Pack die Badehose aus

Gefährliche Orte LXIV: Am Butzer See in Berlin-Hellersdorf treffen sie sich: Nazis und Nudisten, Kampfhunde und Korntrinker

"Wat kiekst'n so, du Assel?" Die 15jährige hat Charme, Ostberliner Charme. Der junge Mann, fast doppelt so alt und adrett gekleidet, hat verstanden. Hier schaut man einem glatzköpfigen Teenager - einen schwarz-weiß-roten Von-der-Maas-bis-an-die-Memel-Deutschland-Aufnäher auf der Bomberjacke, die auch im Hochsommer nicht ausgezogen wird - besser nicht ungläubig an. Hier ist ein Baggersee und eine Liegewiese - eine braune, ausgedörrt von der Juli-Sonne -, und hier haben, wie an jedem See und in jedem Freibad, die Kinder und Teenies das Sagen, Schreien, Kreischen, Jauchzen, Grölen.

Manchmal sind eben Hool-Gesänge dabei, und auch sonst ist alles normal; hier am östlichen Stadtrand, Hellersdorf, Ortsteil Kaulsdorf. Keine 15 Autominuten von Friedrichshain entfernt. Kaula heißt er im Volksmund, Butzer See auf der Landkarte, Fascho-Tümpel bei den wenigen linken Jugendlichen, die nicht darauf verzichten wollen, schnell mal irgendwo ins Wasser zu hüpfen und ein paar Kraulzüge zu üben. Allerdings ist das nicht sehr empfehlenswert, denn das Wasser riecht so, wie sich die Leute in der Sonne aalen: faul. Sichttiefe zwanzig Zentimeter, obwohl die in Berliner Gewässern übliche Blaualgen-Invasion bei 20 Grad Wassertemperatur noch gar nicht begonnen hat. Ferienspaß: kotzende Kinder.

Natürlich leidet die Beliebtheit des Sees, ein akkurates Rechteck von zwei- mal vierhundert Metern, darunter nicht. Zu Recht, findet auch das Gesundheitsamt Hellersdorf. Zwar sei der See kein offizielles Badegewässer, aber Probleme mit der Wasserqualität gebe es nicht, so eine Mitarbeiterin des Amtes, die diese Information offenbar für so heiß hält, daß sie nicht genannt werden will: "Aber schreiben Sie das mit dem Wasser nicht, sonst fahren da noch mehr Leute hin."

Die Angst ist berechtigt, denn viele Leute bedeuten viel Müll, und am Ende der Saison muß der Bezirk regelmäßig eine Gruppe ABM-Kräfte vorbeischicken, die die Cola- und Bierdosen, Zigaretten- und Schokoladenschachteln, Handtuch- und Zeitungsfetzen, Spiel- und Postkarten sowie allerlei anderes Zeug einsammeln, das die Ossis früher, als es Geld dafür gab, noch fleißig zur Sekundärrohstoffannahme - kurz: Sero - gebracht hätten.

Den Kids, die zwar kein Hitzefrei haben, aber trotzdem schon um ein Uhr mittags eintrudeln, machen die Überbleibsel der Wegwerfgesellschaft, wie das in der Schule heißt, natürlich wenig aus. Fangen spielen mit Fanta-Flaschen, sich um Kinderschokolade kloppen, Bravo-Heftchen gegenseitig zerreißen, Cabinet-Packungen verstecken, East-Pak-Rucksäcke und Fishbone-Leibchen ins Wasser schmeißen - das macht Spaß.

Freude macht auch das Zugucken. Jedenfalls dem Pärchen, das irgendwie arbeitslos ausschaut. Sie - Russischlehrerin, er - Bauarbeiter, beide um die 40 und nackt. FKK, das war im Osten weit verbreitet. Allerdings: Auch die Errungenschaft, sich überall bräunen zu können ohne Kulturstreifen, wird den Puhdys-Fans zunehmend streitig gemacht, und zwar nicht nur, weil die Sonnenstudios auf Umsatz drängen. Die Jüngeren machen einfach nicht mehr mit, weil sie so aussehen wollen wie Salma Hayek oder Johnny Depp. Tja, der Kulturimperialismus ist überall, und die Jungnazis, die den entblößt auf seiner Decke liegenden Studenten "schwule Sau" nennen, merken's nicht mal.

