Ignatz Bubis

»Auschwitz als Entschuldigung«

Außenminister Joseph Fischer meint, in der serbische Spezialpolizei "gewissermaßen die SS" wiederentdeckt zu haben, Verteidigungsminister Rudolf Scharping spricht von "Selektionen" und "Konzentrationslagern" im Kosovo: Nicht erst seit Beginn des Nato-Krieges gegen Jugoslawien stehen die rot-grünen Minister in vorderster Front, um dem Krieg gegen das Jugoslawien von Präsident Slobodan Milosevic die passende moralische Legitimation zu erteilen. Dazu scheint ihnen auch jede Analogie zum Nationalsozialismus recht. Ignatz Bubis ist Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland.

Unter den Kriegsflüchtlingen befinden sich auch Jugoslawen jüdischen Glaubens - allerdings gehören sie zu der Gruppe von Geflohenen, die sich nicht vor serbischen Truppen, sondern vor den Bomben der Tornados in Sicherheit bringen mußten. Aca Singer, der Präsident des Bundes jüdischer Gemeinden in Jugoslawien, hat die Nato dafür scharf kritisiert. Teilen Sie die Kritik Ihres Kollegen?

Es ist richtig, daß es in Serbien keine Verfolgung von Juden gibt. Und es ist tatsächlich so, daß sich in Budapest etwa 300 Frauen und Kinder der jüdischen Gemeinde aufhalten, die vor den Bomben der Nato geflohen sind - deshalb verstehe ich auch die Äußerungen von Aca Singer.

Singer hat die Bombardements darüber hinaus als "die größte Hilfe, die Milosevic bekommen konnte", bezeichnet.

Die Ansicht, daß dieses Bombardement von Serbien Milosevic nützt, ist vielleicht ein falscher Eindruck. Aber daß viele Serben sich hinter ihm versammelt haben, steht außer Frage. Und es steht auch außer Frage, daß das Bombardement bis heute nicht die von der Nato erwartete Wirkung gezeigt hat - ein Ende ist immer noch nicht in Sicht. Daß es in Serbien schon Hunderte von unschuldigen Opfern gegeben hat, ist ebenso richtig - da kommt man nicht daran vorbei.

Sie haben den Angriffen der Nato zu Beginn des Krieges gegen Jugoslawien zugestimmt. Hat sich Ihre Haltung in der Zwischenzeit geändert?

Nein. Es werden nur militärische Ziele bombardiert, getroffen werden aber eben auch Zivilisten und unschuldige Menschen. Ich beklage jedes Opfer und habe immer gesagt, daß die Bomben keinen Sensor haben, nur Schuldige zu treffen.

Wäre ein rein ziviler oder humanitärer Einsatz, ähnlich wie ihn die israelische Regierung leistet, nicht auch für die Bundesrepublik der angemessenere Beitrag, angesichts der Geschichte Deutschlands auf dem Balkan?

Deutschland ist Mitglied der Nato, ohne die es vor zehn Jahren auch keine deutsche Einheit gegeben hätte. Allein deshalb kann sich die Bundesrepublik nicht einfach aus den Handlungen der Nato zurückziehen. Außerdem meine ich, daß der humanitäre Beitrag Deutschlands höher ist als von manch anderem Land: Nach der Aufnahme der ersten 10 000 Flüchtlinge hat sich die Bundesregierung nun bereit erklärt, weitere Flüchtlinge aufzunehmen - in beschränktem Umfang zwar, aber noch bevor die anderen Nato-Alliierten ihre Verpflichtungen erfüllen. Die Bundesrepublik leistet auch überdurchschnittlich Hilfe für die Flüchtlinge in Albanien und in Mazedonien. Das halte ich für absolut angemessen und angebracht - insbesondere angesichts der Vergangenheit.

