Rückkehr aus dem Libanon

Nach 15 Jahren hat sich die vermeintliche RAF-Frau Barbara Meyer den deutschen Behörden gestellt

Es dürfte im Herbst 1985 gewesen sein, als ihre Bilder zum ersten Mal in den Abendnachrichten und auf Fahndungsplakaten zu sehen waren. Doch wann das "Ehepaar Meyer" tatsächlich abtauchte, wußten Deutschlands oberste Terroristenjäger selbst nicht so genau. Noch weniger Ahnung hatten die Karlsruher Bundesanwälte davon, was die beiden trieben, nachdem sie ihren offiziellen Wohnsitz im Stuttgarter Vorort Fellbach verlassen hatten. Für die deutsche Öffentlichkeit jedenfalls galt ab sofort: "Horst Ludwig und Barbara Meyer haben sich der RAF angeschlossen."

Es war die Zeit der bescheidenen Offensive im linksradikalen Biotop: Autonome organisierten sich in militanten Grüppchen, die Revolutionären Zellen ließen regelmäßig mit Brand- und Sprengstoffanschlägen von sich hören und im Umfeld der RAF konstituierte sich die "westeuropäische antiimperialistische front" - von ihren Apologeten mit entsprechend lieblichem Unterton "die Front" genannt. Wer "dieser Front", wenn auch nur aus ideologischer Übereinstimmung, zu nahe stand, der hatte wenig zu lachen: Observationen auf Schritt und Tritt gehörten zur Tagesordnung. Ebenso Hausdurchsuchungen oder Festnahmen.

Das bekam auch jenes Fellbacher Kollektiv zu spüren. Das spätere RAF-Mitglied Eva Haule hatte dort gelebt, bevor sie sich der Gruppe anschloß. Und nicht zuletzt der Vorwurf, einige aus der Wohngemeinschaft hätten sich an Anschlägen auf baden-württembergische Rüstungsfirmen beteiligt, machte die Situation schwierig. Und wer erst einmal vor Gericht saß, das sollten andere Prozesse gegen die "Antiimps" bestätigen, dem nützten entlastende Beweise wenig - zumal man sich in der "Front" einig war, auf eine "juristische Verteidigung gegenüber dem Feind" weitgehend zu verzichten.

Naheliegend also, daß sich Horst Ludwig sowie Barbara Meyer und auch Mitbewohner Thomas Simon rechtzeitig aus dem Staub machten. Als die 42jährige nun vergangene Woche nach 15 Jahren aus dem Libanon nach Deutschland zurückkehrte, gab sich selbst die Bundesanwaltschaft (BAW) zurückhaltend: "Der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ist möglicherweise verjährt." Meyer soll "nur" bei einem Überfall der RAF auf einen Geldboten eines Supermarktes und einem versuchten Einbruch in einen Sprengstoffbunker eines Steinbruches beteiligt gewesen sein. Da der Geldträger angeschossen worden war, muß sie sich nun nicht nur wegen schweren Raubes, sondern auch wegen versuchten Mordes vor Gericht verantworten. Dennoch eine spärliche Bilanz. Schließlich galt sie den Fahndern über zehn Jahre hinweg neben ihrem Mann und dem Frankfurter Christoph Seidler als Kopf der RAF.

Entsprechend lang war die Liste der Beschuldigungen. Die Anschläge auf den MTU-Chef Ernst Zimmermann, den Diplomaten Gerold von Braunmühl, Siemens-Vorstand Karl-Heinz Beckurts und natürlich die Sprengung des Weiterstädter Knastneubaus verbuchten die Strafverfolger auf das Konto des "Ehepaars Meyer". Der damalige Generalbundesanwalt Kurt Rebmann rechtfertigte umfangreiche bundesweite Kontrollen im Vorfeld der IWF-Tagung in Berlin 1988 mit der Begründung, man fahnde nach RAF-Mitgliedern, namentlich nach Horst Ludwig und Barbara Meyer. Richtig Aufregung herrschte, als der DDR-Innenminister Peter Michael Diestel im Juni 1990 verkünden ließ, man habe die beiden gemeinsam mit der RAF-Frau Sabine Callsen in Leipzig festgenommen. So titelte etwa die Bild-Zeitung: "Honecker schickte uns die RAF-Mörder". Aber auch diese Geschichte erwies sich als Flop: Der DSU-Mann Diestel hatte nach Hinweisen aus der Bevölkerung unbescholtene Bürger und Bürgerinnen festnehmen lassen.

