Der Job der Maulwürfe

Der Geschichtsrevisionismus hat in Frankreich nicht nur rechte, sondern auch linke Protagonisten

Ziemlich regelmäßig beschäftigt die französische Öffentlichkeit ein Revisionismus-Skandal. So wirbelte im Frühjahr 1996 ein Text des zunächst zur Neuen Rechten und später zum islamischen Fundamentalismus übergelaufenen Ex-Kommunisten Roger Garaudy viel Staub auf. Und im Februar 1998 dann löste die Berufung des Historikers Gabor Rittersporn an das Centre Marc Bloch, ein deutsch-französisches Institut für Sozialwissenschaften in Berlin, heftigen Protest aus. Rittersporn hatte 1981 und 1983 zusammen mit der geschichtsrevisionistischen Gruppierung La Vieille Taupe zugunsten des Auschwitz-Leugners Robert Faurisson interveniert.

Ein Spezifikum des französischen Geschichtsrevisionismus ist, daß seine Protagonisten nicht ausschließlich von der extremen Rechten, sondern zum Teil auch aus der Linken kommen. So stand Ras Le Front (etwa: "Schnauze voll vom Front National"), das stärkste landesweit vertretene Antifa-Netzwerk in Frankreich, im Herbst 1996 vor einer Zerreißprobe. Anlaß war eine Debatte über ein Sammelbändchen zu "linken" Diskursen des Geschichtsrevisionismus. Unter dem Titel "Libertaires et 'ultra-gauche' contre le négationnisme" ("Libertäre und 'Ultralinke' gegen den Geschichtsrevisionismus") versuchen einige ehemalige linke Protagonisten revisionistischer Ideen, die Herkunft und Entwicklung dieser Thesen in linken Milieus zu erklären.

Während es einigen der Autoren gelang, die verwirrende Ideengeschichte dieser Variante des Revisionismus darzustellen, wurde bei anderen deutlich, daß sie um Verständnis für ihre früheren intellektuellen Leidenschaften warben. Als sie durch führende Mitglieder des Antifa-Netzwerkes Unterstützung erhielten, geriet Ras Le Front in eine schwere Krise. Wechselseitig wurden Agenten- bzw. Paranoiavorwürfe erhoben. Diese Grabenkämpfe haben bis heute in den Antifa-Strukturen Spuren hinterlassen.

Gleich zwei Franzosen wurden im Mai 1999 verurteilt, weil sie sich Thesen der Holocaust-Leugner zu eigen gemacht und diese in der Öffentlichkeit verbreitet hatten.In der vergangene Woche ahndete ein Gericht in München die Äußerung des FN-Führers Jean-Marie Le Pen, bei den Gaskammern der Nazis habe es um ein "Detail der Geschichte" gehandelt, mit einer Geldstrafe. Und eine Woche zuvor stand der 33jährige Historiker Jean Plantin wegen der Verbreitung revisionistischer Thesen vor einem französischen Tribunal (siehe rechte Spalte).

Die Universitäten, die Plantin besucht hatte, Lyon-II und Lyon-III, sind durch eine starke Präsenz der Rechtsextremen geprägt. An Lyon-III lehrten auch so prominente Auschwitz-Leugner wie die Professoren Robert Faurisson (1973) und Bernard Notin (1990), bevor ihnen die Unterrichtserlaubnis entzogen wurde. Und an derselben Universität leitete der neofaschistische Spitzenfunktionär und Historiker Pierre Vial bis zum Oktober 1998 ein Institut für indo-europäische Studien, das sich an der NS-Rassenideologie orientierte.

Der Titel der Diplomarbeit des verurteilten Jean Plantin, "Paul Rassinier - Sozialist, Pazifist und Revisionist", ist bereits ein Hinweis auf die vielfältigen Bezugspunkte der Geschichtsrevisionisten. Auf Rassinier (1906 bis 1967) berufen sich nahezu alle französischen Auschwitz-Leugner - und als Kronzeuge eignet sich dieser um so besser, als er tatsächlich aus der sozialistischen und pazifistischen Linken stammt.

Paul Rassinier schloß sich im Jahr 1943 der Résistancegruppe Libération Nord an - wobei er jedoch die Anwendung von Gewalt im Widerstand gegen die nazideutsche Besatzungsmacht ablehnte - und wurde nach seiner Verhaftung in das KZ Buchenwald deportiert. 1950 veröffentlichte er "Le Mensonge d'Ulysée" ("Die Lüge des Odysseus"). Darin beschuldigte er die kommunistischen Funktionshäftlinge oder Kapos in den Lagern, die illegale politische Strukturen aufgebaut hatten, "schlimmer als die SS" gewesen zu sein, und leugnete gleichzeitig das Vernichtungsprogramm der Nazis: "Meine Ansicht über die Gaskammern? Es hat welche gegeben. Nicht so viele, wie man glaubt. Tötungen durch diese Methode gab es auch. Nicht so viele, wie man sagt."

