Söldner im Himalaya

Der Konflikt um Kaschmir zwischen Indien und Pakistan spitzt sich zu

Mit der Schneeschmelze kamen auch die Söldner. In der Nähe der indischen Stadt Kargil überquerten sie die Waffenstillstandslinie, die den indischen vom pakistanischen Teil Kaschmirs trennt, um ihren "muslimischen Brüdern zu helfen".

Anders als in den vergangenen Jahren, in denen jeweils kleine Gruppen in das Hochland einsickerten, waren es in diesem Frühling größere Kontingente: 600 bis 700 waren es nach indischen Angaben, und weitere 400 sollen demnach noch auf pakistanischer Seite warten. Die Söldner versuchten nach indischer Darstellung, sich die Kontrolle über ein ca. sechs Kilometer langes Stück des strategisch wichtigen Gebietes zu sichern.

Um das zu verhindern, setzte die indische Armee ihre Luftwaffe ein - zum ersten Mal seit 27 Jahren in diesem Gebiet. Nach indischen Angaben operiert die Armee nur auf der indischen Seite der Waffenstillstandslinie. Doch Pakistan schoß ein indisches Flugzeug ab, dessen Wrack auf pakistanischem Gebiet liegt. Nun stellt sich die Frage, ob aus dem Grenzkonflikt ein wirklicher Krieg zwischen den beiden verfeindeten Atommächten wird.

Zwei Konflikte existieren in Kaschmir, die gegenwärtig kriegerisch ausgetragen werden und sich überlagern. Zum einen ein innerindischer Sezessionskrieg, der sich im wesentlichen auf das Gebiet um Srinagar beschränkt, zum andern der alte Konflikt zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir.

Im ersten kämpfen indische Aufständische gegen das indische Militär. Dieser Krieg brach Anfang 1990 aus. Ursprünglich war das Kriegsziel, ein säkulares, unabhängiges Kaschmir unter Einschluß des pakistanischen Teils zu erkämpfen. Dieses Ziel hat vor allem die Jammu and Kashmir Liberation Front (JKLF) vertreten, die breite Unterstützung in der Bevölkerung genoß.

Zuvor war der Sonderstatus Kaschmirs, festgelegt in Artikel 370 der indischen Verfassung, zunehmend ausgehöhlt worden. Das Zusammenspiel von politischer Unterrepräsentation, ökonomischer Mißwirtschaft, Religionszugehörigkeit und Manipulation von Wahlergebnissen hatte unter den Muslimen Kaschmirs die Forderung nach Sezession von Indien auf eine breite Basis gestellt. Militärisch hat die JKLF im Verlauf des Krieges jedoch an Bedeutung verloren bzw. ihre Kämpfe eingestellt.

Heute wird dieser Konflikt geprägt von pro-pakistanischen, islamisch-fundamentalistischen Gruppierungen wie den Hizbul-Mudjaheddin und der Harkat-ul-Ansar, die einen Anschluß an Pakistan fordern. Ihr Rückhalt in der indisch-kaschmirischen Bevölkerung ist allerdings gering.

Seit 1994 ging die Intensität des Aufstandes deutlich zurück. Denn parallel zu dem Versuch, den Aufstand gewaltsam niederzuschlagen, wurde auch mit einer politischen Bearbeitung des Konflikts begonnen. 1996 fanden Wahlen zur Vertretungskörperschaft des Unionsstaates statt, an denen sich über 50 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten - trotz Boykottaufrufen der Aufständischen. Und die indische Regierung signalisierte Bereitschaft, den Artikel 370 langsam wieder zu stärken.

Der Konflikt kühlte sich erheblich ab. Zeitweilig hatte die Gesamtzahl der Aufständischen weit über 10 000 betragen, darunter 1 500 Söldner aus dem Afghanistan-Krieg. Bis Ende 1997 ging die Anzahl der Rebellen auf ca. 2 300 zurück, und unter diesen befanden sich 400 ausländische Söldner.

Im März 1998 aber wechselte nach den Wahlen die indische Regierung. Die hinduistisch-nationalistische Bharatiya Janata Party (BJP) setzte in ihrem Koalitionsvertrag mit 14 weiteren Parteien durch, daß der Artikel 370 ganz abgeschafft werden solle. Begründung: Der Sonderstatus Kaschmirs sei der Grund für den Separationskrieg.

Seit April dieses Jahres regiert die BJP das Land nur noch kommissarisch. Sie hat den Artikel 370 nicht abgeschafft. Das dürfte mit ein Grund dafür sein, daß die Kämpfe zunächst nicht wieder eskalierten. Vermutlich hätten sie ohne nationalistisches Säbelrasseln der BJP aber deutlich abgenommen. Lediglich die Zahl der ausländischen Söldner stieg im letzten Jahr wieder an - auf ca. 900.

