Bloody Belfast

Der Streit um die Entwaffnung der IRA liefert den Unionisten den Vorwand, den Friedensprozeß in Nordirland zu blockieren

Ist es lediglich Stagnation oder der Anfang vom Ende des Friedensprozesses in Nordirland? In der vergangenen Woche jedenfalls sind die Bemühungen, die Friedensübereinkunft vom Karfreitag vergangenen Jahres umzusetzen, in eine schwere Krise geraten: Der Unionisten-Führer David Trimble blieb Gesprächen fern, zu denen der britische Premier Tony Blair die Chefs der katholischen und protestantische Parteien eingeladen hatte. Blair hatte abermals über eine Formel sprechen wollen, mit der die Frage der Entwaffnung der paramilitärischen Verbände gelöst werden sollte.

Außerdem hat Blair mittlerweile ein Ultimatum gestellt: Bis zum 30. Juni sollen die Konfliktparteien eine gemeinsame nordirische Regierung bilden. Gemäß dem Friedensabkommen von Ostern 1998 hätte es in Nordirland bereits vor über einem halben Jahr dazu kommen sollen. Aber die pro-britischen Unionisten verweigern ihre Zustimmung, bis die Irisch-Republikanische Armee (IRA) mit der Abgabe ihrer Waffen begonnen hat; im Friedensvertrag ist ein Ende der Entwaffnung bis Mai 2000 vorgesehen. Demnach sollen die nordirischen Parteien zwar darauf hinwirken, ihre politische Mitwirkung ist davon aber nicht abhängig.

In der Entwaffnungsfrage spitzt sich die politische Entwicklung in Nordirland zu: Während die Unionisten zerstritten sind, ob ihre Privilegien besser mit oder ohne Friedensvertrag aufrecht erhalten werden können, garantiert ihnen das Beharren auf einer Entwaffnung der IRA ein Minimum an Einheit und verhindert, daß in einem politischen Prozeß Reformen zugestanden werden müßten. Die unionistischen Kräfte - und auch die britische Regierung - nutzen die Frage der Entwaffnung darüber hinaus, um auszuloten, wie weitgehend die republikanische Bewegung integriert werden kann.

Die republikanische Führung hat nicht ausgeschlossen, mit der Entwaffnung zu beginnen, wenn die nordirische Regierung ihre Arbeit aufgenommen hat und parallel dazu die britische Armee beginnt, sich zurückzuziehen. Einzelne probritische Loyalistengruppen dagegen halten nur pro forma an ihrem Waffenstillstand fest und terrorisieren weiterhin katholische Viertel. Kaum eine Woche vergeht, in der KatholikInnen nicht mit Brandbomben aus ihren Häusern vertrieben, Pubs mit Granaten angegriffen oder einzelne Katholiken beschossen werden. Erst kürzlich wurde die katholische Rechtsanwältin Rosemary Nelson ermordet.

Auch bei den provokanten Märschen des Oranierordens durch katholische Viertel kommt es immer wieder zu Übergriffen und Gegenreaktionen. Alles in allem eine Situation, die es der IRA - so sagt diese jedenfalls - unmöglich mache, ihre Waffen abzugeben. Obwohl mittlerweile die britischen Behörden bestimmte Märsche verbieten - zum Beispiel den in Portadown - und dieses Verbot auch durchsetzen.

Um Bewegung in die Verhandlungen zu bringen, wurde eine "Internationale Entwaffnungskommission" unter Leitung des kanadischen Generals de Chastelain eingesetzt. Diese soll ab sofort "intensive Diskussionen" führen und vor dem 30. Juni einen "Fortschrittsbericht" vorlegen. Der Vorschlag endete mit dem Hinweis, daß alle Parteien eine Übertragung der Macht an Stormont, Sitz der zukünftigen nordirischen Regierung, erwarten sollten - eine verklausulierte Drohung, die zeigt, daß es Blair ernst meint.

Aber nicht nur wegen der Frage der Entwaffnung stockt der Friedensprozeß, auch der Aufbau gemeinsamer Institutionen ist umstritten. Das bisher von den Unionisten blockierte Friedensabkommen sieht neben einem nordirischen Regionalparlament auch die Schaffung eines gesamtirischen Ministerrates vor.

Während in dem Regionalparlament alle Parteien gemäß ihrem Stimmenanteil an der Regierung beteiligt werden sollen - was die Unionisten wegen ihrer Bevölkerungsmehrheit bevorzugt - dient der gesamtirische Rat dem Austausch und der Kooperation in so bedeutenden Fragen wie der Landwirtschaft, dem Umweltschutz und dem Tourismus. Doch auch dies geht den Unionisten zu weit - fürchten sie doch, daß hinter jeder irisch-nordirischen Kooperation die staatliche Vereinigung stehen könnte. Ein tatsächlich nach wie vor erklärtes Ziel der IRA.

