EU-Altauto-Richtlinie

VW: Don't beetle me

Die Welt ist doch so, wie es im Lehrbuch des Marxismus-Leninismus steht: Die Multis befehlen dem Bundeskanzler, wie sie's gerne hätten, der Bundeskanzler droht dem Umweltminister, ihn abzusetzen, wenn er den Konzernwunsch nicht ausführt, der Minister geht hin und tut eilfertig, wie ihm geheißen; unterstützt wird der deutsche Minister von seinen Kollegen aus Ländern, in denen die Multis Tochtergesellschaften haben.

Der Fall: die EU-Altauto-Richtlinie. Umweltminister Jürgen Trittin machte sich die Sache der deutschen Autokonzerne zu eigen und blockte die Proteste der anderen EU-Länder schroff ab. Dabei wollte der EU-Ministerrat letzte Woche noch beschließen, daß Altautos ab 2003 vom Hersteller kostenlos entsorgt werden müssen. Bereits im Dezember hatten die EU-Mitgliedsstaaten die Regelung einvernehmlich ausgehandelt, die auch vorsah, daß Pkw ab 2015 zu 95 Prozent des Gewichts recycelbar sein müssen und keine Schwermetalle enthalten dürfen. Im März sollte die Richtlinie verabschiedet werden, auf deutschen Druck wurde der Beschluß jedoch verschoben. Der Grund für den deutschen Widerstand: Von den 150 Millionen Autos, die derzeit in der EU zugelassen sind, stammen 40 Prozent aus deutscher Produktion. Die Verschrottung eines Wagens kostet etwa 200 Mark.

Als Trittin kürzlich seinen europäischen Amtskollegen schriftlich zusicherte, daß Deutschland die Vorlage akzeptiere, telefonierte Volkswagen-Chef Ferdinand Pi'ch, der seine neue Errungenschaft, den VW-Beetle, nicht wiederhaben möchte, mit seinem Freund Gerhard Schröder. Der Bundeskanzler spurte: In einem Wutausbruch drohte er dem Umweltminister mit Entlassung, wenn er den Brief nicht zurücknähme. Trittin gab klein bei. Kurz darauf folgte ein vertrauliches Gespräch Schröders mit den Chefs der deutschen Autohersteller, bei dem auch Trittin und Wirtschaftsminister Werner Müller zugegen waren.

Beim Treffen des EU-Umweltministerrates in der vergangenen Woche nutzte Trittin dann seine Position als Sitzungsleiter, um das Thema an die zehnte Stelle der Tagesordnung zu schieben. Den Antrag der EU-Kommission und von vier Mitgliedsstaaten, die Richtlinie sofort zu behandeln, bügelte er zu Beginn der Sitzung auf eine Art ab, die der österreichische Umweltminister Martin Bartenstein als einen "ungewöhnlichen Affront" bezeichnete.

Der Grund für diese Verzögerungstaktik: Schröder versuchte unterdessen die Unterstützung anderer Länder zu gewinnen, um eine Sperrminorität zu erreichen. Schon vor der Sitzung hatte er Tony Blair auf seine Seite ziehen können. Nicht unerheblich hierfür dürfte der Einfluß gewesen sein, den BMW über seine britische Tochter Rover auf London ausübt - schließlich verkündete BMW in der vergangenen Woche, zehn Milliarden Mark in Großbritannien investieren zu wollen.

Doch für eine Sperrminorität sind 26 Stimmen nötig, Deutschland und Großbritannien verfügen aber beide nur über jeweils zehn. Glücklicherweise hat VW in Spanien die Tochter Seat, und so gelang es Trittin schließlich, mit Hilfe der acht Stimmen der Südländer die Verabschiedung der Vorlage zu verhindern: Die spanische Ministerin Isabel Tocino verkündete, sie sei mit der Richtlinie zwar einverstanden, wenn es zur Abstimmung komme, müsse sich ihr Land dennoch enthalten. Ähnlich äußerte sich ihr britischer Kollege. "Ich stelle fest, daß es für den jetzigen Entwurf heute eine Sperrminorität gibt", erklärte Trittin lakonisch. "Damit ist heute ein gemeinsamer Standpunkt nicht möglich."

Jetzt müssen sich die Umweltminister noch einmal im zweiten Halbjahr unter finnischer EU-Ratspräsidentschaft mit der Regelung befassen. Der dänische Umweltminister Svend Auken konnte seine Wut kaum zügeln: "Es ist unerhört, daß ein Land aus engstirnigen wirtschaftlichen Interessen seinen Vorsitz dazu nutzt, einen Kompromiß zu torpedieren."

Auch EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard ist empört: "Das ist eine Schande, wie die Industrie die EU-Politik beeinflussen kann. Mit Demokratie hat dies nichts mehr zu tun!" Eine Kritik, die man auch schon in den achtziger Jahren hören konnte - wenn auch aus anderen Kreisen. Das Verhältnis von Politik und Ökonomie scheint sich in der Realität genau in dem Moment dem vulgären Marxismus-Leninismus anzunähern, in dem sich kaum jemand mehr dafür interessiert.