Bombige Zukunft

Bei den nordirischen Friedensgesprächen wurde eine Frist für die Entwaffnung der IRA festgelegt. Ein neuer Bürgerkrieg ist dennoch möglich

Ein "Tag der Entscheidung" sollte der 30. Juni 1999 sein, ein Tag, der nach den Worten des britischen Premierministers Tony Blair über das weitere Schicksal Nordirlands bestimmen würde. Blair und der irische Ministerpräsident Bertie Ahern führten seit Montag vergangener Woche intensive Verhandlungen mit den Führern der nordirischen Parteien. Tony Blair hatte die deadline zuvor für absolut erklärt: "Wenn der Kompromiß dieses Mal nicht gelingt, liegt es an Mangel an Mut und Willen." Ahern bezeichnete die Alternative zu einer Einigung als "unverzeihlich, unerklärbar."

Auch wenn der Termin dann doch um zwei Tage überschritten wurde, gelang es Blair schließlich, zumindest einen formalen Verhandlungsabschluß durchzusetzen. Ein gemeinsames Abkommen der beiden Hauptfeinde, der republikanischen Sinn Féin-Partei und der unionistischen UUP, konnte er nicht erreichen. Freitag abend verlasen Tony Blair und Bertie Ahern ihre gemeinsame Erklärung in Stormont - in dem Gebäude, wo das nordirische Parlament zuletzt vor 27 Jahren tagte.

Demnach sollen schon am 15. Juli die Minister für die nordirische Exekutive ernannt werden. Drei Tage später würde sie dann vom britischen Parlament die entsprechenden Vollmachten übertragen bekommen. "Innerhalb von Tagen" soll dann die IRA nach Angaben von Tony Blair mit der Abgabe ihrer Waffen beginnen.

Grundlage dafür ist der vom kanadischen General John de Chastelain vorgelegte Bericht über die Möglichkeiten einer Entwaffnung aller paramilitärischen Organisationen bis zum Mai 2000. De Chastelain versicherte, daß eine Entwaffnung der einzelnen Gruppen bis zur im Karfreitagsabkommen festgesetzten deadline - dem 22. Mai nächsten Jahres - möglich sei. Allerdings müßte die Zerstörung der Waffenarsenale so bald wie möglich beginnen, festgesetzt in einem konkreten Zeitplan, den er mit den einzelnen paramilitärischen Gruppen zusammen abstimmen will.

Sollten Teile dieses Abkommens, also die Machtübernahme einer parteiübergreifenden Exekutive oder die Entwaffnung der Paramilitärs, nicht befolgt werden, verpflichten sich die beiden Regierungschefs, "automatisch und mit sofortiger Wirkung die Arbeit der im Karfreitagsabkommen vereinbarten Institutionen einzustellen."

Während sich Sinn-Féin-Mitglieder während der Verlesung des Abkommens geschlossen hinter die beiden Premierminister stellten, ließ sich kein Anhänger der unionistischen Parteien blicken. Wenig später verkündete Parteichef David Trimble, der Plan enthalte wenig Fortschritt und sei "grundsätzlich unfair". Auch Ken Maginnis, ein enger Berater Trimbles, nannte den Vorschlag "inakzeptabel" und erklärte, die meisten Mitglieder der Unionisten würden ihn ablehnen. "Tony Blair hat uns verraten", sagte Maginnis.

Trimble wird sich nun harter Kritik in seinen eigenen Reihen stellen müssen. Es ist äußerst fraglich, ob es ihm gelingen wird, die Unionisten zur Zusammenarbeit in einer Regierung mit der IRA-nahen Sinn Féin zu überreden, bevor diese einen Großteil ihres Waffenarsenals vernichtet hat. Vieles erinnerte letzte Woche an die intensiven, in der letzten Phase für 32 Stunden unterbrochenen Verhandlungen in der Osterwoche 1998. Kaum einer konnte damals glauben, daß es den Politikern erstmals in der nordirischen Geschichte gelingen würde, ein von beiden Seiten akzeptiertes Abkommen zu schließen.

Doch die Euphorie der damaligen Friedensgespräche war diesmal weit entfernt. Nur die Streitpunkte scheinen die gleichen: Damals wie heute kann sich die UUP nicht vorstellen, in einer Regierung mit Sinn Féin zusammenzuarbeiten, einer Partei, die ihrer Ansicht nach "eine private Armee hinter sich hat". Das Karfreitagsabkommen des letzten Jahres wäre denn auch beinahe an diesem Punkt gescheitert.

