Eine halbe Stunde Glück

Keine Waffenabgabe, keine Regierung - der nordirische Friedensprozeß ist vorläufig gescheitert

Selbst der bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit lächelnde Tony Blair war dieses Mal ernst: "Um Himmelswillen, ruiniert doch nicht die beste Friedenschance einer ganzen Generation!" appellierte der britische Premier in einem letzten Versuch zur Rettung des Friedensprozesses an unionistische Politiker. Doch seine Worte wurden nicht beachtet. Am vergangenen Mittwochabend erklärte UUP-Chef David Trimble, der Standpunkt seiner Partei bleibe unverändert. Es gebe weiterhin keine Garantie dafür, daß die IRA ihre Waffen abgebe, wenn sie durch Sinn Féin in die gemeinsame nordirische Regierung komme.

Ganze 15 Minuten dauerte das Treffen der UUP-Führung, dann traten die Delegierten geschlossen vor die Kamera und verkündeten: "Es gibt keine Patentlösung für Frieden. Wir alle sollten uns überlegen, ob die Hast, mit der die Verhandlungen geführt wurden, wirklich nötig ist, oder ob es nicht besser wäre, etwas Zeit zu gewinnen und auf einer besser fundierten Basis weiterzuarbeiten." Damit waren denn auch alle Hoffnungen auf einen Durchbruch der seit drei Wochen intensiv geführten Verhandlungen zwischen den nordirischen Konfliktparteien sowie den britischen und irischen Premiers zerstört.

Nach der bisherigen Planung hätte die gemeinsame Regierung am vergangenen Donnerstag ernannt werden sollen - mit insgesamt zehn Ministern. Zwei davon hätte die IRA-nahe Sinn Féin stellen sollen. Am 18. Juli wären dem nordirischen Parlament dann die entsprechenden Vollmachten von Westminster übertragen worden - und die nordirische Provinz hätte zum ersten Mal seit 27 Jahren wieder eine eigenständige Regierung vorweisen können.

Trotz der abweisenden Haltung der UUP trafen sich die Parlamentsmitglieder Donnerstag morgen noch einmal in Stormont, um die Ernennung der Regierungsminister vorzunehmen. In bürokratisch perfekter Ordnung begann man, die einzelnen Parteien zur Nominierung aufzurufen - obwohl die größte Partei, die UUP und mit ihr Ministerpräsident Trimble, sich nicht die Mühe gemacht hatte zu erscheinen.

Für eine halbe Stunde ging nun der Wunschtraum aller Sinn Féin-Fans in Erfüllung: Durch die Weigerung aller unionistischen Politiker, ihre Minister zu ernennen, bekam das nordirische Parlament plötzlich eine rein nationalistische (bzw. republikanische) Regierung - bis diese wegen fehlender unionistischer Repräsentation wieder aufgelöst werden mußte. Im Anschluß legte dann auch noch der stellvertretende Ministerpräsident Seamus Mallon, Mitglied der gemäßigt nationalistischen SDLP, sein Amt nieder.

In den Tagen zuvor hatte die britische Regierung noch einmal alles versucht, um die Zweifel der Unionisten zu zerstreuen. Im Eildurchlauf wurde ein sogenannter "Absicherungsmechanismus" durch die beiden Kammern Westminsters gebracht. Dieser sollte garantieren, daß Sinn Féin sofort von der Regierung suspendiert wird, sollte die IRA ihren Verpflichtungen zur Entwaffnung nicht nachkommen.

Doch offensichtlich waren auch diese Garantien für die UUP nicht genug. "Das Gesetz der britischen Regierung ist sowohl fehlerhaft als auch unfair", beklagte sich David Trimble: "Denn wenn Sinn Féin ihren Verpflichtungen zur Entwaffnung nicht nachkommt, werden alle Parlamentsmitglieder gemeinsam ihrer Ämter enthoben." Theoretisch wären die unionistischen Parteien im Fall eines Ausschlusses von Sinn Féin auf die Unterstützung der nationalistischen SDLP angewiesen, um eine ausgewogene Repräsentation beizubehalten. Diese ist allerdings traditionell eng mit der Sinn Féin-Wählerschaft verbunden.

