Rechter Terror in Großbritannien

Von der Leine

Drei Wochenenden, drei Bomben, drei Tote. Großbritannien hat vor den Bombenanschlägen schon Nazi-Gewalt - auch Bomben - erlebt, aber noch nie so wahllos wie in den vergangenen Wochen.

Wenige Stunden nach dem dritten Bombenanschlag nahm die Polizei in Farnborough den 22jährigen David Copeland fest. Auf sein Konto sollen die drei Anschläge gehen. In Copelands Haus fand man eine Ausrüstung zur Bombenherstellung sowie eine vierte Bombe, die bereits scharfgemacht war. Sein nächstes Ziel wäre wohl Southall in West-London gewesen. Dort lebt die größte Sikh-Gemeinde der Stadt. Nach der Verhaftung Copelands zeigten sich Polizeisprecher überzeugt, daß er allein gehandelt habe und über keine Verbindungen zu Nazi-Organisationen verfüge.

Die britische Antifa-Zeitschrift Searchlight kennt Copeland seit fast zwei Jahren als Mitglied von Nazi-Organisationen. Searchlight hat auch erfahren, daß bei der Durchsuchung von Copelands Wohnung Nazi-Propagandamaterial gefunden wurde.

Während die Polizei noch nach Copelands Motiven fragt, läßt die Auswahl der drei Ziele kaum noch Fragen offen: Brixton ist das Herz der Londoner afrokaribischen Gemeinde, Brick Lane eine große Siedlung von Bangladeshis und Soho das Herz der "bekennenden" Schwulenszene in London. Nazi-Publikationen haben die politische Bedeutung dieser Ziele seit Jahren unterstrichen. Das gleiche gilt für die Strategie der heimatnahen Gewalt, die seit der Gründung der Neonazi-Organisation Combat 18 die britische Nazi-Ideologie durchdrungen hat.

Dennoch hält Searchlight von einem Bekennerschreiben von Combat 18 nichts. Anders sieht es im Fall der White Wolves aus. Mitte der neunziger Jahre kursierte in britischen Nazi-Kreisen ein Dokument, das deren Namen trug. Es skizzierte eine Strategie, die zu einem Rassenkrieg führen sollte: "Unsere Hauptangriffslinie müssen die Immigranten-Gemeinden selbst sein (...). Wenn dies regelmäßig, effektiv und brutal durchgeführt wird, werden die Fremden reagieren, indem sie wahllos Weiße angreifen und sie damit zwingen, Selbstverteidigung zu üben. Das wird eine Spirale der Gewalt in Bewegung setzen, die das Establishment zwingen wird, sich der Rassenfrage anzunehmen."

Detailliert stellt das Dokument mögliche Angriffe dar; es enthält Anleitungen zum Bombenbau, Taktiken gegen Überwachung und folgt der Strategie des führerlosen Widerstands. "Wir glauben nicht, daß wir allein einen Rassenkrieg gewinnen können, aber wir können ihn zumindest anfangen."

Möglich, daß es reiner Zufall ist, doch wenige Tage vor der ersten Bombe kursierten Warnbriefe der White Wolves, in denen diese eine Terrorserie ankündigten. Anfang des Jahres tauchte außerdem der Chef des nördlichen Abschnitts von Combat 18, der unter der Bezeichnung White Wolves operiert hatte, ab. Trotzdem könnte sich herausstellen, daß es keine oder zumindest keine direkte Verbindung zwischen den White Wolves und Copeland gibt.

Wenige Tage vor dem dritten Anschlag wurde in den East Midlands ein Arbeiter-Beratungszentrum angegriffen. Am selben Tag erhielt die örtliche Zeitung einen Brief der White Wolves, in dem ein Angriff auf eine Mai-Veranstaltung angekündigt wurde. Am Abend vor der Mai-Demonstration in Chesterfield wurde nur wenige Meilen weiter ein Auto gestohlen. Als die Polizei die Autodiebe, die nach Chesterfield zu flüchten versuchten, unter die Lupe nahm, fand sie eine große Menge Sprengstoff. Die Diebe konnten entkommen.

Auch kam es im ganzen Land zu einer Serie rassistischer Angriffe. In einen asiatischen Laden in Chichester wurde eine Brandbombe geschleudert, dasselbe geschah in einem kleinen Ort im Norden des Landes. In East London gab es innerhalb weniger Tage nach dem Brick-Lane-Anschlag ein halbes Dutzend rassistischer Übergriffe.

Während sich die meisten Organisationen der extremen Rechten in Großbritannien formal von den Anschlägen distanziert haben, können ihre Mitglieder ihre Schadenfreude nicht verbergen. In einem Land, in dem es kaum eine Geschichte des Nazi-Terrorismus gibt, merken die Nazis nun, welch außerordentliche Wirkung Sprengsätze haben können. Die rechten Terroristen sind von der Leine gelassen.

Der Autor ist Mitherausgeber der antifaschistischen Zeitschrift Searchlight in London. Der Beitrag wurde übersetzt von Andreas Dietl.