Bei Wagners unterm Sofa

Die Bayreuther Festspiele und der Nachfolgestreit.

Aufgefordert, den nächsten Leiter der Bayreuther Festspiele zu bestimmen, schießt mir in einer Sekunde durch Hirn nur dies: Scheißthema.

Über den weltanschaulichen Quark der Libretti Richard Wagners äußerte sich der Tonsetzer selber in etlichen Aufsätzen, die für jedes vernunftbegabte Wesen eine Zumutung waren, und dem entsprach auch allzeit die Mentalität seines Publikums.

In grober Vereinfachung kann man sagen, der Unterschied zwischen damals und heute besteht darin, daß die Zeitgenossen Wagners sich ihre sozialpolitischen Zwangsneurosen modisch vertonen ließen, während die Schröders und Fischers vom Lifestyle der Belle Epoque nur die Havannas und Maßanzüge übernommen haben, also nicht mehr mitkriegen, was sie sehen, wenn sie was hören.

Das Imperium der Wagners beruht auf einer erstaunlichen Kontinuität der Stützen: Erst Ludwig II. von Bayern, dann Adolf Hitler und ab 1951 die Kriegsgewinnler, die sich und der Welt einreden wollten, man könne die Opern Wagners genießen, ohne an ihre mörderischen Konsequenzen zu denken.

Seit etwa zehn Jahren sieht man auch Mittelstürmer und Talkmaster den Hügel raufschlurfen. Ohne Vips und Events kann man heute nicht mal mehr in Kastellaun eine Mega-Techno-Party veranstalten.

"Verachtet mir die Meister nicht", dichtelte der Meister.

Wer nicht wahrhaben will, daß Hitler allen Grund hatte, für Wagner zu schwärmen, verachtet den Meister. Aber da zeigt sich nur, daß die Leute nicht wegen der Oper nach Bayreuth fahren.

Eine zweite Kontinuität der Wagners sind die Familienbande. Von meinem Urgroßvater, der allerdings nur ein litauischer Tagelöhner auf einem preußischen Grafenhof in Polen war, haben sich in meiner Generation ganze zwei Nachkommen erhalten. Alle übrigen Stämme stehn im Telefonbuch von Berlin, Kalisch, Warschau etc. und behaupten, nicht mit mir verwandt zu sein, wenn ich mal anrufe. Hätte ich vom Opa ein Festspielhaus geerbt, kämen sie immer auf meinen Geburtstag.

Die Wagners haben - und deshalb gibt es vor jedem Erbfall noch heute ein halbes Dutzend Thronprätendenten, die alle ein Opern-Abonnement besitzen, um sich optimal vorzubereiten. Beliebt als Thronfolger waren stets die Witwen (Cosima, Winifried), aber auch Söhne (Siegfried, Wieland, Wolfgang) mit einer ausgeprägten Neigung zur Mittelmäßigkeit.

Wieland beispielsweise, der als Genie verkauft wurde, wollte zunächst Fotograf und Maler werden. Seine Fotos werden wohl unter Verschluß gehalten. Seine Bilder wurden größtenteils vernichtet, um Schaden vom Image der Firma abzuwenden. Die paar erhaltenen, u.a. ein Hitler-Bild, weisen ihn als einen Mann aus, der nicht ahnt, wie unbegabt er ist.

Die Vermutung liegt nahe, daß er als Opernregisseur gute Berater hatte, und so behauptete seine Witwe Gudrun zeit ihres Lebens, sie sei mehr als seine Muse gewesen. Wolfgang, Wielands Nachfolger, drohte ihr deshalb mit Entzug der Pension, wenn sie noch mal das Maul aufmache. Deshalb haben die Bewerberinnen der nächsten Generation auch so schlechte Karten. Keine Musen, keine Witwen, keine unbegabten Söhne. Verschärfend kommt hinzu: Nike, eine von Wielands Töchtern, ist intelligent und kann noch dazu schreiben. Eva, Wolfgangs Tochter aus erster Ehe, soll Erfahrungen im Opernbetrieb haben.

