Panzer marsch ins Kosovo

Los geht's: Deutsche Soldaten finden mit Hilfe des Bundestages zur Tradition der Auslandseinsätze zurück

Plötzlich ging alles ganz schnell. Schüsse von vorne, Schüsse von hinten, ein Fahrzeug steht auf der Straße. Aus den Panzern wird zurückgeschossen. Im Auto bleibt ein Serbe tot zurück.

Kaum waren sie vergangenen Sonntag im kosovarischen Prizren angekommen, forderte der Kfor-Einsatz deutscher Soldaten bereits einen Toten. Erst am Vortag hatte sich die erste Aufklärungseinheit mit ihren Kampf- und Schützenpanzern vom mazedonischen Tetovo aus in Richtung Prizren auf den Weg gemacht. Dabei sollten die 180 Soldaten, so hatte Verteidigungsminister Rudolf Scharping angekündigt, eigentlich bereits am Freitag losziehen.

Verzögerungen gab es vor allem durch die akute Minengefahr. Fast die gesamte Grenzregion nach Mazedonien und Albanien war von der jugoslawischen Armee stark vermint worden. Briten und Franzosen mußten folglich vor dem Passieren der Militärkonvois die Sicherheit der Straßen testen. Angesichts dieser Gefahren war ausgehandelt worden, daß die deutsche Einheit mit ihren 40 Fahrzeugen Kontakt mit der jugoslawischen Armee aufnehmen sollte. Die bisherigen Hausherren sollten wegen der Minen vor den Bundeswehrpanzern herfahren.

Der Bundestag hatte die Aufstockung des deutschen Kontingents auf 8 500 Soldaten zur Teilnahme an dieser angeblich größten Militäroperation seit dem Zweiten Weltkrieg buchstäblich in letzter Minute ermöglicht. Das klingt dramatisch, hatte aber wohl eher die Kenntnis des genauen Zeitplanes des Einmarsches der Kfor-Truppen zum Hintergrund. Zudem war das Abstimmungsergebnis vorab klar und Widerstand nur aus den Reihen der PDS zu erwarten. Und so stimmten 505 der 669 Abgeordneten dafür, sich mit bewaffneten Streitkräften an der Besetzung des Kosovo zu beteiligen. Elf Enthaltungen notierte das Protokoll, 129 Abgeordnete nahmen gar nicht erst an der Abstimmung teil. Darunter wohl auch etliche PDS-Vertreter, denn lediglich 24 von ihnen hielten dagegen. Für seine Fraktion kritisierte Gregor Gysi, daß die Nato einen "völkerrechtswidrigen Angriffskrieg" geführt hätte. Die These von der erfolgreichen Doppelstrategie aus Bombenangriffen und diplomatischen Verhandlungen hielt er für gefährlich. Das würde regelrecht nach Wiederholung rufen.

Eher hinter den Kulissen spielte sich ähnliche Kritik bei den Grünen ab. Der Berliner Christian Ströbele sprach sich gegen den Mandatierungsantrag der Regierung aus. Das Papier enthalte "so gut wie nichts" zur Entwaffnung der UCK. Außerdem würden die verheerenden Luftschläge der Nato so im Nachhinein legitimiert. Das verhindere seine Zustimmung und die fünf weiterer Fraktionskollegen. Derartiges wurde natürlich nicht am Rednerpult im Bundestag geäußert, sondern zuvor bei einer Probeabstimmung in der Fraktion.

Die sechs Grünen wollten wohl ihrem Außenminister an diesem Tag den Triumph im Parlament nicht verderben. Sie entschärften ihr Nein und enthielten sich der Stimme. Wohl wissend, daß Fischer die einstigen Pazifisten weiter vor sich hertreiben wird. In der Fraktionssitzung hatte er zuvor eingeräumt, daß die Entsendung von Militär zur Friedenserzwingung natürlich einen Verstoß gegen das Parteiprogramm darstelle. Doch das sei gewollt, "weil das Programm falsch ist".

Und in der Tat war Fischer im Plenarsaal mit Beifall empfangen worden. Von den Grünen gab es Blumensträuße, vom Kanzler ein Schulterklopfen. Die rechte Atmosphäre für fromme Wünsche. Und so ließ Fischer während seiner Regierungserklärung zu Jugoslawien wissen, er hoffe, daß die jetzt beendete Auseinandersetzung der letzte Krieg in Europa gewesen sei. "Dies war ein Krieg, damit der Krieg als Mittel der Politik der Vergangenheit angehört." Eine seltsame Logik nach der Wiederentdeckung des Luftkriegs in Europa.