Elegante Formulierungen brachten damals den endgültigen Durchbruch: Die Parteien "bestätigen ihre Absicht, (...) mit der Unabhängigen Kommission zusammenzuarbeiten, und jeglichen Einfluß, den sie haben könnten, zu nutzen, um eine Abgabe aller paramilitärischen Waffen innerhalb von zwei Jahren (...) und im Zusammenhang mit der Umsetzung des gesamten Abkommens zu erreichen".

In ihrer "Yes-Kampagne" zum Referendum über das Friedensabkommen relativierte die UUP diese Aussage allerdings: "Paramilitärs dürfen keinen Platz in der nordirischen Regierung haben", versprach sie ihren Wählern. Und vielleicht erreichte das Abkommen nur deshalb 71 Prozent aller Stimmen in der nordirischen Provinz, weil die UUP ihre Anhänger überzeugen konnte, daß sich an ihre Überzeugung, die IRA sei identisch mit Sinn Féin, nichts ändern würde.

So setzte David Trimble schon im Vorfeld der Verhandlungen der letzten Woche ein wichtiges Signal: UUP-Mitglied Jeffrey Donaldson wurde vor zwei Wochen wieder in das Verhandlungsteam aufgenommen. Donaldson hatte vergangenes Jahr die Partei in den letzten Stunden des Karfreitagsabkommens verlassen, da ihm der Kompromiß über die Entwaffnung zu weit ging. Seine Rückkehr symbolisiert eine Verhärtung der UUP-Position, die sich gegen eine Aufnahme Sinn Féins in eine Exekutive vor dem eigentlichen Start der IRA-Entwaffnung ausspricht.

Donaldson lehnte den Bericht der Premiers denn auch sofort als "grundlegend fehlerhaft" ab. Auch Sinn Féin-Präsident Gerry Adams verkündete schon im Laufe der Verhandlungen enttäuscht: "Der große Durchbruch des Karfreitagsabkommens des vergangenen Jahres ist nicht mehr weitergeführt worden."

Ob die einzelnen Parteien die Kompromisse ihrer Parteidelegationen akzeptieren, bleibt fraglich. Es ist keineswegs sicher, daß David Trimble in seiner Partei den notwendigen Rückhalt für eine Durchführung des Abkommens finden wird. Und keiner kann mit Sicherheit sagen, daß die IRA zu einem baldigen Start der Entwaffnung bereit ist, vor allem wegen der zunehmenden Bedrohung katholischer Familien durch loyalistische Paramilitärs.

Denn nicht nur parlamentarische Auseinandersetzungen belasten derzeit den nordirischen Sommer. Die deadline war von Blair äußerst knapp gewählt. Nur vier Tage später, am vergangenen Sonntag, fand der traditionelle Oraniermarsch in Portadown statt. Mitglieder der dortigen Oranierloge halten schon seit dem Juli letzten Jahres ein Grundstück vor der protestantischen Kirche Drumcree besetzt, um einen Durchmarsch durch die vorrangig nationalistische Garvaghy Road zu erzwingen. So liefen denn auch am Sonntag etwa 15 000 Mitglieder des Oranierordens durch Portadown. Der Versuch einiger Tausend Teilnehmer, durch das katholische Viertel zu marschieren, wurde von britischen Armee-Einheiten verhindert.

In ganz Nordirland bereitet man sich nun auf die nächsten Wochen vor. Wer es sich leisten kann, verreist in den Tagen zwischen dem 4. und 12. Juli, der heißen Phase der Oranierparaden in ganz Nordirland. Schon vor der eigentlichen Parade versammelten sich Tausende Mitglieder des Oranierordens vor Drumcree, um für einen Durchmarsch durch die Garvaghy Road zu demonstrieren. Fast täglich berichten die Medien von Anschlägen auf die Häuser katholischer Familien. Opfer sind zumeist Partner aus religiösen Mischehen oder Familien, die in vorwiegend protestantischen Vierteln leben.

Das vorläufig letzte Todesopfer war die 59jährige Elizabeth O'Neill. Sie wurde am Morgen des 5. Juni von einer Rohrbombe, die Loyalisten in das Wohnzimmerfenster ihres Hauses in Portadown geworfen hatten, getötet. Nur eine Woche vor dem tödlichen Anschlag hatte der Sprecher des Oranierordens von Portadown in einem Interview gewarnt: "Der Norden befindet sich nur kurz vor dem Ausbruch eines Bürgerkrieges."