Der zweite Konflikt ist der zwischen Indien und Pakistan um den einstigen Fürstenstaat Kaschmir. Er ist so alt wie die beiden Staaten selber. Nachdem die britische Kolonialmacht in der indischen Unabhängigkeitsbewegung nach dem Prinzip "Teile und Herrsche" die Spannung zwischen Hindus und Muslimen angeheizt hatten, entstanden 1947 zwei unabhängige Staaten, Indien und Pakistan. Die damalige indische Regierung unter Führung von Gandhi und Nehru akzeptierte notgedrungen die "vorübergehende Teilung entlang der Glaubensgrenze", ohne jedoch deren ideologische Grundlage anzuerkennen.

Die stammte von Jinnah, dem Gründer und ersten Präsidenten Pakistans. In seiner Zwei-Nationen-Doktrin behauptete er, die Muslime könnten sich in einem von Hindus geführten Indien nicht entfalten. Deshalb würden die Gebiete Britisch-Indiens mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung einen eigenen Staat benötigen. Indien versteht sich demgegenüber als säkularer, demokratischer Staat, in dem alle Religionen miteinander leben können.

Der Fürstenstaat Kaschmir, aus dem Nehru stammte, hielt sich die Entscheidung über einen Anschluß an einen der beiden Staaten bzw. eine Unabhängigkeit offen. Einerseits stellen die Muslime dort zwei Drittel der Bevölkerung, andererseits wurde es von einem Hindu-Fürsten regiert.

1948 versuchten pakistanische Freiwillige, später die pakistanische Armee, auch in Kaschmir die Zwei-Nationen-Doktrin zu verwirklichen - mit Waffengewalt und angeblich, um ihren "muslimischen Brüdern zu helfen". Indien hielt dagegen - angeblich, um dem Fürsten zu helfen, sein Land zu verteidigen. Und das führte zum ersten Krieg zwischen Indien und Pakistan um Kaschmir.

Unter Vermittlung der Uno endete der Krieg mit einer Aufteilung Kaschmirs - zu einem Drittel in einen pakistanischen und zu zwei Dritteln in einen indischen Teil. Später sollte mittels einer Volksabstimmung in Kaschmir über die Zukunft entschieden werden. 40 UN-Beobachtungsposten wurden entlang einer Waffenstillstandslinie eingerichtet, die sich dort bis heute befinden. Zur Volksabstimmung kam es bislang nicht - wegen einer Weigerung Indiens.

Die Waffen wurden nicht begraben. Vier weitere Kriege wurden zwischen Indien und Pakistan geführt, drei davon im Zusammenhang mit der Kaschmirfrage. Hinzu kam noch ein Konflikt zwischen Indien und China, der zur Folge hatte, daß auch China sich einen kleinen Teil Kaschmirs aneignete. Mit China kam damit in Kaschmir ein Gegner ins Spiel, der Indien - im Gegensatz zu Pakistan - militärisch deutlich überlegen ist.

Die ausländischen Söldner, die im innerindischen Kaschmir-Konflikt eine immer größere Rolle spielen, stellen nun ein Problem dar. Es ist fast unmöglich geworden, den innerstaatlichen von dem zwischenstaatlichen Krieg abzugrenzen. Einerseits kämpfen die Söldner an der Seite einheimischer Separatisten. Andererseits sind es gerade die Söldner - militärisch strukturierter und besser ausgebildet -, die diesen Krieg mit verändertem Ziel, dem Anschluß an Pakistan, noch in Gang halten. Von Anfang an behauptete Indien, daß sie Unterstützung und Ausbildung direkt von Pakistan erhalten; insofern handele es sich bei ihnen im Grunde direkt oder indirekt um Söldner Pakistans.

Pakistan hingegen beteuerte immer wieder, daß es die Söldner nur moralisch, nicht aber materiell unterstütze. Das dürfte kaum der Wahrheit entsprechen. Im Zusammenhang mit der US-Bombardierung einiger "Terroristen-Ausbildungslager" Ussama Bin Ladens in Afghanistan im letzten Jahr wurden auch Lager der pro-pakistanischen Harkat-ul Ansar getroffen. Nach unabhängigen Medienberichten handelte es sich bei den Toten in diesen Lagern zum Teil um pakistanische Militärs. Und das beweist die aktive Mitwirkung Pakistans bei der Ausbildung der Harkat-ul Ansar-Söldner. Genau diese Gruppe ist es aber, die Ende April dieses Jahres die Waffenstillstandslinie bei Kargil überquerte und momentan für Schlagzeilen sorgt.