische Bedeutung des Holocaust vollständig ignoriert und dieser zum geschichtspolitischen Argument zurechtgestutzt. Gerade die in Deutschland inzwischen an die politische Macht gelangte Generation kann unter diesen Voraussetzungen für sich beanspruchen, die historische Problematik für sich aufgelöst zu haben, hat sie die Kulturrevolution doch bereits erfolgreich durchgeführt. Der Antifaschismus wurde von dieser Generation vom politischen zum kulturellen Programm umdefiniert, um ja die Grundlagen des deutschen Staates nicht mehr der Kritik unterziehen zu müssen. In dieser Hinsicht ist der Ansatz Goldhagens auch dem deutschen politischen Diskurs weitaus kompatibler als die Studien etwa der Kritischen Theorie oder auch Raul Hilbergs, in deren Zentrum der geschichtsphilosophische Bruch steht, den der Holocaust darstellt.

Goldhagens Stellungnahme zum Jugoslawienkrieg verdeutlicht noch einmal die grundlegenden Schwächen seiner Interpretation der deutschen Vernichtungspolitik. So sinnvoll die von Goldhagen geforderte Orientierung auf die Täter und ihre Motivation ist, so problematisch ist es, diese Täter nicht als gesellschaftlich konstituierte und in ihrem Handeln bestimmte Subjekte zu begreifen, sondern lediglich als Träger nicht hinterfragter "kognitiver Muster".

So richtig es ist, die spezifisch deutsche Ideologie mit dem Antisemitismus als zentralem Element zur Grundlage dieser Tätermotivation zu bestimmen, so sehr führt das Loslösen dieser deutschen Ideologie von der kapitalistischen Vergesellschaftungsform, die sie hervorgebracht hat, zu einer unkritischen Interpretation der deutschen Geschichte.

Falsch wäre es also, Goldhagen lediglich Inkonsequenz vorzuwerfen und zu kritisieren, seine Stellungnahme zum Krieg der Nato gegen Jugoslawien stehe im Widerspruch zu seinen Analysen der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Festzuhalten ist vielmehr, daß Goldhagen in diesen Analysen die Voraussetzungen für die jetzt auch von ihm selbst vorgenommene Gleichsetzung bereitet, indem er den Antisemitismus von einem gesellschaftlichen zu einem kulturellen Phänomen macht. Als ein kulturelles Problem läßt sich die deutsche Geschichte aber tatsächlich "bewältigen". Damit kann die so bewältigte deutsche Geschichte schließlich selbst zur Legitimation ihrer eigenen Fortsetzung herangezogen werden.