Störung beim Gebet

Die kolumbianische Guerilla ELN will durch Entführungen Druck auf die Regierung ausüben, um an den Verhandlungstisch zu kommen

Nicol‡s Rodr'guez Bautista, alias Comandante Gabino, ist um Schadensbegrenzung bemüht. Am vergangenen Mittwoch bat der Oberkommandierende des Nationalen Befreiungsheeres (ELN) persönlich im Vatikan um Vergebung. Die Sünde, die vergeben werden sollte, war die Entführung von 143 Kirchgängern während eines Gottesdienstes in Cali am 31. Mai durch ein Kommando der ELN. Mit dieser zweiten spektakulären Aktion nach der Entführung eines Zivilflugzeugs der kolumbianischen Avianca-Airlines am 12. April hat sich die ELN wenig Freunde im vorwiegend katholischen Kolumbien gemacht - auch wenn die Aktion in einem Reichenviertel stattfand.

Die Kirchenführung drohte den Entführern umgehend mit der Exkommunikation, und Präsident Andrés Pastrana brandmarkte die ELN in einer ersten Reaktion als "terroristische Organisation", mit der nicht verhandelt werden könne. Potentielle Vermittlerstaaten wie Venezuela, Spanien und Deutschland forderte er auf, nicht mehr mit den ELN-Vertretern zu verhandeln.

Mittlerweile ist es um die Entführung wieder ruhiger geworden. Dies liegt zum einen daran, daß sich Comandante Gabino mit der Bitte um Entschuldigung an die kolumbianische Bevölkerung und die katholische Kirche wandte. In Rom traf er sich mit Kardinal Dario Castrill-n, einem der Berater des Papstes, und signalisierte Bereitschaft zur Freilassung der Entführten.

Auf der anderen Seite haben kritische Köpfe in Kolumbien, wie der Vizedirektor der Nationaluniversität, Alejo Vargas, bereits einen Tag nach der Entführung darauf hingewiesen, daß die Regierung die Bemühungen der ELN, in einen Dialog mit dem Staat zu treten, einfach blockiert habe. Der größeren Guerillaorganisation des Landes, der FARC, habe die Regierung hingegen zahlreiche Zugeständnisse gemacht. Nun täte Pastrana gut daran, so Vargas, einen Regierungsvertreter für die Verhandlungen mit der ELN zu benennen.

Vielerorts ist bereits der Verdacht aufgekommen, daß der Präsident die ELN in den Friedensprozeß erst gar nicht einbinden wolle, sondern daß er vielmehr hoffe, die mit etwa 5 000 Kämpfern im Vergleich zur etwa 15 000 Mann starken FARC wesentlich schwächere Guerillaorganisation mit Waffengewalt zu besiegen. Entsprechende Kommentare aus dem Hauptquartier der Armee, aber auch vom Führer der Paramilitärs, Carlos Casta-o, die der ELN eine abnehmende militärische Schlagkraft attestierten, verstärkten diesen Eindruck noch. Sie haben sicherlich dazu beigetragen, daß die ELN sich zu Aktionen wie dem Kirchensturm hinreißen ließ.

Ihr Oberkommandierender Nicol‡s Rodr'guez kündigte nun die Freilassung aller von der ELN in den vergangenen zwei Monaten entführten Personen an, um guten Willen zu zeigen und die katholische Kirche als Vermittlungsinstanz zu gewinnen. Einzige Voraussetzung dafür von seiten der ELN ist die Entmilitarisierung einer Übergabezone. Auf dieses Angebot hat Präsident Pastrana bereits zustimmend reagiert. Das bedeutet aber nicht, daß er im Anschluß auch zu Verhandlungen mit der ELN bereit sein wird.

Casta-o, von den Paramilitärs Autodefensas Unidas de Colombia (AUC), wäre dann auf jeden Fall gern dabei. Mit der Entführung der liberalen und gegenüber den Paramilitärs kritischen Senatorin Piedad C-rdoba aus einem Krankenhaus in Medell'n am 21. Mai hat Casta-o für Aufsehen gesorgt. Zweck der Aktion war, klar zu machen, daß die Paramilitärs an offiziellen Friedensgesprächen beteiligt werden wollen. In einem Brief an Präsident Pastrana forderte Casta-o, dessen Paramilitärs für die Massaker am 3. Juni rund um die Stadt Tibœ verantwortlich sind, einen ähnlichen Status wie für die Guerilla. Zwei Tage nach dem Massaker schickte die AUC die Senatorin nach Hause.

Mit der medienwirksamen Aktion der AUC ist die Lage Pastranas nicht gerade einfacher geworden. Die FARC würdedie gerade angelaufenen Friedensverhandlungen sofort abbrechen, sollten die Paramilitärs den gleichen Status erhalten wie die Anfang der sechziger Jahre gegründete sozialistische Guerillaorganisation.

Im übrigen haben zahlreiche Berichte von Human Rights Watch und Amnesty International die engen Verflechtungen zwischen der kolumbianischen Armee und den Paramilitärs belegt. Deutlicher noch benennt General Alberto Muller Rojas, enger Vertrauter des venezolanischen Präsidenten Hugo Ch‡vez, das Problem: "Die Autodefensas sind Teil der staatlichen Gewalt, während die Guerilla eine rebellierende Macht mit einer politischen Strategie ist." Aus diesem Grunde könne man den Paramilitärs nicht den gleichen Status wie der Guerilla einräumen, so der General aus dem Lande, das zu den wichtigsten Vermittlern im kolumbianischen Friedensprozeß werden könnte.

Somit stellt sich die Frage: Dient die Aktion Casta-os allein dazu, den gerade anlaufenden Friedensprozeß mit der FARC hinfällig zu machen, oder hat sich die AUC verselbständigt und untersteht nicht mehr der Kontrolle der reaktionären Kreise aus Armee und Gesellschaft? Innerhalb der Armee hat der Widerstand gegen die Zugeständnisse - vor allem die Entmilitarisierung des Verhandlungsgebietes - durch Präsident Pastrana zum Rücktritt des Verteidigungsministers Rodrigo Lloreda Caicedo und einiger Generäle geführt, die in dem Vorgehen Pastranas eine nicht vertretbare Schwächung der Armee sehen.

Offensichtlich vertiefen sich die Gräben zwischen Reformern und Hardlinern in der Armee, die das von Pastrana angeordnete Vorgehen gegen die Paramilitärs blockierten. Hingegen mehren sich die Offensiven gegen die Guerilla.

Pastranas Spielraum nimmt eher ab statt zu. Die von ihm eingebrachten Gesetzesvorschläge, die ihm außerordentliche Machtbefugnisse zugebilligt hätten, um - so die offizielle Lesart - freie Hand in Sachen Friedensprozeß zu erhalten, sind Anfang vergangener Woche mit knapper Mehrheit abgelehnt worden. Zu groß war die vom Chef der liberalen Partei, Horacio Serpa, geschürte Befürchtung, der Präsident wäre dann kaum mehr zu kontrollieren.

Zu allem Überfluß hat Finanzminister Juan Camilo Restrepo neue neoliberale Reformen verordnet: das Bildungs- und Gesundheitssystem sollen privatisiert werden, um die Staatsausgaben zu senken. Ein Vorhaben, das der Guerilla nicht gefallen dürfte, und ein weiterer Schlag gegen den Friedensprozeß.