Auch die Reaktionen auf republikanischer Seite waren Ende letzter Woche von Enttäuschung und Unverständnis geprägt. Fast schon hatte man sich der Illusion hingegeben, erstmals die nationalistische Bevölkerung der nordirischen Provinz auch auf parlamentarischer Ebene vertreten zu können. Verhandlungsführer Martin McGuinness erklärte: "Die Republikaner werden zu Recht wütend sein. Wenn die britische Regierung das erlaubt, wird es ihr größter Fehler seit vielen Jahren werden."

Bis jetzt bekräftigen noch alle Seiten - auch die UUP - ihren Willen, das Karfreitagsabkommen weiter umzusetzen. Offen bleibt allerdings die Frage nach einem Weg, den alle akzeptieren. Sollen die bereits installierten Nord-Süd-Gremien auch dann arbeiten, wenn das Ulster-Parlament nicht zusammentritt? Was passiert mit der unionistisch geprägten Royal Ulster Constabulary, die zur Zeit umstrukturiert wird? Was ist mit den politischen Gefangenen?

Zusammen mit Tony Blair und dem irischen Regierungschef Bertie Ahern soll nun auch wieder der US-amerikanische Senator George Mitchell, der zu Ostern letzten Jahres den Vorsitz der Friedensverhandlungen übernommen hatte, vermitteln.

Damals hatten 71 Prozent der nordirischen Bevölkerung für die Umsetzung des Friedensplans gestimmt, der als einzige Möglichkeit angesehen wurde, nunmehr 30 Jahre Bürgerkrieg zu beenden. Heute hingegen nimmt auf beiden Seiten die Resignation spürbar zu. Immer mehr wird deutlich, wie wenig beide Seiten bereit sind, von ihren Positionen abzurücken.

Ian Paisley, Chef der Demokratisch Unionistischen Partei (DUP), hatte bis zuletzt daran gearbeitet, Sinn Féin aus dem Ulster-Parlament auszuschließen. Einen entsprechenden Antrag im Parlament zog er erst zurück, als klar war, daß aus der Regierungsbildung ohnehin nichts werden würde. "Das war ein Sieg der Demokratie", kommentierte Paisley erfreut das Geschehen vom vergangenen Donnerstag.

Genauso alt wie die zahlreichen Friedensgespräche in Nordirland ist die einseitige Konzentration der unionistischen Seite auf eine sofortige Entwaffnung der republikanischen IRA. Allgemein akzeptiert wird dagegen, daß die Entwaffnung der loyalistischen Paramilitärs erst im Anschluß an eine IRA-Entwaffnung geleistet werden kann. Trotz zahlreicher Versicherungen Sinn Féins hat die IRA bis heute noch keine Erklärung abgegeben, in naher Zukunft mit der Entwaffnung zu beginnen.

Der Sinn Féin-Vorsitzende Gerry Adams machte erst vor einer Woche in einem Artikel für die Tageszeitung Irish News deutlich: "Wir wurden in den letzten Wochen von einigen Republikanern gefragt, was die britische Regierung eigentlich so sicher macht, daß die Entwaffnung kurz nach der Regierungsbildung erfolgen wird. Wir wurden auch gefragt, ob die IRA eine Erklärung abgeben wird. Die erste Frage kann nur die britische Regierung selbst beantworten. Es ist nicht innerhalb der Bedingungen des Karfreitagsabkommens. Die Antwort für die zweite Frage kann nur von der IRA selbst gegeben werden."

Die republikanische Basis scheint mit den derzeitigen Friedensverhandlungen ebenfalls nicht sehr zufrieden zu sein. Angesichts zunehmender sektiererischer Anschläge auf Häuser katholischer Familien werden hier die Rufe nach einer Beendigung des Waffenstillstandes immer lauter.