Proskes Plattform

Die Wehrmachtsausstellung in Hamburg: Neonazis demonstrieren und Stiftungsvorstand Reemtsma übt sich in "Voltairescher Toleranz"

Andreas Grünwald ist zufrieden: "Wir haben unsere Ziele erreicht." Die Nazidemonstration, so verkündete der Sprecher des Hamburger Bündnisses gegen Rassismus und Faschismus in seinem Redebeitrag, habe nicht stattgefunden, "und wir können heute demonstrieren".

Ein kleiner Erfolg. "Freie Aktionsgruppen im nationalen und sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland" hatten sich zum Aufmarsch angesagt, waren aber nach einem Verbot ihrer Aktion durch das Bundesverfassungsgericht nicht gekommen. Der Anlaß des geplanten rechtsradikalen Meetings: Die Ausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der deutschen Wehrmacht 1941 bis 1944" des Hamburger Instituts für Sozialforschung (HIS) ist nach vier Jahren wieder in die Hansestadt zurückgekehrt.

Ganz so negativ, wie Grünwalds Beitrag zunächst vermuten läßt, verlief der vergangene Samstag für Deutschlands Neonazis allerdings nicht. Während in Hamburg etwa 1 500 Menschen gegen den geplanten Aufmarsch auf die Straße gingen, gaben sich rund 500 Neonazi-Kader aus dem gesamten Bundesgebiet im mecklenburgischen Ludwigslust ein Stelldichein.

Dorthin hatte es die Rechtsradikalen verschlagen, nachdem auch eine Ausweichdemonstration in Schwerin verboten worden war. Schweriner Polizisten lenkten den Neonazi-Konvoi aus der mecklenburgischen Stadt ins nahegelegene Ludwigslust. Dort übernahmen dann Mitglieder der alten Struktur der neonazistischen Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front (GdNF) die Führung: Christian Worch, Oliver Schweigert, Torsten Heise und Steffen Hupka, unterstützt von der Karlsruher Kameradschaft und Anti-Antifa-Gruppen aus Norddeutschland. Unbehelligt von den eigens aus Bayern, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern angerückten Polizeieinheiten konnten die "Freien Kameradschaften" durch die Stadt marschieren. "Ruhm und Ehre der Waffen-SS", brüllten die rechtsradikalen Horden und zogen durch die Straßen von Ludwigslust.

Das Wochenende sollte also einmal mehr bestätigen, was Hamburgs Kultursenatorin Christina Weiss wenige Tage zuvor anläßlich der Eröffnung der Exposition im Schauspielhaus sagte: "Die Ausstellung hat sich zum deutschen Politikum entwickelt." Doch während sich auf der Straße Linke und Neonazis regelmäßig Auseinandersetzungen um die Ausstellung liefern, gab man sich bei den Organisatoren tolerant. So sorgte Stiftungsvorstand Jan Philipp Reemtsma mit der Einladung Rüdiger Proskes, einem Kronzeugen gegen die Ausstellung, für Schlagzeilen. Eine "große" und "bemerkenswerte Geste" sei es, bescheinigte etwa die Hamburger Abendzeitung, daß der "schärfste Kritiker" an diesem Tag im Schauspielhaus sprechen dürfe.

Reemtsmas Ruf nach dem Redner folgte, als Antifas einige Scheiben von Proskes Haus einwarfen und sein Auto beschädigten. Der 82jährige Sozialdemokrat sollte seine Gastgeber nicht enttäuschen: Ohne Widerruf wiederholte der ehemalige "Panorama"-Mitarbeiter, der sonst eher bei rechtsextremen Vereinen auftritt, die Behauptungen aus seinen Streitschriften zur Ausstellung. Diese sei "unwissenschaftlich" und stelle auch nur die "halbe Wahrheit" dar. Proske, dessen Schriften auf der Bestsellerliste der neurechten Jungen Freiheit landeten, bezeichnete erneut die Ausstellung als "die größte historische Irreführung seit dem Dritten Reich".

