Extreme Energien

Moudachirou Amadou will nicht mehr bei Energie Cottbus Fußball spielen

Mit "der Vorfall" umschreibt man beim Fußballclub Energie Cottbus seit ungefähr einer Woche den angekündigten Weggang des Manndeckers Moudachirou Amadou. Er fühle sich, so hatte er gegenüber der Bild gesagt, in Cottbus nicht besonders wohl, die Atmosphäre sei rassistisch, er und seine weiße Frau seien schon häufiger angepöbelt worden, zuletzt beim vergeblichen Versuch, eine Disco zu betreten. "Dem Vorfall" waren jedoch viele solcher Vorfälle vorausgegangen, Amadou möchte daher seinen Vertrag mit Energie Cottbus auflösen.

Besonders überraschend kommt das nicht in der Stadt, die Frank Hübner von der mittlerweile verbotenen nazistischen DA (Deutsche Alternative) nach der Wende zur "Hauptstadt der Bewegung" machen wollte. Denn völlig erfolglos ist man damit offenkundig nicht gewesen: Erst vor knapp 14 Tagen war eine Gruppe Afrikaner in einer Straßenbahn von 20 Rechtsradikalen angegriffen worden, Ausländer können sich in der Stadt nicht sicher fühlen. Und so gilt Cottbus als definitive Brown-Town, obwohl die Sprecherin der Staatsanwaltschaft, Petra Hertwig, nicht müde wird, die Existenz einer organisierten rechten Szene zu leugnen.

Daß schwarze Fußballspieler in der ostdeutschen Provinz regelmäßig Probleme haben, ist nichts Neues - selbst wenn sie von den Fans ihrer dortigen Vereine als "unser Kanake" akzeptiert werden, werden sie bei Auswärtsspielen in Mecklen- und Brandenburg regelmäßig beleidigt und beworfen. 1992 hatte sich daraufhin sogar der DFB gezwungen gesehen, eine "Aktion gegen Ausländerfeindlichkeit" zu starten. "Mein Freund ist Ausländer" wurde von zahlreichen deutschen Profis unterstützt, und so schaffte man es innerhalb kürzester Zeit - nach Meinung der Offiziellen -, den Fußballplatz zur antirassistischen Zone zu machen. Die Fans, die auf den angrenzenden Rängen nach wie vor jeden Spurt eines schwarzen Spielers mit Bananenwerfen kommentierten, wurden kurzerhand zu Personen erklärt, die sich sowieso nicht für den Sport interessierten.

Und im "Aktuellen Sportstudio" durfte der damalige Mittelfeldspieler des FC Chemnitz, Ojokojo Torunarigha, dann kurze Zeit später allgemeine Entwarnung geben. Alles sei halb so schlimm, er habe beim FC noch nie Probleme wegen seiner Hautfarbe gehabt, sagte er, aber in das kollektive Aufatmen hinein berichtete er von der Situation seiner Frau. Die sitze den ganzen Tag allein zu Hause, selbst zum Einkaufen traue sie sich aus Angst nicht ohne seine Begleitung heraus - sie schieße eben keine Tore für den Verein, erklärte Torunarigha. Günther Jauch, damals Moderator, wollte sich die gute Stimmung im Studio jedoch nicht davon verderben lassen, deswegen unterbrach er den Kicker, um noch einmal auf das gute Klima innerhalb der Mannschaft zu sprechen zu kommen. Das so gut dann doch nicht sein konnte, denn anscheinend war keine der anderen Spielerfrauen auf den Gedanken gekommen, daß man sich vielleicht ein bißchen um die Frau des schwarzen Spielers kümmern könnte - aber das interessierte Jauch nicht weiter.

Danach schien das Thema erledigt. Bis 1997. Da schaffte der damalige Regionalligist Energie Cottbus durch einen Heimsieg gegen Hannover 96 nicht nur den Aufstieg in die zweite Bundesliga, sondern auch in die überregionalen Schlagzeilen. Denn die Energie-Fans hatten die beiden schwarzen gegnerischen Hannoveraner Spieler andauernd mit Bananen beworfen und so übel beleidigt, daß Schiedsrichter Georg Dardenne dazu einen gesonderten Spielbericht an den DFB schickte.

Ministerpräsident Manfred Stolpe hatte dagegen nach dem Abpfiff kein Wort über das Verhalten der im Stadion versammelten Wählerinnen und Wähler verloren, sondern auch in den Tagen danach immer nur von dem "wichtigen Erfolg" geschwärmt, der der wirtschaftlich darniederliegenden Region und ihren geplagten Bewohnern so sehr helfen werde. Und waren das überhaupt Fußballfans, die sich da im Stadion ausgetobt hatten? Der Cottbusser Entschuldigung: "Das müssen Hooligans gewesen sein!" widersprachen Berliner Hools, die extra zum Ereignis in die Lausitz gereist waren, ganz entschieden: "Die da im Stadion Uh-Uh-Uh gerufen haben, das waren keine Leute, die zu irgendeiner bestimmten Gruppe gehörten. Das waren gerade auch die älteren, biederen Bürger!"

