Vom Strich in die Zelle

Nur ein Beispiel für rot-grüne Flüchtlingspolitik in Nordrhein-Westfalen: Im Neußer Frauenabschiebegefängnis sitzen 65 Migrantinnen ein

Die Lokalpresse sollte recht behalten. Nachdem im Februar 1994 das damals größte Abschiebegefängnis der Bundesrepublik im ostwestfälischen Büren eröffnet worden war, geriet das Sondergefängnis tatsächlich zum "Anziehungspunkt der Szene".

Wie von den örtlichen Journalisten prophezeit, erschienen "Wandschmierereien mit politischen Parolen" an den Häuserwänden, "Flugblattaktionen" irritierten die Bürgerinnen und Bürger, und - im erzkonservativen Landkreis Paderborn eine Ungeheuerlichkeit - selbst eine Wallfahrtstätte verschonten die Flüchtlingsaktivisten nicht, um auf die unchristlichen Vorgänge im benachbarten Gefängnis aufmerksam zu machen. Die größte Aufregung jedoch entstand Jahr für Jahr im Frühling, wenn bis zu 2 000 Menschen, begleitet von mindestens ebensovielen Polizisten, durch das Dorf und vor die Mauern der versteckt im Wald gelegenen Haftanstalt zogen.

Organisiert von einem Netzwerk antirassistischer Gruppen, die den Bau in Büren als "handfestes Symbol für die systematische Ausgrenzung, Aussonderung und Abschiebung von Flüchtlingen" anprangerten, galten die jeweils zwischen Ostern und Pfingsten durchgeführten Demonstrationen dem Verfassungsschutz als "herausragende Veranstaltung der linksextremistischen Szene". Diese selbst sah die Kundgebungen als "wichtigen Kristallisationspunkt für den Widerstand gegen die herrschende Flüchtlingspolitik bundesweit".

Nach vier Jahren fast schon Routine, brechen die Aktiven nun mit dieser Tradition: Nicht in Büren, sondern vor dem vergleichsweise kleinen und unbekannten Frauenabschiebeknast in Neuß bei Düsseldorf soll am kommenden Samstag die diesjährige zentrale Kundgebung stattfinden.

Inmitten eines städtischen Wohngebietes liegt dort die vor sechs Jahren fertiggestellte Einrichtung. Und nicht nur von der Lage her unterscheidet sich die Neußer Frauenhaftanstalt von dem im Wald gelegenen Gefängnis in Büren: Weder ist sie umringt von meterhohen Betonmauern, noch sorgen Schwarze Sheriffs oder spezielle "Bunkerzellen" für Gehorsam unter den Häftlingen. Auch die aus Büren bekannt gewordene "Schaukelfesselung" müssen die Gefangenen nicht über sich ergehen lassen.

Alles ist anders als im berüchtigten Büren - und scheinbar völlig unskandalös: Kollektive Hungerstreiks, Geiselnahmen oder andere von den Abschiebehäftlingen selbst angezettelte Proteste - Fehlanzeige. Der Normalzustand in der JVA Neuß blieb solange unbeobachtet, bis zunächst nur feministische Gruppen damit anfingen, die besonderen Probleme der Migrantinnen dort zu thematisieren.

Daß es überhaupt dazu kam, hat das antirassistische Spektrum nicht zuletzt der Landesregierung in Düsseldorf zu verdanken. Während andere Bundesländer zu Beginn der neunziger Jahre noch mit dem Aufbau lagerähnlicher Asylunterkünfte beschäftigt waren, ließ das Land Nordrhein-Westfalen in kurzer Zeit acht Flüchtlingsgefängnisse errichten: Dem massenhaften Vollzug von Abschiebehaft verhalf die Regierung so erst zum Durchbruch. Zu Spitzenzeiten saßen bis zu 1 500 Männer und Frauen in den Gefängnissen - ebenso viele wie in allen anderen Bundesländern zusammengenommen.