Die Frage nach der militärischen Beteiligung Deutschlands stellt sich dennoch. Als 1995 ein Eingreifen der Bundeswehr im Bosnienkrieg diskutiert wurde, lehnte Kanzler Helmut Kohl einen solchen Einsatz ab. Begründung: Weil die Wehrmacht auf dem Balkan eingesetzt war, dürfe die Bundeswehr dort heute nicht zum Einsatz kommen. Warum finden sich solche Argumente in der Debatte um den Krieg in Jugoslawien nicht mehr wieder?

Es ging damals um deutsche Soldaten, die auf bosnischem Territorium eingesetzt werden sollten. Das spielt noch immer eine Rolle. Ich hoffe, daß die Bundesrepublik sich, wenn der Krieg erst einmal zu Ende ist, genau so stark beteiligen wird an der humanitären Hilfe in ganz Serbien. Denn die Verpflichtung der Bundesrepublik aus der Geschichte heraus bezieht sich nicht nur auf das Kosovo oder Bosnien oder Kroatien - sondern auch auf Serbien, wo Hilfe dringend nötig sein wird.

Aber bei Kohls Ablehnung spielte doch auch die Bombardierung Belgrads durch die deutsche Wehrmacht im April 1941 eine Rolle. Werden durch die Nato-Luftangriffe auf jugoslawische Ziele - auch wenn noch keine Bodentruppen im Einsatz sind - nicht zwangsläufig Erinnerungen an damals geweckt?

Natürlich hat das bei Helmut Kohl eine Rolle gespielt - und vermutlich in gleichem Umfang auch bei der heutigen Bundesregierung. Ich weiß nicht, wie die Reaktion von Rot-Grün ausgefallen wäre, wenn heute noch die alte Regierung dran wäre. Bei Bodentruppen wird sicherlich die Geschichte eine andere Rolle spielen als jetzt im Rahmen der Nato, wo der Einsatz bislang beschränkt ist auf die Luft - und auf humanitäre Hilfe.

Der Politologe Andrei S. Markovits rechnet Fischer und Schröder "einer Generation der 68er" zu, für die "der Holocaust leider wirklich ein Thema unter ferner liefen" sei: "Sie interessieren sich nicht dafür, sie kannten es nicht, und sie kennen es eigentlich bis heute nicht."

Das sehe ich anders. Ich würde auch nicht Fischer und Schröder in einem Atemzug genannt haben wollen. Ich sehe bei Fischer eine viel stärkere Sensibilität für die Geschichte der Vergangenheit als bislang bei Schröder, obwohl auch bei Schröder neuerdings Ansätze dafür vorhanden sind. Zum Beispiel möchte er nun gerne die Entschädigung für die früheren Opfer abschließen - auch wenn in diesem Zusammenhang einige Äußerungen gefallen sind, die nicht auf große Sensibilität hindeuten. Bei Fischer sehe ich da schon mehr Sensibilität. Ich will aber den 68ern nicht absprechen, daß es ihnen schon um die deutsche Geschichte gegangen ist. Allerdings haben sie in den letzten 30 Jahren Wandlungen durchgemacht.

Im Bosnienkrieg wurde der Einsatz der damaligen Ifor-Truppen mit den "ethnischen Säuberungen" der Serben begründet. Heute benutzt die Regierung ganz andere Formulierungen, die Analogien zum Nationalsozialsmus herstellen sollen. Vor allem Außenminister Fischer und Verteidigungsminister Scharping sind es, die von Deportationen und von Internierungen sprechen. Von der SS Milosevics ist die Rede und von - bis heute nicht bewiesenen - serbischen Konzentrationslagern ...

... Da kommen wir zu einem ganz bestimmten Punkt: Daß es Deportationen gegeben hat, steht außer Frage; daß es Morde gegeben hat, steht außer Frage. Nur, man kann das nicht mit dem Nazi-Reich vergleichen: Milosevic will nicht die Welt erobern, er sucht keinen "Lebensraum" außerhalb von Serbien. Deshalb hinkt dieser Vergleich. Ethnische Säuberungen gibt es sehr wohl - nebenbei gesagt auch bei der UCK. Das sind auch keine Kinder von Traurigkeit. Deshalb ist eine Entwaffnung der UCK genauso erforderlich wie der Rückzug der serbischen Truppen aus dem Kosovo.