Eben die, die dem Fußballspieler Amadou und seiner Frau jetzt das Leben in Cottbus unmöglich gemacht haben. Und die Energie dadurch erneut in die Schlagzeilen brachten. Beim betroffenen Verein überwiegt derzeit die unkontrollierte Defensive. Daß anrufende Medienvertreter dieser Tage nichts über sportliche Ziele wissen wollen, ist jedem klar. "Dann fragen Sie mal!" fordert man höflich-resigniert auf, wobei allerdings schnell klar wird, daß das Statement der Pressestellen-Mitarbeiterin Stefanie Raschke gegenüber der Berliner Zeitung ein einmaliger Ausrutscher bleiben wird. "Es ist gut, daß das einem Prominenten passiert ist", hatte sie unmittelbar nach "dem Vorfall" gesagt, so etwas werde von der Öffentlichkeit eben nur bemerkt, wenn es Stars treffe.

Nun sieht man aber auch bei Energie die Stadt "in den Dreck gezogen". Einer der Energie-Offiziellen, Petrick Sander, beginnt das Gespräch daher mit einem entschlossenen: "Diejenigen, die sagen, in meiner Stadt kann so etwas nicht passieren, möchte ich sehen", und beklagt, daß "niemand mehr von Lübeck und Mölln" spreche, "aber alle jetzt mit dem Finger auf uns zeigen". Und bei Energie fühle man sich mittlerweile überhaupt als der falsche Ansprechparnter: "Keiner spricht mit demjenigen in der Diskothek, der diesen Vorfall zu verantworten hat."

Keiner der ausländischen Spieler habe sich übrigens jemals beim Club beklagt, "natürlich wissen wir, daß rassistische Anfeindungen und Übergriffe in Deutschland täglich passieren, aber daß da jetzt für einen einzelnen von uns eine solche Situation entstehen könnte, damit haben wir nicht gerechnet." Über die Atmosphäre in der Stadt mag er nichts sagen, aber er weiß auf jeden Fall, daß dort eventuell herumlaufende Cottbusser Rassisten "keine Energie-Fans" sind. "In Anführungsstrichen positiv" sieht Trainer Sander "den Vorfall" doch: "Durch solche unbelehrbaren Idioten haben wir einen guten Spieler verloren - vielleicht rüttelt das auf." Nun zu kapitulieren komme für den Verein überhaupt nicht in Frage, man werde auch in Zukunft ausländische Spieler holen, immerhin verfüge man schon jetzt "mit 12 Ausländern über ein richtiges Multikulti-Team. Es geht darum, ob jemand zu uns paßt, die Hautfarbe ist uns dabei scheißegal."

Gerade als Petrick Sander die ungewöhnliche Schreibweise seines Namen ("Damals existierte in der DDR eine Verordnung, nach der englische Namen eingedeutscht werden müssen") näher erläutert, wird er von einer frohgelaunt klingenden Männerstimme unterbrochen. "Haha, bist du mit dem Namen überhaupt deutsch?" ruft sie, was Sander hörbar peinlich ist. "Der putzt hier bloß!" erklärt er schnell, und fährt mit seinem Einführungsvortrag ins DDR-Namensrecht fort. Als er dann danach gefragt wird, ob der Geschäftsführer des Vereins, Klaus Stabach, ein ehemaliger Energie-Kicker, vielleicht zu sprechen sei, zögert Sander, bevor er den Hörer schließlich weiterreicht.

Warum, wird sofort klar, denn Stabach ist der Inhaber der Männerstimme von eben. Er hatte in den letzten Tagen immer wieder beharrlich rein sportliche Gründe für Amadous Weggang angegeben. Der Spieler habe, so klang dabei durch, ein lukratives Angebot vom Karlsruher SC erhalten, mit den Vorwürfen habe er lediglich eine vorzeitige Vertragsauflösung erreichen wollen.

Folgerichtig spricht Stabach auch nicht von "dem Vorfall", sondern von "etwas, das passiert sein soll". Auf die Frage, ob er seinem Spieler Amadou nicht glaube, antwortet er zunächst überhaupt nicht. Dann sagt er: "Doch. Ich kann es mir vorstellen, denn so 'ne Menschen gibt es überall." Cottbus, so fährt er fort, sei schließlich "eine Stadt wie jede andere in Deutschland auch", die "Sache mit der braunen Stadt ist doch totaler Quatsch". Deswegen fühle man sich derzeit auch zu Unrecht "an den Pranger gestellt". Alles werde extrem aufgebauscht von den Medien, "von der Begeisterung unserer Fans auch für diese ausländischen Spieler spricht dagegen niemand. Fußballer des Jahres in unserem Verein ist z.B. gerade Tomaslaw Piplica geworden, der ist Kroate. Amadou war im letzten Jahr zwischendurch sogar Kapitän. Uns ist es doch wirklich gut gelungen, unsere Ausländer zu integrieren. Aber nein, wir werden in eine Schublade gesteckt. Ich bin wirklich enttäuscht", sagt der Geschäftsführer.

Und überhaupt, "der Vorfall" habe ja immerhin auch damit zu tun, daß Moudachirou Amadou eine weiße Frau habe, darauf sei noch keiner eingangen. "Denn wenn Sie nach Südafrika fahren und nehmen sich dann dort eine schwarze Frau, dann kriegen Sie da auch Probleme."