Konservative Vielfalt

Im EU-Parlament geht alles: In der EVP-Fraktion tummeln sich Euro-Gegner und -Fans, Zentralisten und Regionalisten, Sozis und Nana Mouskouri

Ein Ausflug an die Biskaya oder in die Alpen; ein Trip an die Ägäis oder die Müritz; ein Spaziergang am Sund oder an der Seine, eine Grillparty im Hyde- oder Gaudi-Pyark - viele schöne Dinge gäbe es europaweit an diesem Wochenende zu unternehmen. Jedenfalls wenn schon klar wäre, ob überall die Sonne scheint. Eines allerdings ist jetzt schon klar: Das Straßburger Europa-Parlament wird gewählt, und viele Eurobesitzer und Eurobesitzerinnen werden sich nicht daran beteiligen.

Das ist schade, finden zumindest die Mitglieder der zwei Großfraktionen des Straßburger Parlaments: nämlich die der Sozialdemokraten, die früher noch als Sozialistische Fraktion (S) firmierte, und die der Christdemokraten und Konservativen, die sich in der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) zusammengefunden haben.

Im Vorfeld der Wahlen hatten EVP-Mitglieder noch einmal versucht, Druck auf den politischen Gegner auszuüben. Der CDU-Europapolitiker Hans-Gert Pöttering hatte damit gedroht, die neue EU-Kommission im Parlament abzulehnen, wenn das Gremium nicht ausgewogen besetzt werde. Sollte die Kommission "eindeutig rot-grün dominiert" sein, werde die EVP-Fraktion notfalls nein zur gesamten Kommission sagen müssen, so Pöttering. Darüber hinaus kritisierte Pöttering Gerhard Schröders nationale Europapolitik: Die Forderung der Bundesregierung nach deutscher Besetzung von zwei Schlüsselressort in der Kommission sei "in dieser Form unverschämt".

Von derartigen Wahlkampfgeplänkeln unberührt, existieren seit Jahren von beiden Großfraktionen auch Parteizusammenschlüsse auf EU-Ebene, die sich inzwischen zunehmend als europäische Parteien mit eigenem Rechtsstatus sehen; so daß es bereits zu den letzten Europawahlen 1994 von ihnen auch entsprechende einheitliche Wahlprogramme für ihre nationalen Mitgliedsparteien gab.

Im Falle der EVP-Fraktion im Europa-Parlament, die im Oktober 1998 199 der 624 EP-Abgeordneten zählte, sind allerdings nicht alle ihre Mitgliedsparteien auch in der gleichnamigen Parteienföderation vertreten, so etwa nicht die britischen Konservativen, die eine eher europakritische Politik verfolgen.

Das Rückgrat der Fraktion bilden traditionell die christdemokratischen und christlich-sozialen Parteien Deutschlands und Italiens, also CDU und CSU, der Partito popolare italiano sowie die mit ihr verbündete Südtiroler Volkspartei. Dazu kommen ihre Bruderparteien aus den Beneluxländern, was bereits für einigen Konfliktstoff in der Fraktion gesorgt hat: Denn diese gelten aufgrund ihrer eigenen Gewerkschaftsverbände als eher links - ein Grund, sich gegen eine Aufnahme rechtskonservativer Parteien in die EVP-Fraktion zu wenden.

Weitere Mitglieder fand die Fraktion aber in Vertretern von der rechtsliberalen UDF Frankreichs. Auch von den dänischen Zentrumsdemokraten, der griechischen Nea Demokratia - seit 1994 auch durch Nana Mouskouri im EP vertreten -, der irischen Fine Gael kommen EVP-Abgeordnete. Pikant: Auch Vertreter der Sozialdemokratischen Partei Portugals reihen sich in die konservative Fraktion ein.

1989 kam erstmals ein Abgeordneter aus dem Vereinigten Königreich dazu, nämlich James Nicholson von den nordirischen Official Ulster Unionists. Das war ein Grund zum Feiern: Erstmals konnte die EVP-Fraktion Mitglieder aus sämtlichen EG-Mitgliedsländern vorweisen. Ferner fand die post-franquistische spanische Partido Popular zu jener Zeit Aufnahme in der EVP-Fraktion; während sie zuvor noch als Alianza Popular zusammen mit den britischen Konservativen der Fraktion der Europäischen Demokraten (ED) angehörte.