Barbara Meyer, Christoph Seidler, Thomas Simon und wahrscheinlich auch Horst Ludwig Meyer lebten damals längst im Libanon - fernab vom neuen großen Deutschland, und wohl auch der RAF. Spätestens, nachdem sich der vermeintliche Herrhausen-Attentäter Seidler im Herbst 1996 mit Hilfe des Aussteigerprogramms des Verfassungsschützers "Hans Benz" den deutschen Behörden stellte und nachweisen konnte, daß er zur Tatzeit in einem libanesischen Dorf gelebt hatte, bestand das Dilemma von Bundeskriminalamt (BKA) und BAW darin, daß sie nicht wußten, wer in der RAF organisiert und damit für zehn Anschläge in dieser Zeit verantwortlich war.

Neben Seidler und Simon, der bereits einige Jahre zuvor aus dem Libanon zurückgekehrt war, habe es mehrere Personen gegeben, bestätigte die ehemalige RAF-Aktivistin Eva Haule im August 1996, "die zwar als RAF-Mitglieder gesucht wurden, ihr aber nicht angehörten". Das Abtauchen aus der militanten Szene sei in jener Zeit keinesfalls gleichbedeutend gewesen mit dem Einstieg in die Guerilla. Im vergangenen Jahr - mittlerweile hatte die Gruppe definitiv ihre Auflösung bekanntgegeben - kam das Bundesamt für Verfassungsschutz in einer Studie zu einem ähnlichen Ergebnis: "Hinsichtlich der mit Haftbefehl gesuchten mutmaßlichen RAF-Angehörigen Sabine-Elke Callsen, Andrea Klump, Barbara Meyer, Horst Ludwig Meyer" hätten sich "Zweifel an der tatsächlichen Zugehörigkeit zum Kreis der Illegalen ergeben."

Eine weitere Schlappe für BKA und BAW, und wieder hervorgerufen durch die Kölner Geheimdienstler. Nicht zuletzt deshalb geben sich die Karlsruher Bundesanwälte zurückhaltend, wenn es um die Beteiligung des VS-Mannes "Benz" bei der Rückkehr von Barbara Meyer geht. "Dazu sage ich überhaupt nichts", reagierte die BAW-Sprecherin Frauke Scheuten auf eine Jungle World-Anfrage. Verfassungsschutz-Chef Peter Frisch räumte ein, die "Selbstgestellung" sei "allenfalls eine Fernwirkung" des Aussteigerprogramms.

Da wußte der Spiegel schon 1996 mehr. Nach der Rückkehr Seidlers aus dem Libanon schrieb das Nachrichtenmagazin, sowohl Sabine Callsen als auch Barbara Meyer wollten abwarten, wie der Fall ausgehe, um sich dann gegebenenfalls auch den deutschen Behörden zu stellen. Freilich ist auch die BAW besser informiert, als deren Sprecherin glauben machen will: Nach Angaben der Behörde soll sich die 42jährige schon seit langem von ihrem Ehemann Horst Ludwig getrennt haben. Die Süddeutsche Zeitung will sogar wissen, daß Horst Ludwig Meyer "schon lange tot" ist.

Wie dem auch sei, ohne den guten Ruf von "Hans Benz" dürfte sich Barbara Meyer wohl kaum freiwillig in die Hände der deutschen Sicherheitsbehörden begeben haben. Gerade am Frankfurter Flughafen angekommen, wurde die Mutter eines achtjährigen Sohnes festgenommen. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof erließ Haftbefehl. Derweil ließ Generalbundesanwalt Kay Nehm im Einvernehmen mit dem BKA vergangene Woche die "Plakatfahndung nach mutmaßlichen Gewalttätern der terroristischen Rote Armee Fraktion (RAF)" einstellen. Begründung: Die Lichtbilder seien überwiegend älter als zehn Jahre und entsprächen nicht mehr dem heutigen Aussehen der Gesuchten. Unter ihnen: Christoph Seidler, Sabine Callsen, Andrea Klump sowie Horst Ludwig und Barbara Meyer.