Freiheit für den Kameraden

In Kroatien steht ein ehemaliger KZ-Kommandant vor Gericht. Ustascha-Anhänger und Präsident Tudjman setzen sich für ihn ein

Könnte man in Wien oder in Berlin die Memoiren eines hohen SS-Führers feierlich präsentieren? Wohl kaum. In Zagreb ist das kein Problem: 1999 wurde bereits der zweite Band der Memoiren des Ustascha-Führers Ante Pavelic vorgestellt. Pavelic war von 1941 bis 1945 Führer des klerikal-faschistischen Regimes. Ihm zu Ehren liest Vjekoslav Lasic, ein Dominikanerpater aus Zagreb, zweimal im Jahr in der Uniform der Ustascha, eine Messe - ohne von seiner Kirche diszipliniert zu werden.

Im Mai 1999 gingen Ustascha-Anhänger unter der Führung von Lasic in Zagreb mit Steinen und Stöcken gegen eine antifaschistische Demonstration vor, die an den Sieg über die Nazis erinnern sollte. Unter den Augen der Polizei wurden einige Teilnehmer blutig geschlagen und aufgefordert, "nach Serbien zu gehen". Am lautesten aber waren die Rufe: "Es lebe Dinko Sakic!"

Am 15. März begann in Zagreb der Prozeß gegen Dinko Sakic, der von 1942 bis Ende 1944 im KZ Jasenovac, zuletzt als Kommandant, tätig war. Das KZ Jasenovac ist ein Inbegriff für die Verbrechen des Ustascha-Regimes; es war ein Vernichtungslager, in dem Hunderttausende Menschen umgebracht wurden.

Sakic trat 1942 der Ustascha-Sicherheitspolizei bei, machte schnell Karriere und wurde stellvertretender Kommandant der KZ Stara Gradiska und Jasenovac, wo er 1944 sogar Kommandant werden konnte. Wie viele kroatische Täter konnte auch Sakic 1945 mit Hilfe des katholischer Klerus nach Argentinien fliehen, wo er bis 1998 lebte. 1994 besuchte Kroatiens Präsident Franjo Tudjman Argentinien und empfing auch den ehemaligen KZ-Kommandanten.

Sakic erklärte damals in einem Interview: "Es tut mir leid, daß wir nicht alles, was uns zugeschrieben wird, getan haben, denn hätten wir das damals getan, hätte Kroatien heute keine Probleme, niemand könnte Lügengeschichten schreiben." Darüber hinaus habe es in Jasenovac keine Massenmorde gegeben; die "Sterblichkeit war natürlich und normal". Und weiter: "Wenn wir Erschießungen vornahmen, geschah das immer aufgrund von Gesetzen. Ich sage Ihnen, daß der Rechtsstaat funktionierte." Reue jedenfalls zeigte Sakic nicht: "Ich bin stolz auf alles, was ich getan habe. Würde mir heute die Möglichkeit geboten, in dasselbe Amt zu gelangen, würde ich es annehmen!"

In Kroatien reagierte damals keine offizielle Stelle auf dieses Interview; erst nachdem Sakic dem argentinischen Fernsehen ein Interview gab und seine Aussagen wiederholte, wonach im KZ Jasenovac niemand getötet oder gefoltert worden sei, verlangte Argentiniens Präsident Carlos Menem einen Haftbefehl gegen Sakic.

Damit geriet Kroatien in Zugzwang. Um der zunehmenden internationalen Kritik zu begegnen, wurde gegen Sakic in Kroatien Anklage erhoben. Allerdings beabsichtigt Kroatien, auch ehemalige Partisanen vor Gericht zu stellen, weil diese während des Zweiten Weltkrieges und danach Mitglieder der Ustascha getötet hatten.

Efraim Zuroff, Leiter des Wiesenthal-Zentrums in Jerusalem, der den Sakic-Prozeß in Zagreb beobachtet, wurde Zeuge von antisemitischen Vorfällen im Gerichtsgebäude, nachdem Sakic erklärt hatte: "Ich fühle mich in jedem einzelnen Anklagepunkt absolut unschuldig." Jeden Tag kämen Dutzende Faschisten in den Gerichtssaal, um ihre Sympathie mit dem Angeklagten auszudrücken und Zeugen einzuschüchtern, so Zuroff. In Gegenwart der Zagreber Polizei würden Flugblätter der "Neuen kroatischen Rechten" verteilt, in denen die Verbrechen der Ustascha geleugnet und "Freiheit für den Kameraden Dinko Sakic" gefordert wird.

Die meisten der 30 Zeugen, die Jasenovac überlebten, haben ausgesagt, sie hätten Sakic niemals gesehen, oder wollten sich nur daran erinnern, daß dieser immer eine saubere Uniform und Stiefel getragen habe. Einige Zeugen, die aus Belgrad hätten kommen müssen, fürchteten um ihr Leben und verzichteten auf die Reise nach Zagreb.

Diejenigen, die es trotzdem gewagt haben auszusagen, begaben sich in Lebensgefahr. "Ein Polizist sagte mir, ich sollte mich schämen, daß ich einen Kroaten mit Dreck bewerfe", sagte Simo Klaic der Nachrichtenagentur Reuters. Klaic wurde als kroatischer Kommunist zu Zwangsarbeit im KZ Jasenovac verurteilt. Er erinnerte sich im Gerichtssaal an die Massenmorde und daran, daß man bereits 1942 Kinder mit Giftgas ermordet hatte. Auch Mirjana Radman, die im Sommer 1942 als Zehnjährige nach Jasenovac deportiert wurde, erinnert sich daran. Nachdem ihre Angehörigen ihre kroatische Abstammung beweisen konnten, wurde sie aus dem KZ entlassen.

Auffällig ist, daß Staatspräsident Franjo Tudjman, ein ehemaliger Partisan und Kommunist, beim Verharmlosen der Ustascha-Verbrechen eine führende Rolle spielt. Bereits 1993 veröffentlichte er auch in deutscher Sprache sein revisionistisches Buch "Irrwege der Geschichtswirklichkeit", in dem er die Ustascha zu rehabilitieren versuchte. So schreibt Tudjman: "Ich bin seit langem zu der Erkenntnis gekommen, daß die aufgeblähte Darstellung der Ustascha-Verbrechen von bestimmten Leuten bewußt vorangetrieben wurde, die dafür ihre besonderen Gründe hatten."

Die 1929 gegründete Ustascha hatte Elemente der NS-Ideologie übernommen, vor allem soweit sie sich auf die Juden bezogen. Hitlers Entschluß im April 1941, in einem Teil Jugoslawiens einen kroatischen Satellitenstaat zu schaffen und diesen von der Ustascha regieren zu lassen, brachte Pavelic und seine Organisation an die Macht.

Die Folge: vier Jahre Massenmorde an Serben, Juden und Roma. Dennoch erklärte Präsident Tudjman unlängst: "Der Prozeß wird mit großer Wahrscheinlichkeit beweisen, daß die von den Kommunisten genannten Zahlen der Opfer falsch sind. In Jasenovac hat man nicht mehr als 40 000 Menschen getötet und in allen kroatischen Internierungslagern nicht mehr als 60 000. Wenn der Prozeß gut geführt wird, dann wird diese Wahrheit bestätigt."

Der Prozeß gegen Dinko Sakic soll im Juli zu Ende gehen. Zwar ist möglich, daß man ihn verurteilen wird; jedoch ist damit zu rechnen, daß Tudjman ihn anschließend amnestiert. Anlaß: das nahende zehnjährige Jubiläum der Gründung des kroatischen Staates.