Merken tut auch eine andere Spezies am See nicht viel. Das ist kein Wunder, ist es doch eine Lieblingsbeschäftigung dickbäuchiger Deutscher, sich in sengender Hitze Dosenbiere in die Birne zu kippen. Nebenher dudelt ein Radio, das wie eine Blechbüchse klingt. Dazu kreist eine Flasche Billigschnaps, gebrannt in der Schilkin-Destillerie, die etwa einen Kilometer entfernt liegt. Etwas weiter weg beginnen die Hellersdorfer Plattenbauten.

Aber auch in der näheren Umgebung hat die ehemalige Kiesgrube einiges zu bieten: ein wenige Hektar großes Naturschutzgebiet, in dem leidenschaftliche Angler durchs Schilf stapfen und Teenie-Pärchen kuscheln; ein Fußballplatz, auf dem Sechstklässler Feldcamps Feldwebelton pflegen und sich gegenseitig in die Knöchel treten; ein gerademal hundert Meter entfernter Parkplatz, auf dem Fahrschülerinnen schalten üben und tiefer gelegte Golfs mit quietschenden Reifen starten; Einfamilienhaus-Grundstücke, in deren Vorgärten Aldi-Bratwürste gegrillt und Rhabarberstengel geerntet werden; ein linker Jugendclub, in dem Schüler-HC-Bands vor ungefähr neun Fans spielen und das Bier einsfünfzig kostet; ein kleines Feld, auf dem der Roggen vor sich hintrocknet und Schäferhunde Spatzen jagen.

Überhaupt die Hunde. Natürlich ist die Wiese am See das, was so ziemlich alle Berliner Grünflächen sind: ein überdimensioniertes Hundeklo und Dressurplatz für Pitbulls. Damit die Kampfköter einen Grund haben, über Decken und Badetücher zu wetzen, brechen deren kurz- oder langhaarige Herrchen Äste aus den Bäumen, die noch etwas Schatten spenden, und werfen sie mit anfeuerndem Gebrüll ins Wasser. Das ist verständlich, schließlich muß der Jagd- und Beißtrieb befriedigt werden - Jogger und Joggerinnen aber sind selten im Osten.

Daß die Jäger und Sammler noch nicht ausgestorben sind, beweist ein ziemlich kruder Kerl, der ab und an seinen großen Auftritt am See hat: ein echter Germane. Er ist groß und stämmig, hat lange mittelblonde Haare, blaue Augen, rasiert sich nicht und erzählt jedem, der es nicht hören will, er sei stolz, ein echter Arier und Antichrist zu sein. Wotan, der Wahrhaftige, trägt traditionelle Tracht: eine Wildschweinfelljacke, undefinierbare Beinkleider, am Hals eine Runenkette, um den Bauch einen Gürtel gewunden, an dem ein 20 Zentimeter langer Dolch baumelt. So zieht er denn von Liegeplatz zu Liegeplatz und beglückt die Leute mit seinen Erkenntnissen: daß die Welt im Wald am besten war und der Germane der Größte. Bemerkenswert ist, daß die Leute am See weder unangenehm berührt sind, noch sich über den gefährlichen Spinner lustig machen - sie scheinen sich durchaus angeregt mit ihm zu unterhalten.

Mit einer Ausnahme: Die russische Großfamilie, um die der Kerl brabbelnd einen großen Bogen macht, hat Besseres zu tun. Sie spielt Karten und bereitet den Grillabend vor. Auch bei der 30jährigen, die eben noch ihr Fahrrad mit dem Kindersitz über die Wiese schob und sich mit einer sympathischen Selbstverständlichkeit nackt in den See stürzte, als befände sie sich daheim im Bad und nicht inmitten einer zumindest zum Teil gaffenden Menge, blitzt der Kerl ab. Schließlich trottet er dahin zurück, wo er hergekommen war: zu der Gruppe rechter Jugendlicher. "Wat willst'n du hier, du Hippie?" wird er jedenfalls nicht gefragt.