Mit Hitler ins nächste Jahrtausend

Jüdische Organisationen warnen vor einem Nazi-Kongreß, der im nächsten Jahr in Chile stattfinden soll

Rund 2 000 Neonazis sind in Chile aktiv. Eine ähnlich große Zahl von Sympathisanten teilt ihre autoritären und rassistischen Ziele. Die Militanten kommen aus unterschiedlichen sozialen Schichten, manche verstehen sich als Intellektuelle, andere fühlen sich als Teil einer neuen Jugendkultur. Nur eines eint die Gruppen: Alle glauben sie an die Überlegenheit der arischen Rasse.

Diese Einschätzung veröffentlichte jüngst die internationale jüdische Organisation B'Nai B'Rith. In ihrer Studie warnt sie vor einem nationalsozialistischen Kongreß, der in der Hauptstadt Santiago de Chile vom 17. bis zum 22. April 2000 stattfinden soll, also um den Geburtstag Adolf Hitlers. Dieses internationale Treffen, so B'Nai B'Rith, soll der Höhepunkt einer jahrelangen Aufbauarbeit werden, bei der alte wie neue Nazis auch die Machtpositionen nutzen, die einige von ihnen in Politik und Wirtschaft inne haben.

Mit Blick auf diesen Kongreß habe bereits Mitte April ein geheimes Vorbereitungstreffen von bekannten Nazigrößen in Santiago stattgefunden, berichtete die jüdische Zeitung Der Ruf. Sie veröffentlichte einen Appell verschiedener kirchlicher Gruppen und politischer Parteien an den chilenischen Innenminister, in dem ein Verbot des Kongresses und besserer Schutz für Minderheiten gefordert wird. "Es ist nicht hinnehmbar, daß hier Menschen mit einem rassistischen und diskriminierenden Diskurs gestattet wird, eine politische Bewegung in die Öffentlichkeit zu tragen", erklärt Yoram Rovner, der Herausgeber der Zeitung. Parallel zum Vorbereitungstreffen in Santiago habe es ähnliche Zusammenkünfte in Argentinien, Uruguay, Peru, Venezuela, Brasilien und den USA gegeben, ergänzte Rovner.

Auch das Simon-Wiesenthal-Zentrum in Buenos Aires warnte vor der zunehmenden Präsenz von Rechtsradikalen in der Region. "Die Zahl dieser Gruppen wächst, und ihre Aktivitäten sind in den letzten Jahren immer professioneller geworden", meint Büro-Leiter Sergio Widder. Er forderte die Staaten Lateinamerikas zu einer "schnellen und eindeutigen Antwort" auf und beklagte, daß die chilenische Regierung bislang untätig sei: "Auf unsere Vorschläge und Warnungen wegen des Kongresses im April 2000 hat die Regierung unter Präsident Eduardo Frei bisher nicht geantwortet", beklagte Widder.

Die Protagonisten einer rechtsradikalen Organisierung in Chile können auf mehrere Strömungen zurückgreifen, die mehr oder minder rassistische oder nationalsozialistische Positionen vertreten. Hinter dem Schriftsteller und ehemaligen chilenischen Botschafter in Indien, Miguel Serrano, sammelt sich ein esoterischer Flügel. Bereits während des Zweiten Weltkriegs gab Serrano die Zeitschrift Neue Zeit heraus, die Partei für Nazideutschland ergriff. Heute vertritt er eine Religion, die auf Nazismus und Esoterik basiert. Serrano, der sich stets mit einem SS-Mantel kleidet, erklärte mehrfach, daß es derzeit in Chile zwar keine "ethnischen Konflikte" gebe, doch wenn die "Einwanderung von Koreanern, Juden, Bolivianern und Peruanern" nicht gestoppt werde, könne es bald zu Gewaltausbrüchen kommen.

Ähnlich argumentiert die sogenannte intellektuell-historische Strömung. Sie geht davon aus, daß das Zusammenleben von Menschen aus verschiedenen Ländern generell Gewalt und Konflikte provoziert. Daher sei Gewalt unter Jugendlichen heute ganz normal. Als Kopf dieser Strömung gilt Erwin Robertson, Rechtsanwalt und Herausgeber der Zeitschrift La Ciudad de los Cesares (Stadt der Kaiser), die ähnlich wie die Junge Freiheit in Deutschland sich das Image eines Intellektuellen-Organs zu geben versucht. Robertson war früher Funktionär in der ultrarechten Gruppierung Front für Heimat und Freiheit Chiles und stand wegen Bombenattentaten und Sabotageakten während der Regierungszeit Salvador Allendes vor Gericht.

Weit mehr Beachtung finden jedoch militante rechtsradikale Skinheads. Zum harten Kern sollen rund 400 meist Jugendliche gehören, die in den Vorstädten von Santiago immer stärker präsent sind. Ihre Wortführer schwärmen vom Nationalsozialismus und verherrlichen Gewalt als legitimes und notwendiges Mittel vor allem gegen ihre Hauptfeinde: die Juden. "Wir werden die Armee der Bewegung im Endkampf gegen Homosexuelle, Kommunisten und Juden sein."

Gemäßigter geben sich die Anhänger der sogenannten "Dritten Position", zumeist Studenten und junge Akademiker. Nach Angaben des Geheimdienstes handelt es sich aber um eine unabhängige Neonazi-Gruppe, die über eine gute organisatorische Struktur verfügt. Einer der Sprecher dieser Strömung, der Rechtswissenschaftler Victor Oyarzun, erklärte jüngst, es gebe Hunderte Jugendliche, deren Haß auf Ausländer und Juden ein solides Fundament hätten: Denn immer würden diese versuchen, die Macht in der Welt an sich zu reißen, wie schon damals bei der Russischen Revolution.

Bislang treten die unterschiedlichen Nazi-Gruppen nur sporadisch in Erscheinung, die Presse berichtet zumeist nur von Übergriffen der militanten Skins. Es sind die Vorbereitungen zu dem Kongreß im kommenden April, die Menschenrechtsgruppen und Migrantenverbände alarmieren. Langsam aber sicher, so deren Wahrnehmung, nehmen rassistische Äußerungen und auch Gewaltanwendung zu. Mitschuld daran habe nicht zuletzt die Ausländerfeindlichkeit in Europa, die im fernen Chile auf fruchtbaren Boden falle.

Ähnliche Tendenzen sind auch in anderen Ländern Südamerikas zu beobachten, insbesondere in Brasilien. In S‹o Paulo und Rio de Janeiro gehen weiße Skinheads vermehrt gegen Juden, schwarze Migranten und vor allem Homosexuelle vor. Die brasilianische Presse gab für das letzte Jahr über 15 Todesopfer an. Schlagzeilen machte im Januar dieses Jahres auch Uruguay: Drei Bombenattentate auf eine Polizeikaserne und auf Slumbewohner verursachten erheblichen Sachschaden. Die Polizei nahm mehrere Mitglieder der Gruppe Skinhead-Stolz fest. In ihren Wohnungen fand sie NS-verherrlichende Schriften und selbstgebastelte Bomben. Die Bekennerschreiben waren mit Nationales Kommando 1889 unterschrieben. 1889 war das Geburtsjahr Adolf Hitlers.