Rassiniers Grundmotivation war dabei, "seinen Fundamental-Pazifismus und sein (vorheriges) Weltbild zu retten", wie Fran ç ois-Georges Lavacquerie in seinem Aufsatz für "Libertäre und 'Ultra-Linke' gegen den Geschichtsrevisionismus" notierte. Der Pazifismus im Frankreich der dreißiger Jahre bildete eine wesentlich stärkere Grundströmung als in den Nachbarländern. Gleichzeitig war die Linke zerrissen von den Auseinandersetzungen, ob die Aufrüstung des bürgerlichen Staates angesichts der Bedrohung durch Hitler-Deutschland nicht unterstützt werden müsse. Rassinier war zu jener Zeit ein Vertreter der Option "Lieber Hitler als den Krieg".

In seinem Buch "Das Drama der europäischen Juden" (1964) leugnete er schließlich die Existenz der Gaskammern grundsätzlich und kam zu dem Schluß, "die Sterblichkeitsrate der europäischen Juden" sei im Zweiten Weltkrieg geringer gewesen als die "anderer vom Krieg betroffener Bevölkerungen".

An die Positionen Rassiniers knüpften um 1970 die sogenannten "Ultralinken" an, wie die Anhänger des Italieners Amadeo Bordiga genannt wurden, dessen Gruppe Programma Comunista im Jahr 1960 den Text "Auschwitz oder Das große Alibi" publiziert hatte. Grundüberzeugung der Ultralinken war, daß "vom revolutionären Standpunkt aus gesehen", "alle Regime gleich viel wert" seien - nämlich Faschismus, bürgerliche Demokratie und Stalinismus bzw. "real existierender Sozialismus".

Rassiniers Thesen und die Texte der Bordiguisten wurden zunächst "nur als in kritischer Weise zu nutzende Instrumente verstanden, um die Burgfriedenpolitik anzuklagen, welche im Namen der antifaschistischen Einheit Ausbeuter und Ausgebeutete unter demselben Banner zusammenzubringen behauptet" (Serge Quadruppani in "Libertaires et 'ultra-gauche'"). Die Analysen der "Ultralinken" übertrugen die "Burgfriedenpolitik" der Sozialdemokraten vom August 1914 unverändert auch auf die Situation der dreißiger Jahre, auf den Kampf gegen Faschismus und Nazismus.

La Vieille Taupe ("Der alte Maulwurf"), eine von Pierre Guillaume geleitete "informelle revolutionäre Gruppe", ging im Laufe der siebziger Jahre diesen Weg konsequent weiter. Als 1978/79 die Schriften von Robert Faurisson für einen Eklat sorgten, ergriff die ultralinke Gruppe Partei für ihn und machte sich daran, seine Arbeiten in ihrem Hausverlag zu publizieren. Die gleichnamige Zeitschrift des Zirkels, La Vieille Taupe, war es, die 1996 den revisionistischen und antisemitischen Aufsatz von Roger Garaudy, "Die Gründungsmythen der israelischen Politik", publizierte. Pierre Guillaume landete später im Umfeld des Front National, für dessen Parteizeitung National Hebdo er gelegentlich schrieb.

Doch Ende der siebziger Jahre, mit ihrer offenen Annäherung an eindeutig rechtsstehende Geschichtsrevisionisten, verlor die Strömung um La Vieille Taupe viele ihrer aktiven Mitstreiter, die nicht bereit waren, solche Positionen zu vertreten. Einige von ihnen, die die ursprüngliche Idee von der radikalen Kritik des antifaschistischen Burgfriedens hatten retten wollen, fanden sich mit Texten in "Libertaires et 'ultra-gauche'" wieder, darunter auch Gilles Dauvé, der nach wie vor keine Notwendigkeit für einen spezifischen Antifaschismus sieht und schreibt: "Die fundamentale Alternative lautet 'Kapitalismus oder Revolution' und nicht 'Demokratie oder Diktatur'. (Ö) Einzig der antikapitalistische Kampf bekämpft den Faschismus." Die Manuskriptfassung seines Beitrages - der in dem Sammelband verändert ist, aber in der Orginalfassung an die Presse verschickt wurde - enthält die Formulierung, die Gaskammern seien ein "gigantisches Detail des Zweiten Weltkrieges".

Nutznießer der Reinwaschung des Nazismus von seinem historisch einmaligen Verbrechen sind jene, die "Rezepte" des Nazismus und Faschismus heute gern wieder anwenden würden. Die neofaschistische Parteizeitung National Hebdo benannte dies im August 1998 sehr deutlich: Sie forderte die Einrichtung von "Razzien und KZ", um das Problem der Ausweisung von Immigranten zu lösen und beklagte, "die schamlose Ausnutzung der Shoah" verhindere heute die erfolgreiche Propagierung solcher Lösungen.