Autonom gegen Krieg

Auch wenn's gegen die Nato geht: Der Feind unseres Feindes muß nicht unser Freund werden.

Bei jedem weltpolitischen Konflikt gibt es Leute, die in diesen fatalen Reflex verfallen: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Die jüngste Auflage dieses scheinbar unendlichen Dramas erleben wir zur Zeit beim Kosovo-Krieg. Da wird gegen Berliner Autonome und ein Frauen/Lesben-Bündnis polemisiert, nur weil sie nicht bereit sind, gemeinsam mit serbischen Nationalisten gegen den Nato-Krieg zu demonstrieren und vor Milosevic-Bildern und Tschetnik-Fahnen herzulaufen.

Der serbische Nationalismus wird relativiert, als ob es Faschisten nur in Deutschland gäbe. Milosevic selbst hat keine Probleme, mit Le Pens Freunden, der Radikalen Partei des Ultranationalisten Vojislav Seselj, zu koalieren. Und wie die kroatische Ustascha haben die Tschetniks im Zweiten Weltkrieg zusammen mit den italienischen Besatzungstruppen und in Kooperation mit der deutschen Wehrmacht gegen die Tito-Partisanen gekämpft.

Slobodan Milosevic ist, ganz egal, ob Ex-Jugoslawien von der Nato angegriffen wird oder nicht, ein nationalistischer Hetzer und einer der Hauptverantwortlichen für den jugoslawischen Bürgerkrieg. Daß er es beileibe nicht alleine war, ändert nichts an seiner Verantwortung. Die Politik der serbischen Regierung gegenüber den Albanern und Albanerinnen im Kosovo ist rassistisch. An jedem anderen Ort der Welt wäre aus unserer Sicht Apartheidspolitik noch der höflichste Vorwurf. Wegschauen, weil es nicht ins Bild paßt? Genau das werfen wir doch den Regierenden hier im Falle Kurdistans vor.

Das Schema eines jeden Krieges, alle anderen Widersprüche, insbesondere soziale und feministische, beiseite zu drücken und alles im Kollektivsubjekt der Nation zu vereinen, funktioniert bestens. Nicht nur auf seiten der Nato-Länder, sondern auch bei den scheinbar radikalsten Gegnern des westlichen Militärbündnisses. Ohne die Logik des nationalen Kollektivsubjekts zu verlassen, wird einfach nur die Wertung umgedreht und fertig.

Dahinter steckt die Sehnsucht, die Welt in Gut und Böse einteilen zu können. Wir sind die Guten, und die anderen sind die Bösen. Es gibt klar auszumachende Opfer und Täter. In jedem Italo-Western wird diese Sehnsucht bedient. Zum Glück sind die Welt und ihre Realitäten ein wenig widersprüchlicher und komplizierter.

Dieser fatale Reflex ist altbekannt und wiederholt sich alle paar Jahre vor einer anderen Projektionsfläche: Zuletzt war es die antiimperialistische Verteidigung Saddam Husseins gegen die USA; in den sechziger und siebziger Jahren der vermeintliche Zwang, gegen die dümmliche Hetze des westdeutschen Kleinbürgers die DDR in Schutz nehmen zu müssen. Gibt es irgendeinen Grund, gegen die zugegebenermaßen unerträgliche Kulturdominanz des christlichen Abendlandes auf einmal die konkurrierende Herrschaftsideologie, den Islam, zu verteidigen? Nur weil er zur Zeit schwächer ist? Der Überfall der deutschen Nationalsozialisten auf die Sowjetunion entschuldigt keinen einzigen Mord Stalins an Millionen von Menschen in der UdSSR.

Realpolitisch gibt es vielleicht manchmal keine Alternative. Manès Sperber beschreibt in seinem Roman "Wie eine Träne im Ozean" ausführlich den Versuch, im Jugoslawien des Zweiten Weltkriegs eine unabhängige Partisanenbrigade aufzubauen und als solche zu überleben. Angesichts der nazistischen Militärmaschinerie bleibt ihnen nichts anderes übrig, als sich dem Militärapparat der Tito-Partisanen anzuschließen. Trotzdem geht es darum, sich selbst in solchen Situationen einen unabhängigen Kopf zu bewahren

In jedem Land leben Menschen, die weder mit diesem Land noch mit seiner Regierung identisch sein wollen. Was wäre eigentlich so schlimm daran, wenn ein Staat seine Souveränität verliert? Lange Jahre gab es hier an der Spree eine Insel, die durfte sich begrenzt bürgerlich selbstverwalten, stand aber unter vierfacher militärischer Aufsicht, hatte eine eigene obskure Staatsbürgerschaft und trotzdem ließ es sich ganz gut leben. Diese Insel war die selbständige politische Einheit Westberlin.

Wem Nationalitäten wirklich egal sind, dem ist es auch egal, welchen Paß er in der Tasche hat. Hauptsache, er hat einen und damit läßt sich möglichst frei reisen. Ausreichend Geld sollte natürlich auch vorhanden sein. Das Ziel bleibt schließlich ein gutes und schönes Leben für alle. Ob es im Winter vielleicht zu kalt ist, könnte ein Problem lauten. Aber die Farbe des Passes?

Es ist schwierig, sich gegen die Logik des Krieges zu stellen, und weder für die serbische Regierung, die UCK oder die Nato Partei zu ergreifen. Trotzdem ist eine Position für die Menschen unten, für das Soziale, auch in Zeiten des Krieges die einzig richtige. Denn noch immer verläuft die Grenze nicht zwischen den Völkern, nicht zwischen Nato und Serbien, sondern zwischen oben und unten.