Kein Kaufhaus mehr in Kreuzberg

Schluß mit Schnäppchen

Gefährliche Orte LXV: Kein Kaufhaus mehr in Kreuzberg. Karstadt schließt im Dezember seinen Fox-Markt am Kottbusser Damm

"Boulevard der Bekloppten" ist der Name, auf den sich der Volksmund mehrheitlich geeinigt hat. Dabei gehört der Kottbusser Damm - zumindest bei günstigem Lichteinfall - zu den schönsten Straßen Berlins. Hier treffen Kreuzberg und Neukölln aufeinander und stellen ihre unvereinbaren Gegensätze in den Nebenstraßen zur Schau. Zwischen beiden Fahrbahnen zieht sich eine endlose Reihe von Bäumen, die im Sommer von einem löchrigen Schlauch bewässert werden, der den stauenden Autofahrern oftmals eine willkommene Abkühlung spendet.

Auf den Gehwegen herrscht am Tage geschäftiges Gedränge. Und es gibt hier eigentlich alles. Von jeder mittelmäßigen Kette eine Filiale, den unausrottbaren Berliner Einzelhandel, Discounter an jeder Ecke, den ältesten Döner-Laden der Stadt, auch richtige Frittenbuden, ein Kino, in dem sogar Tom Tykwer seine Filme zeigen darf, den Tonträgerhandel, der auch Schallplatten, die nicht bestellt wurden, in Zahlung nimmt, Pizzerien mit unschlagbaren Sonderpreisen, das antifaschistische China-Restaurant, das Fachgeschäft für türkischen Pop, zweimal Penny, einmal Reichelt, Pipapo.

Nur eine richtige Kneipe gibt es hier nicht. Der "Hammer" und der "Blaue Affe" seien ausdrücklich ausgenommen, da sie als Reservate den Ind'genas vorbehalten sind. Aber an dieser Stelle, den Hermannplatz im Rücken, nimmt das Unheil seinen Ausgang. Und am anderen Ende des Kottbusser Damms, dort wo sich "Ankerklause" und Fox-Markt gute Nacht sagen, ist es an seinem Ziel angekommen: Das traditionsreiche Billig-Kaufhaus macht Ende des Jahres zu.

Der Fox-Markt an der Kottbusser Brücke war seit jeher eine Oase des besonderen Geschmacks und der niedrigen Preise. Rollerblades gibt es schon für 40 Mark, die billigsten Schlüpfer kosten gerade mal fünf Mark und manchmal ist auch für nur eine Mark ein Kartoffelschäler drin. Selbst am vergangenen Samstag, während sich Raver und Touristen im Tiergarten vergnügten und noch nicht wußten, daß später einer von ihnen erstochen werden sollte, wurden hier eifrig die Preise verglichen. Kathi, 23, aus Charlottenburg spricht ins Fernsehmikrofon, daß sie es doof findet, wenn die Love Parade in eine andere Stadt verlegt wird, und Fox-Stammkunde Peter, 55, aus Kreuzberg hält es für eine "echte Katastrophe", daß es seinen Lieblingsladen nicht mehr lange geben wird.

Auch die Verkäuferinnen sind nicht besonders begeistert von der Idee. "Denn such ick ma halt'n neuen Job", sagt Cornelia, 35, nur beiläufig und stürzt sich wieder ins Getümmel. Gerade an den Tagen, an denen gegenüber am Maybachufer der Gemüsemarkt abgehalten wird, gleicht die Schnäppchenzone im Eingangsbereich einem Schlachtfeld - und das, obwohl dort nur Sachen angeboten werden, die einer eingehenden Nutzlosigkeitsprüfung standgehalten haben. Aber billig isses jedenfalls.

