Geheimnisvoller Deal

Der algerische Präsident verhandelt mit dem fundamentalistischen FIS

Es ist die Zeit der wichtigen Briefe in Algerien. Der letzte wurde am Donnerstag vergangener Woche bekannt. Er trägt die Unterschrift von Abassi Madani, dem Chef der seit 1992 verbotenen fundamentalistischen Partei FIS (Front Islamique du Salut). Das Schreiben Madanis war - "im Namen Gottes, des Milden und Barmherzigen" - an Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika gerichtet. Und es wurde noch am Abend in der Nachrichtensendung des algerischen Fernsehens verlesen.

Zuvor war es zu einem Schriftwechsel zwischen dem Staatschef und Madani Mezrag gekommen, dem Chef der 1993 als bewaffneter Arm der vom FIS gegründeten Armée Islamique du Salut (AIS). Auf diesen Schriftverkehr bezog sich auch der FIS-Prediger: "Ich kann nur meine volle und rückhaltlose Unterstützung für die von Madani Mezrag, Emir der Armée Islamique du Salut, eingenommene Position der Einstellung des Kampfes bekräftigen."

Mezrag hatte sich in zwei Schreiben vom 1. und 5. Juni an den Staatschef gewandt. Der antwortete ihm zunächst in Form einer - autorisierten - Meldung der algerischen staatlichen Nachrichtenagentur APS und vier Tage darauf, am 6. Juni, in Form eines offiziellen Kommuniqués.

In seinem ersten Brief hatte der AIS-Chef dem Staatschef folgendes Angebot unterbreitet: "O respektabler Präsident, zweifellos haben Sie von dem Waffenstillstand Kenntnis, den die AIS zum 1. Oktober 1997 ausgerufen hat und in dem sie ihre vollkommene Bereitschaft verkündet, im Rahmen einer gerechten und legitimen Lösung mit allen Gerechten unter den Kindern dieses Vaterlandes für das Ende des Blutvergießens, die Rückkehr des Friedens und der Stabilität im Lande zusammenzuarbeiten. (...) Dennoch haben handelnde Teile der Machthaber dafür gesorgt, daß sich dies nicht realisierte, (...) was die Nation eine große Chance verpassen und die Krise fortdauern ließ."

Damit spielte Mezrag auf die im August 1997 abgegebene Erklärung der AIS an, vom 1. Oktober desselben Jahres an ihre Waffen ruhen zu lassen. In den von ihr kontrollierten Gebieten im Nordosten des Landes hielt die AIS die damalige Waffenruhe weitgehend ein. Die folgenden Massaker an der Zivilbevölkerung gehen überwiegend auf das Konto der Bewaffneten Islamischen Gruppen (GIA), die von den Parteistrukturen des FIS - im Gegensatz zur AIS - nicht mehr kontrollierbar sind.

Zur offiziellen Verkündung eines Waffenstillstandsabkommens zwischen dem algerischen Staat und der AIS kam es jedoch nicht. Vermutlich sperrte sich ein Teil des politisch übermächtigen Militärapparates gegen eine solche Anerkennung einer bewaffneten Fundamentalistengruppe als Verhandlungspartner, zumal deren militärische Bedeutung im Vergleich zu den GIA ausgesprochen gering erschien.

Dennoch hatten das von der Armee kontrollierte Regime und der FIS verhandelt, bevor die AIS die Waffenruhe erklärte. Draufhin war am 8. Juli 1997 die Nummer drei des FIS, Abdelkader Hachani, aus dem Gefängnis entlassen worden. Und eine Woche darauf wurde die Nummer eins der Partei, Abassi Madani, aus dem Knast in eine Art Hausarrest in Algier überführt. Die ultraradikale Nummer zwei der Partei, Ali Benhadj, blieb bis heute in Haft wegen seiner Nähe zu den GIA.

Die Kompromißlösung zwischen AIS bzw. FIS und algerischem Staat war also 1997 gewissermaßen steckengeblieben. Ihr wieder auf die Sprünge zu helfen, ist das Anliegen von Mezrag in seinem Schreiben an Präsident Bouteflika: "Exzellenz, wir setzen Sie in Kenntnis, daß wir, sobald Sie die Initiative ergreifen, die von Ihrer Seite erwartet wird, und dem Waffenstillstand die gesetzliche Basis und die politische Stütze verleihen, wie Sie versprochen haben, in einem unzweideutigen Kommuniqué unsere ernsthafte Zusammenarbeit verkünden werden." Und im gleichen Atemzug wird angekündigt, daß die AIS die bewaffnete Aktion einstellen werde, "mit Ausnahme von dem, was das Projekt vorsieht, mit dem wir im Rahmen des Vereinbarten betraut sein werden".