Zwar erklärte Reemtsma vorher, Proske sei "ein Sprachrohr rechtsextremer Denkweise" und verstehe nichts von der Materie. Aber "alle diese Anschläge, von welcher Seite auch immer", so Reemtsma mit Blick auf die Antifa-Aktionen, zielten gegen jene Normen, ohne die es keine demokratische Öffentlichkeit gebe. Wieso Proske deshalb seine Aussagen, die auch für Reemtsma jede "intellektuelle Balance" verloren haben, vortragen durfte, konnte auch die Anspielung des Einladers auf Voltaires Toleranzverständnis nicht erklären.

Statt dessen schimmerten totalitarismustheorische Ansätze durch, denen sich das HIS immer mehr annähert, seit Reemtsma 1989 den alleinigen wissenschaftlichen Vorstand der von ihm finanzierten Stiftung übernommen hat. Die "Makroverbrechen" des 20. Jahrhunderts - Auschwitz, Gulag und Hiroshima - sind dem HIS zu den zentralen Elementen der Zivilisation und der Moderne geworden. Der Historiker Karl-Heinz Roth dagegen, der lange Zeit mit Reemtsma zusammengearbeitet hat, kritisiert diese Position scharf. Ihre Reflexion über Gewalt und Verbrechen blende, so der Hamburger Geschichtswissenschaftler, "kritisch-historische, bzw. sozialwissenschaftliche oder gar wirtschaftstheoretische Erkenntnisprozesse" gänzlich aus.

Mit dem Totalitarismus-Verständnis des HIS entwickelte Mitarbeiter Wolfgang Kraushaar das "Projekt 1995", zu dem eine ausschließlich in Hamburg gezeigte Ausstellung "200 Tage und ein Jahrhundert" gehört. Kraushaar spannt dort einen Bogen von der Auschwitz-Befreiung über das Gulag-System bis hin zum Atombomben-Abwurf in Hiroshima. Auch die nun eigenständig bekanntgewordene "Vernichtungskrieg"-Ausstellung, bei deren Konzipierung auf Fakten und Analysen des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes Freiburg zurückgegriffen wurde, war ursprünglich nur als Teilaspekt von "Projekt 1995" geplant.

So hob denn auch Ausstellungsleiter Hannes Heer in der Schaubühne hervor, daß die Dokumentation eigentlich auf einen "kleinen Kreis interessierter Wissenschaftler" ausgerichtet gewesen sei. Dank der unerwarteten Resonanz hätte sich aber der Blick auf den Kern des Kriegs und die 19 Millionen Wehrmachtssoldaten verändert. "Die Deutschen haben erfahren, daß der Holocaust nicht nur im Schutz der Wehrmacht, sondern auch mit Hilfe der Wehrmacht durchgeführt worden ist." Durch die Ausstellung sei die Geschichte der damaligen deutschen Armee in die Familiengeschichte zurückgeholt worden, denn die "Soldatenrolle der Väter und Großväter werde hinterfragt". Und: "Es wird für Deutschland unmöglich sein, jemals einen Schlußstrich unter diese Untaten zu ziehen." Eine Normalisierung sei nicht möglich.

Das HIS kann ein gutes Resümee ziehen, wenn die Ausstellung nun am 22. Juni einem Verein übertragen wird, dessen Kuratorium Ignatz Bubis, der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, sowie der frühere SPD-Vorsitzende Hans-Jochen Vogel und Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) angehören sollen. Über 820 000 Menschen in 32 Städten besuchten die Ausstellung. Gemäß dem Anspruch der Stiftung hat die Popularisierung der Fakten tatsächlich das "kommunikative Beschweigen der Wehrmachts-Verbrechen" etwas aufgebrochen. Der nationale Mythos von der sauberen Wehrmacht und von ritterlichen Soldaten ist öffentlich entmythologisiert.

Ob das HIS aber auch weiterhin eine "Gefahr für die nationalen Mythen" ist, worin der britische Historiker Eric J. Hobsbawm die Aufgabe der Geschichtswissenschaft sieht, bleibt fraglich. Weder Reemtsma noch Heer konnten eine Antwort auf die Frage geben, ob ihre Entmythologisierung nicht in ein "geläutertes Geschichtsbild" integriert werden kann, um trotz und vor allem wegen Auschwitz als "selbstbewußte Nation" in den Krieg zu ziehen.