Und genau das ist das Motto des Hauses. Bis 1994 verhökerte hier Bilka (=billig kaufen) die Hertie-Restposten. Als dann Karstadt Hertie übernahm, wurden die meisten Bilkas geschlossen und der am Kottbusser Damm in Fox-Markt umbenannt. Konsequenterweise kam es vor gut zwei Jahren zu einer Kooperation mit dem bei französischen Arabern sehr beliebten Discounter Tati, der aber bald schon wieder der Karstadt-Resteverwertung den Platz räumen mußte. Nun konnte man sich wieder in Ruhe der Happy-Hour in der Unterwäsche-Abteilung widmen. Wo gibt's denn heute sowas noch? Im Fox-Markt gab es das. Die Spielregeln waren zwar nur schwer zu durchschauen, aber immer gegen Mittag wurden die Produkte einer Abteilung zum halben Preis verkauft.

Das hat nun ab dem 15. Dezember ein Ende. 55 Beschäftigte verlieren ihren Job und freuen sich schon auf ihren Sozialplan. Und Kreuzberg ist sein letztes richtiges Kaufhaus los. Nach der Schließung des guten alten Hertie am Halleschen Tor im März (Jungle World, Nr. 12/99) ist dies nun schon der zweite Streich des Karstadt-Konzerns in diesem Jahr. Übrig bleibt nur noch der Karstadt am Hermannplatz, der zwar strenggenommen geographisch noch Kreuzberg zuzuordnen ist, ideologisch jedoch eindeutig zu Neukölln gehört. Kreuzberger Konsumenten können sich künftig nur noch gesenkten Hauptes zu Alimentari & Vini schleichen, versuchen, beim Gemüsetürken eine Tüte Frischmilch zu bekommen oder eben in die Neuköllner Karl-Marx-Straße fahren.

Das Karstadt-Management begründet die Schließung mit zu geringen Umsätzen und mit Imageproblemen - man wolle schließlich "weg von den Wühltischen". Statt dessen wird an der Karstadt-Filiale am Hermannplatz munter weitergewerkelt. Zwar haben die dortigen Bauarbeiten (Jungle World, Nr. 13/99) schon eine komplett neue Zoo-Abteilung hinterlassen, im Rest des Hauses herrscht aber immer noch ein ganz ansehnliches Chaos. Im Tiefgeschoß muß man den Käse in der einen Hälfte der Lebensmittelabteilung kaufen und den Wein dazu in der anderen. Die Sportabteilung macht ihrem Namen alle Ehre und springt munter im Gebäude umher. Die Angestellten - per Arbeitsvertrag zur Freundlichkeit verpflichtet - nehmen es gelassen und erklären dir stoisch den Weg zu Leitz-Ordnern, Kinderschuhen und Baseball-Kappen.

Noch schnell ein Paar Socken eingesteckt, bevor es durch die eleganten Schwingtüren ins Freie geht, und man befreit sich wieder vom Berliner Baustellen-Look. Hier ist alles so, wie es immer war. Mal abgesehen davon, daß der Nachfolger des Hühnerfrittierers, der sich jahrelang weigerte, sein Geschäft zu eröffnen, der unscheinbare Hot-Dog-Laden also, jetzt nach ziemlich kurzer Zeit wieder schließen mußte.

Zwar ist mit dem Tod des Fox-Marktes der Ruf des Kottbusser Damms als Billigmeile nicht gefährdet, ein schwerer Schlag gegen die ohnehin schon arg gebeutelte Straße ist es doch. Wer erinnert sich nicht an die ekelige Diskussion nach der Wiedervereinigung, ob man denn nun nicht das Kottbusser Tor ins Lausitzerische übersetzen müsse, auf daß es dann Cottbuser Tor heiße? Hätte das dann nicht auch für den Kottbusser Damm gegolten? Und das, obwohl der arme kleine Boulevard durch die Streichung seines U-Bahnstation-Namens schon genug gestraft war!

Was mit dem hübschen Fox-Haus im nächsten Jahrtausend passieren wird, weiß man noch nicht. Aber so schön wie die Grabbeltische waren, werden sie sicher nie wieder sein.