Womit die islamistische Terrororganisation "betraut sein" wird, darüber herrscht Rätselraten in der algerischen Öffenlichtkeit. Die Staatsspitze hüllt sich bislang in Schweigen. Aber es gibt einige Anhaltspunkte. Aus dem Text Mezrags vom 1. Juni geht hervor, daß es darum gehe, "die Aktion der Kriminellen unter den Überbleibseln der abweichlerischen GIA einzudämmen". Im zweiten Schreiben des AIS-Chefs vier Tage später heißt es, seine bewaffneten Anhänger würden "im Dienste der Verteidigung des Volkes und der Verteidigung des Vaterlandes (stehen), im Rahmen des Vereinbarten und unter der Autorität des Staates".

Soll es darum gehen, daß der bisherige bewaffnete Arm des FIS als eine Art eigenständiger Miliz in nunmehr legaler Form neben den bewaffneten Staatsorganen weiterexistieren oder in deren Reihen integriert wird - im Austausch gegen das Versprechen, künftig bei der Bekämpfung der GIA zu helfen? Das ist nicht eindeutig zu beantworten, denn auch die politischen Gegenleistungen, die Präsident Bouteflika den bewaffneten Fundamentalisten gemacht hat, sind nicht bekannt.

Bouteflika selbst spricht in seinen Verlautbarungen von einer "juristischen Basis, die dieser mutigen Initiative" alsbald "gegeben" werde. Voraussichtlich ist damit ein Amnestiegesetz für die Mitglieder bewaffneter islamistischer Organisationen gemeint. Und auch in den präsidialen Verlautbarungen ist die Rede von der Bereitschaft der bisherigen AIS-Kämpfer, "dazu beizutragen, im Rahmen des Gesetzes und unter der Autorität des Staates mit allen Mitteln gegen den Terrorismus und die Zerstörer zu kämpfen".

Einer gezielten Indiskretion der britischen Agentur Reuters zufolge soll auch FIS-Chef Abassi Madani wegen der jüngsten Vereinbarungen bald volle Bewegungsfreiheit genießen. In der letzten Maiwoche hatte die in London erscheinende arabische Zeitung Ezzaman enthüllt, der am 15. April "gewählte" Präsident Bouteflika habe Abassi Madani in den letzten Wochen zwei Mal "auf den Höhen von Algier" getroffen. Die algerische Zeitung Le Matin schreibt von seinen Kontakten zu AIS- und FIS-Prominenten schon vor seiner offiziellen Aufstellung als Präsidentschaftskandidat der Militärs. Im Wahlkampf hatte sich Bouteflika ständig für die "nationale Versöhnung" und die Wiedereingliederung der Islamisten in die Gesellschaft ausgesprochen. Nach seiner "Wahl" - ohne Gegenkandidaten - nun überstürzen sich die Ereignisse.

Bereits 1993/94 hatten weit fortgeschrittene Verhandlungen zwischen der damals offen regierenden Armee und dem FIS stattgefunden. Die aber wurden Ende September 1994 abgebrochen, nachdem ein unvorhergesehener Zwischenfall die Doppelstrategie der - oder zumindest einiger - FIS-Chefs offengelegt hatte. Bei einem erschossenen GIA-Führer wurde ein Brief von Ali Benhadj gefunden, in dem er die Terrorgruppen aufforderte, mit ihren Massakern fortzufahren und psychologischen Druck zu entfalten, um das Kräfteverhältnis in den Verhandlungen zu verändern. Damals glaubten die FIS-Führer an die bevorstehende Errichtung einer Islamischen Republik. Und auch in Berichten der CIA wurde für 1995 eine islamistische Machtübernahme vorhergesagt.

Wenn heute der FIS Teil einer Verhandlungslösung mit dem Regime ist, stellt sich die Frage, ob dies vorrangig darauf zurückzuführen ist, daß diese Perspektive in die Ferne gerückt ist und sich wachsende Bevölkerungsteile von ihr distanzieren - oder aber, ob ihnen auch handfeste Vorteile zugesagt wurden. Das aber hieße, "die militärische Niederlage (des Fundamentalismus) doch noch in einen politischen Sieg zu verwandeln", warnen Skeptiker in Algeriens Presse.