Entschädigung für NS-Opfer passé

Class Action Now!

Als sich am vergangenen Donnerstag in Washington D. C. Vertreter deutscher Unternehmen und der deutschen und der US-Regierung mit Anwälten ehemaliger Zwangsarbeiter und Vertretern jüdischer Organisationen zusammensetzten, rechneten letztere mit einer weiteren Runde zäher, ergebnisloser Gespräche, die die Bezeichnung Verhandlungen nicht ansatzweise verdienen. Geht es doch seit Monaten ausschließlich um die Rechtssicherheit der deutschen Unternehmen, die sie im Tausch gegen Almosen vor den Entschädigungsansprüchen ehemaliger Arbeitssklaven schützen soll.

Die deutsche Seite wartete diesmal allerdings mit einer kleinen Überraschung auf: Während man in Washington redete, präsentierten die 16 in der Stiftungsinitiative "Erinnerung, Verantwortung, Zukunft" zusammengeschlossenen Unternehmen auf einer Pressekonferenz in Berlin ihr Konzept der "humanitären Hilfe" - ein Konzept, das nicht nur weit hinter die Vorstellungen zurückfällt, die vor einigen Monaten überhaupt Gespräche zwischen der deutschen Seite und den Klagevertretern möglich machten, sondern das Ende der Gespräche bedeuten könnte.

Die Zahlungen sollen an das jeweilige Rentenniveau des Landes angepaßt werden, in dem der Antragsteller lebt, der mindestens sechs Monate Zwangsarbeit geleistet haben muß. In vielen osteuropäischen Ländern liegt das Rentenniveau unter dem Existenzminimum. Die 16 Unternehmen, die in den USA von Class Actions - Sammelklagen - bedroht sind, spekulieren darauf, daß die Überlebenden, wegen ihres Alters und ihrer sozialen Situation, nicht noch jahrelange Prozesse in Kauf nehmen. Die Washington Post zitiert Experten, die dieses Vorgehen als "starkes Stück einer legalen Erpressung" bezeichnen. Und als "absolut unannehmbar" bezeichnete die Anwältin Deborah Sturman, daß die Nachkommen der Täter die Opfer in Gruppen einteilen, sie mit lächerlichen Beträgen abzuspeisen versuchten und das auch noch als "humanitäre Hilfe" bezeichneten.

Als bekannt wurde, daß die Pressekonferenz in Berlin stattfindet, verließen die Anwälte der Überlebenden die Gespräche und kündigten auf einer eilends einberufenen Pressekonferenz an, nun die Bundesrepublik als Nachfolgestaat des "Dritten Reiches" verklagen zu wollen. Vor allem geht es ihnen - anders als in der deutschen Öffentlichkeit dargestellt - um die Gleichbehandlung der Überlebenden in Osteuropa und den westlichen Staaten. Nach Informationen des Spiegel hatte Michael Hausfeld, einer der Anwälte, ein eigenes Konzept vorgelegt, auf das die Unternehmen nun mit einem eigenen Vorschlag reagierten.

Hausfelds Konzept sieht demnach vor, alle Zwangsarbeiter (und nicht nur die der deutschen Industrie) zu entschädigen, und zwar mit der gleichen Summe. Für besonders schwer Geschädigte soll es einen zusätzlichen Fonds geben, außerdem sollen auch Angehörige berücksichtigt werden. Die Kontrolle des Fonds soll auf keinen Fall in den Händen der Unternehmen selbst liegen. Darüber hinaus sollen sämtliche Dokumente über die Zwangsarbeit auf Kosten der Unternehmen kopiert und im Holocaust-Museum von Washington archiviert werden. "Der Hausfeld-Plan", so der Spiegel, "trägt alle Züge einer Abstrafung der deutschen Wirtschaft". Und das will diese, nachdem sie über ein halbes Jahrhundert lang unbehelligt blieb, natürlich vermeiden.

"Die Unternehmen haben den Gesprächsprozeß sabotiert", reagierte Hausfeld auf den "einseitigen Vorstoß" der deutschen Industrie - Bundeskanzleramtsminister Bodo Hombach hatte zu Beginn der Gespräche noch zugesagt, daß es keinen Alleingang der Unternehmen geben werde. Daß aber die Bundesregierung von diesem Vorstoß überrascht wurde, ist kaum anzunehmen. Die politischen Bedingungen, die vor einem knappen Jahr eine schnelle Antwort auf die Entschädigungsforderungen opportun erscheinen ließen, haben sich grundlegend geändert: Deutschland brauchte sich nur solange als geläutert zu präsentieren, wie es nötig war, um sich glaubwürdig "an der Seite der alten Demokratien" (Jürgen Habermas) an einem Krieg beteiligen zu können. Nun, wo das Unternehmen Kosovo-Krieg für Deutschland nicht nur glimpflich, sondern unerwartet erfolgreich verlaufen ist, braucht es keine Rücksichten mehr zu nehmen. Der politische Druck, den die Überlebenden und ihre Anwälte noch vor wenigen Monaten auszuüben in der Lage waren, ist jetzt nicht einmal mehr ein Störfeuer. Den Überlebenden bleibt nichts anderes übrig, als ernst zu machen mit den Klagen und den Boykottdrohungen gegen deutsche Unternehmen.