Scharping, der um die Gefährlichkeit des Einsatzes weiß, wünschte den ins Kosovo einrückenden Soldaten aus der Ferne immerhin eine "gesunde Heimkehr". Der Vertreter der neuen Militärmacht im Kosovo versprach im Bundestag in einer schönen Wort-Pirouette, daß an die Stelle des Unrechts der Macht nun die Macht des Rechts treten würde. Immerhin äußerte er auch Trauer darüber, daß man serbischen Zivilisten Leid zugefügt habe. Eine nette Umschreibung für 5 000 tote Soldaten, 1 200 tote Zivilisten und eine völlig zerstörte Infrastruktur Jugoslawiens.

Derweil machte sich der größte Teil des 4 700 Mann starken deutschen Heereskontingents von Tetovo aus auf den Weg nach Prizren. Immer auf den Fersen der jugoslawischen Armee, die in Etappen bis zum Sonntag dieser Woche vollständig aus dem Kosovo abgezogen sein muß. Zwar sind es nach Prizren nur 30 Kilometer Luftlinie, dazwischen aber liegt das Bergmassiv des Sar Planina. So müssen die Hauptkräfte einen 400-Kilometer langen Umweg über Albanien auf kurvigen Bergstraßen in Kauf nehmen.

Brigadegeneral Fritz von Korff, der Leiter des deutschen Kontingents, ist sich mit Blick auf den anstehenden Einsatz sicher, "daß wir keine Schwierigkeiten bekommen. Und wenn, dann werden wir sie überwinden". Gemeint sind wohl verbitterte UCK-Freischärler, die sich nicht entwaffnen lassen wollen, oder versprengte serbische Paramilitärs. Dafür ist jeder Soldat vorerst mit 150 Schuß Munition ausgerüstet.

Bleibt die Frage, ob sich die Bundesrepublik diese gepanzerte Außenpolitik überhaupt noch leisten kann. Schon die 240 Harm-Raketen, die bei 390 Einsätzen gegen Ziele in Jugoslawien verschossen wurden, kosteten 260 Millionen Mark. Der Gesamteinsatz aber könnte länger als drei, vielleicht gar zehn oder 15 Jahre dauern. Das geht ins Geld. Allein die Aufstockung des Kosovo-Kontingents um 2 500 Mann wird die Kosten um jährlich 300 Millionen Mark in die Höhe treiben. Gesamtkosten aller Militäraktionen im Kosovo-Konflikt für dieses Jahr: 816 Millionen Mark.

Im Jahr 2000 wird mit einer weiteren Steigerung auf 1,25 Milliarden gerechnet. Da erst 441 Millionen Mark davon bewilligt sind, soll der Rest "aus Haushaltsmitteln der allgemeinen Finanzverwaltung gedeckt" werden. Solche Summen scheinen trotz des Spardiktats des Bundesfinanzministers kein Problem mehr zu sein. Scharping berief sich in Gesprächen mit Hans Eichel (SPD) schlicht auf die Leistungsfähigkeit der Truppe und das Ansehen Deutschlands in der Welt. Das hat gewirkt.

Dennoch lebt die Bundeswehr auf zu großem Fuß. Ab Sommer werden in Bosnien, im und um das Kosovo sowie in Italien gut 12 000 Soldaten stationiert sein. Bislang wurden diese Einheiten alle vier Monate abgelöst. Die demnach rechnerisch nötigen 36 000 Mann pro Jahr decken sich geradeso mit den zur Zeit verfügbaren Krisenreaktionskräften, die noch im Aufbau befindlich sind. Eine mindestens einjährige Pause zwischen den Einsätzen kann künftig kaum noch sichergestellt werden. Deshalb fordert unter anderem der Bundeswehrverband eine schnelle Verdopplung der Krisenreaktionskräfte auf 100 000 Soldaten. Auch Scharping hält Neuerungen bei diesen Einsatztruppen für dringlich. Der Marsch zur Militärmacht Deutschland geht also weiter. Und Fischers Wunsch, den letzten Krieg in Europa erlebt zu haben, kann wohl eher unter der Abteilung Feierstundenlüge abgebucht werden.