Aber die Vergleiche mit dem Völkermord der Nazis, mit Auschwitz, sind nicht angebracht. Daß ich mich hier leise verhalte, hängt ganz einfach damit zusammen, daß ich nicht einem Kind im Kosovo, dessen Vater man umgebracht hat, sagen kann: Dein Vater ist nicht das gleiche Opfer wie mein Vater, der in Treblinka ermordert wurde. Es wäre den Opfern gegenüber vermessen zu sagen: Dieses Opfer ist ein geringeres Opfer. Aber die Analogien, die sind nicht zu verwenden - die dürfen nicht verwendet werden.

Die Regierung verwendet sie trotzdem.

Ich glaube, sie werden verwendet, um die eigenen Handlungen stärker zu rechtfertigen.

Aca Singer sagt, daß er "aus eigener Erfahrung" wisse, "was 'Konzentrationslager' und 'Genozid' heißt" und "es unerträglich finde, wenn diese Begriffe instrumentalisiert werden".

Da stimme ich mit Aca Singer vollkommen überein. Es ist falsch, diese Begriffe auf das Kosovo zu übertragen. Allerdings ist "Instrumentalisierung von Auschwitz" dafür sicherlich auch der falsche Begriff.

Würden Sie dann Daniel Goldhagen zustimmen, der einen Unterschied zwischen den Verbrechen Milosevics und denen der Nazis lediglich in der Dimension erkennen kann?

Ich habe Goldhagen schon früher nicht zugestimmt - und er hat auch heute nicht meine Zustimmung.

Und finden Sie sich in der Empörung Aca Singers über die Instrumentalisierung der Nazi-Verbrechen durch die Bundesregierung wieder - auch wenn es sicherlich eine andere Form der Instrumentalisierung von Auschwitz ist, als Martin Walser sie in seiner Friedenspreisrede gemeint hat?

So entgegengesetzt hat er es gar nicht einmal gemeint. Wenn Walser nur das gemeint hätte, hätte ich auch keine Probleme mit Walser. Wenn zum Beispiel das Halten von Legehennen verglichen wird mit Konzentrationslagern, mit Auschwitz, ist das tatsächlich eine falsche Instrumentalisierung. Aber bei Walser war viel mehr drin als nur das. Bei Walser war auch das Wegschauen drin, bei Walser war auch Auschwitz als Moralkeule drin. Das sind schon Begriffe, die mir keine Ruhe gelassen haben. Und mit "Instrumentalisierung von Auschwitz für gegenwärtige Zwecke" hat Walser sehr nebulös gesprochen. Genau so wie er die Legehennen gemeint haben kann, kann er auch die Entschädigungsforderungen der Opfer von Auschwitz gemeint haben. Und da liegen Welten dazwischen.

Weshalb greift die Regierung jetzt auf den Auschwitz-Vergleich zurück, um den Einsatz gegen Jugoslawien zu begründen?

Weil die Regierung, aus meiner Sicht, ein schlechtes Gewissen hat, daß sie da mitmacht - und etwas dramatisiert. Ich glaube schon, daß da überspitzte Formulierungen nur zur Entschuldigung dienen, daß man mitmacht in der Allianz.

Geht es nicht auch um eine Art Befreiung von der Geschichte, darum, daß Deutschland wieder ein "normales" Land wird?

Nein. Das ist keine Befreiung von der Geschichte, im Gegenteil. So sehe ich das nicht. Ich sehe es - in einer Überhöhung der Vorgänge im Kosovo - als Rechtfertigung für die Bombardements. Ich glaube auch, die Nato wird nach Ende dieses Krieges - ich hoffe bald - nicht mehr die gleiche Nato sein wie früher. Die Auseinandersetzungen innerhalb der Nato, die kommen noch.