Als 1995 dann die SPD ihre absolute Mehrheit im Parlament verlor und die Bündnisgrünen mit in die Regierung nahm, ließ Rot-Grün die Mehrzahl der Anstalten schließen. Lediglich zwei - abgesehen von der ebenfalls zur Schließung vorgesehenen Anstalt in Moers - Flüchtlingsgefängnisse blieben übrig. Hinter deren Gittern jedoch müssen immer noch rund 500 Abschiebehäftlinge auf ihre Rückführung warten: 400 Männer in der Betonfestung von Büren; rund 65 weibliche Gefangene in Neuß.

Nur wenige der Frauen dort sind abgelehnte Asylbewerberinnen. Die meisten haben vor ihrer Inhaftierung illegal in Deutschland gelebt, kommen aus Afrika und Asien, aus Lateinamerika oder den GUS-Staaten. Fast alle sind sind ohne Familie hierher geflohen, mußten sich auf dem internationalen Heiratsmarkt feil bieten, sich für einen Hungerlohn als Küchenhelferin oder in der Sexindustrie verdingen, um der Situation im Herkunftsland zu entkommen.

Untergebracht sind die Frauen in Mehrbettzellen - häufig zusammen mit anderssprachigen Leidensgenossinnen. Anders als noch in den ersten vier Jahren, geht die Dauer des täglichen Hofgangs inzwischen über eine Stunde hinaus. Nachdem ehrenamtliche Betreuerinnen Druck gemacht hatten, bietet die Gefängnisleitung nun im Sommer Sportkurse an, im Winter werden dafür die Umschlußzeiten verlängert. Ein Nähkurs ist das ganze Jahr über im Programm. Daß die Gespräche mit den Betreuerinnen nicht mehr auf die eine Stunde Besuchszeit pro Woche angerechnet werden, ist einer der kleinen Erfolge.

Nur schwer lassen sich Verbesserungen durchsetzen - und doch haben sich Gefangene mit Helferinnen von außen zusammengeschlossen. Seit Jahren schon appellieren sie an die Anstaltsleitung, bzw. die zuständigen Ausländerämter, endlich eine Frau für die Gesundheitsversorgung einzustellen. Auch mit der zum Haftantritt üblichen Begrüßung, bis auf einen Betrag zwischen 50 und 200 Mark alles Geld zu konfiszieren, das die Frauen bei ihrer Verhaftung in der Tasche haben, müsse Schluß sein - und allen Inhaftierten der freie Zugang zu einem Telefon endlich ermöglicht werden.

Denn offiziell sind Telefonate nur unmittelbar nach der Inhaftierung und am Tag vor der Abschiebung gestattet; praktisch möglich jedoch auch über eine Warteliste der freiwilligen Sozialarbeiterinnen - oder die hautnahe Inkaufnahme des einen oder anderen Schließers. Als diese Praxis bei den gefangenen Migrantinnnen auf scharfe Proteste stieß, übernahm zwar vorübergehend eine Frau die medizinische Betreuung in der Anstalt. Inzwischen aber ist wieder ein Sanitäter im Einsatz. Die Bemerkung: "Du hast doch nichts anderes zu tun, als die Beine breit zu machen", dürfte nur ein Beispiel für die Behandlung sein, die die Inhaftierten seitdem wieder über sich ergehen lassen müssen.

Anna Matoussevieck von der Frauenberatungsstelle Düsseldorf, die sich regelmäßig für die Belange der Frauen im Neußer Gefängnis einsetzt, kann weitere Schlaglichter auf die dortige Situation werfen. "Halt die Fresse, oder denkst du etwa, du sprichst deutsch", sei eine Russin angeschrien worden, nichts anderes getan hatte, als für eine Mitgefangene zu dolmetschen. Auf die Frage, warum sich die in Neuß oder anderswo inhaftierten Migrantinnen im Unterschied zu männlichen Abschiebehäftlingen noch nie mit organisierten Protesten gegen ihre Mißhandlungen gewehrt hätten, antwortet sie nur: "Das liegt an der Frauenart, die Schuld bei sich selbst zu suchen."