»Jede Grenzverschiebung wäre eine Katastrophe«

Interview mit Yannos Kraniditios, griechischer Minister für Europa-Angelegenheiten

Als Bodo Hombach zum neuen Balkan-Koordinator bestellt wurde, versuchten zwei europäische Staaten diesen deutschen Vorschlag zu blockieren: Österreich und Griechenland. Warum?

Wir waren nicht gegen die Person Bodo Hombachs. Und wir haben die Ernennung Hombachs letzten Endes auch nicht verhindert. Aber gemeinsam mit Österreich wollten wir sicherstellen, daß der Stabilitätspakt nicht zu einer einzigen Personalentscheidung degradiert wird. Deshalb haben wir gemeinsam mit Österreich dafür gesorgt, daß Wolfgang Petritsch als erfahrener Balkan-Experte Hoher Repräsentant für Bosnien-Herzegowina wird.

Außerdem wollten wir eine Entscheidung bezüglich des künftigen Sitzes der Wiederaufbau-Agentur herbeiführen. Die Europäische Kommission wollte ja ursprünglich diese Agentur nur in Pristina installieren. Aber - wiederum gemeinsam mit Österreich - haben wir da eine andere, komplexere Sicht der Dinge: Wenn die Wiederaufbau-Agentur alleine in Pristina säße, so wäre es das falsche Signal für die Region gewesen. Der Wiederaufbau sollte sich ja nicht nur auf eine einzige Region des Balkans konzentrieren, sondern auf das ganze Gebiet. Wenn man sich da nur auf das Kosovo beschränkt, würde dies nur neue Krisen, neue Konflikte provozieren. Deshalb wird es nun diese Wiederaufbau-Agentur auch in Thessaloniki geben. Die Stadt liegt im EU-Gebiet und doch am Balkan.

Damit setzen Sie aber auch ein Signal: Griechenland steht quer zum politischen Mainstream in der EU.

Das war ja schon vor dem Beginn des Krieges so. Wir waren gegen den Krieg. Wir haben versucht, unsere europäischen Partner zu überzeugen, ihre diplomatischen Bemühungen zu verstärken. Eine politische Lösung wäre tragfähiger gewesen als dieser Krieg. Griechenland konnte sich trotz seiner Nato-Mitgliedschaft nicht an dem Bombardement beteiligen. Jetzt ernten wir die Ergebnisse unserer Position: Griechenland konnte seine Vertrauenswürdigkeit in der Region erhalten.

Können Sie Ihre europäischen Partner auch davon überzeugen, daß deren Ignoranz gegenüber Jugoslawien beim Wiederaufbau nicht sehr weitsichtig ist? Bisher ist Ihnen das nicht gelungen.

Wir haben sehr gute Beziehungen zu Jugoslawien. Natürlich unterstützen wir nicht Slobodan Milosevic und seine Methoden. Aber Jugoslawien muß in die europäischen Strukturen integriert werden. Das wäre eine bessere Lösung als die derzeitige.

Diese Position könnte aber wiederum Ihre Vertrauenswürdigkeit gegenüber den EU-Partnern untergraben.

Grundsätzlich gilt für uns: Die Sanktionen gegen Jugoslawien müssen jetzt aufgehoben werden. Die waren während des Krieges in Ordnung. Aber jetzt ist der Krieg vorbei. Wir müssen die Infrastruktur aufbauen und wirtschaftliche Hilfe leisten. Auch ganz abgesehen von Milosevic: Er wird wahrscheinlich bald Geschichte sein. Entweder er geht von selbst, oder die Bevölkerung Serbiens entscheidet sich gegen ihn.

Wie schwer ist Griechenland wirtschaftlich vom Krieg betroffen?

Wir hatten große ökonomische Probleme. Die Transportwege waren abgeschnitten. Unsere Exporte sind viel teurer geworden. Alle Straßen waren blockiert, wir mußten Umwege über Rumänien und Bulgarien oder Italien machen. Jetzt leiden wir vor allem an den Konsequenzen für den Tourismus. Viele Touristen kamen ja aus Jugoslawien und anderen Balkan-Ländern. Aber wir werden das überstehen.

Auch die griechische Bevölkerung war gegen den Krieg. Hat das für Ihre Regierung politische Probleme verursacht?

Alle Griechen waren gegen diesen Krieg, gegen die Bombardierungen. Vor allem, weil wir fürchteten, daß dieser Konflikt enorme Auswirkungen auf unser Land haben würde. Aber ich glaube nicht, daß die Demonstrationen und die Blockaden der Häfen unsere Regierung in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht hat.

Wie schwer war das Verhältnis zwischen Griechenland und der Nato während des Krieges belastet?

Wir hatten sehr ernste Gespräche mit unseren Partnern. Griechenland ist Mitglied der Nato und der EU, aber geographisch sind wir Teil des Balkans. Vielleicht verstehen wir die Probleme der Region ein wenig besser und hatten daher die Pflicht, eine andere Politik zu vertreten. Wir waren auch das einzige Land, das während der Bombardierungen humanitäre Organisationen in das Kosovo selbst schickte.

Obwohl es nicht offen ausgesprochen wird, zweifelt innerhalb der Nato wohl niemand mehr daran, daß das Kosovo bald unabhängig sein wird. Wie würden Sie sich in diesem Fall verhalten?

Das kommt für uns nicht in Frage. Wir sind grundsätzlich gegen die oft geäußerte Überlegung, die Grenzen am Balkan zu verändern. Jede Grenzverschiebung würde eine Katastrophe zur Folge haben. Es muß Rechte für Minderheiten geben, und die Politik Milosevics ist zu verurteilen. Aber wir können nicht jeder Minderheit am Balkan einen eigenen Staat geben.

Die UCK glaubt das aber schon. Wenigstens für das Kosovo. Und sie erfährt zumindest indirekte Unterstützung von der Nato.

Aus unserer Sicht ist die UCK eines der größten Probleme der ganzen Region. Das muß gelöst werden. Die Uno muß einschreiten und die UCK in die Schranken weisen. Zwar ist der Krieg vorbei, aber nicht zuletzt durch die UCK wird die Krise immer ernster. Nochmals: Das Kosovo muß ein Teil Jugoslawiens bleiben. Die Nato hat einen Krieg gewonnen, aber im Frieden hat sie keine Erfahrung. Wir aber schon. Man sollte auf uns hören.