Wenn so viele Parteivertreter auf einem Haufen hocken, läßt Streit nicht lange auf sich warten: Ein kontroverser Punkt war immer das Verhältnis von Regionalismus und Zentralismus. Dabei verfolgt die EVP, nicht zuletzt wegen des starken deutschen Einflusses, einen traditionell föderalistischen Kurs - eine Politik, die zentralistisch orientierten Konservativen wie den britischen Tories und den französischen Neogaullisten gar nicht gefällt. Die Tories kamen denn auch erst 1992 hinzu.

Die Neogaullisten versuchen es dagegen nach wie vor nahezu alleine. Aktuell sind sie mit der irischen Fianna Fail, dem rechtskonservativen Politischen Frühling Griechenlands, einigen Vertretern der Forza Italia und abtrünnigen Abgeordneten einiger anderer Parteien, darunter auch der italienischen Lega-Nord-Fraktion in der Union für Europa verbandelt.

Einen eigenen Weg ging auch der französische Monarchist Philippe de Villiers: Er konnte bei der letzten Europawahl mit seiner Liste La Majorité pour l'autre Europe aus dem Stand ein zweistelliges Ergebnis erzielen, woraufhin er sich mit den Vertretern der beiden dänischen Anti-EU-Parteien und zwei niederländischen Calvinisten zur Fraktion Europa der Nationen (EDN) zusammenfand. Sie zählte im Oktober 1998 ganze 17 Abgeordnete.

Für L'Autre Europe saß auch der anglo-französische Milliardär James Goldsmith in der EDN-Fraktion, der zu den letzten britischen Parlamentswahlen die Referendum Party ins Leben gerufen hatte. Deren einziges Anliegen war es, eine Volksbefragung über die zukünftigen Beziehungen Großbritanniens zur EU durchzuführen, wobei sie in Nordirland vom Protestantenführer David Trimble und seiner UUP unterstützt wurde. Ein Grund für den einzigen UUP-Europa-Abgeordnete Nicholson, von der konservativen zur EDN-Fraktion überzulaufen.

Auf italienischer Seite steht nach dem weiteren Zerfall der Christdemokraten nunmehr auch die Forza Italia bereit, sich in die EVP-Fraktion zu integrieren. Das sah nach den letzten Europawahlen 1994 zunächst noch ganz anders aus. Damals schien es nämlich noch wenig opportun, mit Silvio Berlusconi zusammenzuarbeiten, so daß seine 27 Abgeordneten zunächst mit der Fraktion Forza Europa unter sich blieben. Später dann schlossen sie sich mit einer von den französischen Neogaullisten dominierten Fraktion zusammen.

Bei dieser Gelegenheit liefen bereits die Vertreter der mit Berlusconi verbündeten kleineren christdemokratischen Formationen zur EVP-Fraktion über. Später, im Jahre 1997, folgten ihnen dann auch der größere Teil der Forza Italia. So sind in der EVP-Fraktion nun viele von Berlusconis Leuten mit den Vertretern der PPI unter einem Dach vereinigt; also mit den Abgeordneten derjenigen Formation, mit der der formell parteilose Romano Prodi die politische Bühne betrat. Er ist jetzt der erste EU-Kommissionspräsident, der sich auch gegenüber dem Europa-Parlament zu verantworten hat.

Prodi hat darüber hinaus in jüngster Zeit zusammen mit dem Populisten Antonio Di Pietro die Formation i democratici ins Leben gerufen, die zu den Europawahlen erstmals antreten wird: mit guten Erfolgsaussichten. Sie entstand als neue Technokraten-Partei gegen die bisherigen Parteien, hierin durchaus vergleichbar mit Berlusconis Forza Italia im Jahre 1994.

Eine andere italienische Formation, der Patto Segni, dürfte allerdings nach den Wahlen nicht mehr in der EVP-Fraktion vertreten sein, da diese sich jüngst mit Gianfranco Finis Alleanza Nazionale verbündet hat. Die Aufnahme der italienischen Postfaschisten, die sich ein gesäubertes Aussehen geben, würde allerdings einen großen Schritt nach rechts bedeuten und die Fraktion vor eine ernsthafte Zerreißprobe stellte.