Darüber hinaus fürchten die Unionisten, ihre sozialen und politischen Privilegien im Friedensprozeß zu verlieren, obwohl die in dem Abkommen vorgesehene Verstärkung des Grundrechteschutzes und der Aufbau einer Gleichstellungskommission keine konkreten Ziele benennt und nicht von gesamtirischen Institutionen abhängt. Die Gleichstellung soll vielmehr von den neuen nordirischen Institutionen umgesetzt werden, die von den unionistischen Parteien dominiert werden.

Weitere Probleme ergeben sich bei den Sicherheitskräften. Die Polizei Nordirlands, die Royal Ulster Constabulary (RUC), wird von Protestanten dominiert und ist bei den Katholiken verhaßt. Die unionistischen Parteien sehen keine Veranlassung, eine Neuorganisation "ihrer" Polizei hinzunehmen, die die britische Regierung angekündigt hat.

Zwar hat die britische Regierung einen Großteil der IRA-Gefangenen freigelassen, um Vertrauen zu den republikanischen Organisationen aufzubauen - insgesamt ändert sich aber an der sicherheitspolitischen Lage wenig: Da sowohl unionistische als auch republikanische Gruppen weiterhin militant agieren und die IRA sich diese Option offen gehalten hat, ist es wahrscheinlich, daß die britische Armee weiterhin präsent ist und die überaus harten Anti-Terrorismusgesetze in Kraft bleiben.

Die republikanische Bewegung hat dem Friedensabkommen mit der Absicht zugestimmt, in der zukünftigen nordirischen Regierung zwei der zwölf Minister zu stellen, um so auf die gesamtirischen Institutionen Einfluß nehmen und sich für eine Wiedervereinigung einsetzen zu können. Mit diesem Schritt erkannten Sinn Féin und IRA, entgegen ihrer bisherigen Politik, faktisch den nordirischen Staat an. Zu einer Wiedervereinigung soll es in Zukunft nur kommen, wenn sich dafür in Nordirland - und nicht, wie zuvor von Sinn Féin gefordert - in ganz Irland eine Mehrheit findet. Auch Entscheidungen im gesamtirischen Ministerrat werden von der Zustimmung der Unionisten abhängen.

Weiterhin vertieft das Abkommen die institutionelle Spaltung der nordirischen Bevölkerung entlang konfessioneller Linien. Alle wesentlichen Entscheidungen des nordirischen Parlamentes müssen von einer Mehrheit des unionistischen und katholisch-nationalistischen Lagers abgesegnet werden. Da politische Entscheidungen gleichzeitig zwei konkurrierenden Bevölkerungsgruppen dienen sollen, werden die jeweiligen Parteien ihren Erfolg daran messen, inwieweit sie Verbesserungen für ihren jeweiligen Anhang durchsetzen können.

Das dürfte nun auch für Sinn Féin, politischer Arm der IRA, zunehmend in den Mittelpunkt der Politik rücken, nachdem die Partei nach dem Ende der Sowjetunion und den beginnenden Friedensverhandlungen in Südafrika und im Nahen Osten ihre Politik bereits grundlegend geändert hatte.

Anfang der neunziger Jahre schwenkten IRA/Sinn Féin auf ein Bündnis mit der Partei der katholischen Mittelklasse in Nordirland, der SDLP, der bürgerlichen Regierung in Südirland und der konservativen irisch-amerikanischen Lobby um. Nachdem durch den bewaffneten Kampf und den Aufstieg Sinn Féins zur Wahlpartei die Wiedervereinigung nicht erreicht werden konnte, versucht Sinn Féin nun ausschließlich auf parlamentarischer Ebene, die SDLP zu überholen.

1970 hatten sich Sinn Féin/IRA noch von der mehrheitlich auf einen innernordirischen Ausgleich bedachten republikanischen Bewegung abgespalten, um die katholischen Viertel in Nordirland gegen protestantische Pogrome zu verteidigen und gegen London zu kämpfen. Ab Ende der siebziger Jahre kam es auch zur Aufnahme sozialistischer Politikelemente. Damit ist es schon lange vorbei: In der Abtreibungsfrage wurde das Selbstbestimmungsrecht von Frauen aufgegeben, um sich vor allem an die konservativen Katholiken im Süden anzubiedern. Wegen entstehender Arbeitsplätze unterstützt Sinn Féin die Ansiedlung großer Konzerne und ist dabei leicht erpreßbar.

In der Drogenpolitik erklärte Sinn Féin den drug pusher, den Endverkäufer, zum Hauptfeind. Brutale Bestrafungsaktionen der IRA - in der Regel Knieschüsse - gegen diese Dealer sind seit Jahren an der Tagesordnung. Begründung für diese Form der Selbstjustiz: Die Drogen würden die katholisch-nationalistische Einheit der Community und damit deren Kampfkraft gefährden.