Kampagnen ohne Resonanz

Die Proteste gegen den Kölner EU- und Weltwirtschaftsgipfel wurden von Linksradikalen nahezu ignoriert

"Es ist soweit. Der Weltwirtschaftsgipfel ist jetzt vollständig umzingelt." Fast wie eine Siegesmeldung verkündete ein Sprecher diese Nachricht den applaudierenden DemonstrationsteilnehmerInnen am frühen Nachmittag des 19. Juni in Köln. Nur die Polizei blieb unbeeindruckt. Kein Wunder, wurde doch lediglich mitgeteilt, daß die christliche Erlaßkampagne ihre Menschenkette für einen Schuldenerlaß kurzzeitig geschlossen hatte, auch wenn Augenzeugen große Lücken in der Kette ausgemacht hatten.

Dabei hatte die Aktion Unterstützung nicht nur von SPD-Politikern und der nordrhein-westfälischen CDU bekommen, selbst die Bundesministerin für Entwicklungshilfe reihte sich für kurze Zeit mit in die Kette ein. Das Bündnis Köln99, das für den gleichen Tag zu einer "Demonstration gegen globale Armut, Rassismus und Krieg" aufgerufen hatte, schien das nicht zu stören. Jedenfalls war im linksradikalen Block kein kritisches Wort über die Erlaßkampagne, ihre Vorbilder und Bündnispartner zu hören.

Trotz eines breiten Bündnisses zogen nur 8 000 DemonstrantInnen durch Köln. Auffallend war die starke Mobilisierung von MigrantInnengruppen und der kurdischen Öcalan-Soli-Bewegung. Die Polizei konnte bis zum Ende Gelassenheit zeigen. Während in London DemonstrantInnen Bankhäuser stürmten und Computer aus den Fenstern warfen, brannten in Köln am Ende der Demo lediglich einige in einen Einkaufswagen gestapelte Linksruck-Plakate.

Die Demos gegen den EU- und den Weltwirtschaftsgipfel waren die Höhepunkte der Kampagne Köln99, für die in allen Teilen der linken Szene seit dem letzten Herbst mobilisiert worden war. Traditionell sind die Highlights der internationalen Gipfeldiplomatie Mobilisierungshöhepunkte der Protestbewegung und der Alptraum der Sicherheitsexperten. Schon der Weltwirtschaftsgipfel 1985 in Bonn war von heftigen Straßenschlachten begleitet. Auch die Anti-IWF-Kampagne im Herbst 1988 in Westberlin beschränkte sich nicht auf Großdemonstrationen, und trotz staatlicher Behinderungsversuche fanden 1992 auch in München neben Demo und Gegengipfel unangemeldete Aktionen gegen den dortigen WWG Anklang.

An diese romantischen Highlights vergangener Jahre wollten die Kölner GipfelstürmerInnen anknüpfen - erfolglos. Dabei fehlte es nicht an unermüdlichen OrganisatorInnen: Zahlreiche StudentInnen waren in den Auseinandersetzungen um das MAI-Abkommen politisiert worden. Und doch kamen kaum interessierte Menschen.

"Der Jugoslawienkrieg hat die AktivistInnen gebunden" war eine häufig zu hörende Erklärung für die geringe Begeisterung. Dabei hatte die Antikriegsbewegung mit den gleichen Problemen zu kämpfen. Auch hier kompensierten wenige AktivistInnen mit wochenlanger Schwerstarbeit die fehlende Resonanz.

Auch der Blick auf zwei für Friedensaktivitäten traditionell ansprechbare Milieus zeigt die Anpassung an den nationalen Konsens. In den achtziger Jahren waren evangelische Kirchentage Protestzentren gegen Pershings und Cruise Missiles. Wurde der damalige Verteidigungsminister Hans Apel 1981 in Hamburg von jungen ChristInnen mit Eiern beworfen, ließ sich sein Kollege Scharping 18 Jahre und einen gewonnenen Krieg später in Stuttgart vom Kirchenvolk mal bejubeln, mal leicht kritisieren. Während Bundeswehrsoldaten auf dem Kirchentagsgelände in Uniform umherspazierten, klagten die dortigen Friedensaktivisten über das Desinteresse des Publikums.

Das autonome Spektrum wiederum antwortet mit Rave-Ins, Reclaim-the-Street-Aktionen und Straßenfesten auf das zunehmende Desinteresse an den eigenen Demos. Eine locker-lustige Bicycle-Rallye gegen den EU-Sondergipfel am 20. April war das einzige, was Berliner GipfelstürmerInnen organisieren konnten. Der Krieg gegen Jugoslawien wurde im Aufruf mit keinem Wort erwähnt.

Grundsätzliche Kritik auf der Straße wird es wohl auch in absehbarer Zeit schwer haben. Systemkonforme Protestbewegungen, ob gegen den Rücktransport von deutschem Atommüll aus Frankreich oder gegen vergiftete Lebensmittel aus irgendwelchen Nachbarländern, wird es weiterhin geben. Für das linke Kampagnenhighlight 2000, die Expo in Hannover, fehlt es hingegen an allem, sogar an einer funktionierenden Infrastruktur vor Ort. Die aktiven Kleinstgruppen haben sich wegen Erfolglosigkeit schon vor Jahren aufgelöst.