Also wird es wohl doch Wolfgangs zukünftige Witwe Gudrun werden. Sie bringt auch sonst alle Voraussetzungen mit: viel Selbstgefälligkeit, ein großes Maul, intime Betriebskenntnis, keine Ahnung von Kunst und ein Dekolleté, das aussieht wie ein weichgekochter Rinderpansen. Es gibt Fotobände. Sie belegen: Alle weiblichen Mitglieder der diversen Wagner-Clans eint die Liebe zum Dekolleté und ganz allgemein zur Geschmacklosigkeit in Bekleidungsfragen.

Verblüffend ist das Prinzip, die Nachfolge durch Erbfolge zu regeln, auch aus anderen Gründen. Das Bayreuther Festspielhaus auf dem Hügel über der Stadt ist, samt den darin erklingenden Ohrwürmern und den angegliederten Archiven und Gedenkstätten, nicht nur ein deutsches Nationalmonument - wie Hermann, der Cherusker, und das Niederwalddenkmal -, sondern auch nur überlebensfähig, wie alle Opernhäuser, dank heftiger öffentlicher Subventionen und privater Sponsoren.

Dennoch hat, wie es scheint, die Öffentlichkeit kein Wörtchen mitzureden bei der Besetzung der Leitungsfunktionen. Bayreuth ist das einzige Opernhaus der Welt, das praktisch einer Familie gehört, nur Werke eines Komponisten aufführt und immer von einem Wagner geleitet wird, der nicht einmal abgesetzt werden kann, wenn er so vergreist und senil ist wie der momentane Leiter Wolfgang Wagner.

Wohlverstanden: Als Ort der Werkpflege wäre Bayreuth vermutlich nicht besser, wenn kein Wagner dem Unternehmen vorstünde. Nicht nur Wagners Opern würde es gut tun, wenn sie mal eine Zeitlang nicht gepflegt werden würden: Ein großer Teil des musikalischen Erbes sollte fünfzig Jahre lang für die Öffentlichkeit gesperrt werden, um das unselige Wiederholungsgedudel endlich zu beenden.

Es gab nach der Nazizeit einen sinnvollen Vorschlag: die Festspiele für alle Zeiten zu verbieten. Das Festspielhaus hätten die Bomber der RAF schon vor Kriegsende auf die Liste der präventiven Kollateralschäden setzen können. Statt dessen wurde nur die Realkulisse der "Meistersinger von Nürnberg" bombensicher entsorgt, nicht aber der Ort, wo sie noch heute gefeiert werden.

Wer mehr wissen will über die Liebe der Wagners zu "Onkel Wolf", alias Hitler, lese z. B. die Erinnerungen von Bertha Geismar (Mitarbeiterin Furtwänglers, die nach London flüchten mußte).

Friedelind, eine Schwester des jetzigen Chefs, die in die USA flüchtete und von ihrer Mutter mit dem Tode bedroht wurde, hat in "Nacht über Bayreuth" erzählt, wie "Onkel Wolf" ins Haus kam, und auch die Biographie Gertrud Wagners strotzt nur so vor politischen Klischees und zeigt, wie wenig im Hause Wagner die eigene nazistische Vergangenheit durchdacht wurde.

Die sogenannte Entrümpelung Bayreuths durch Wieland Wagner war keine, weil der Nazismus kein Gerümpel war, sondern eine Mustermesse, aus deren Angeboten sich die Bonner Republik reichlich bedient hat. Wieland Wagners Konzepte entsprachen der Art, wie die Errungenschaften des Nazismus ab 1949 in Westdeutschland genutzt wurden. Seine Scheibe, seine Beleuchtungstricks, seine Abstraktionen haben mich immer an die Ästhetik von Leni Riefenstahl erinnert.

Daß die Wagners dagegen behaupteten, ihr Sortiment sei demokratische Vollwertkost, ist verständlich. Mein türkischer Metzger wirbt auch mit dem Slogan: "Wir verkaufen nur Fleisch von Deutschen."

Den Zahnarzt, der am Rand des Fichtelgebirges jeden August seinen Smoking lüftet, interessiert per se nicht, ob der Boden ideologisch verseucht ist, auf dem die Buffets mit den Sektgläsern stehn, solange man zwischendurch die Gräfin von Finkelfritz trifft und der Tisch in den Kalbsbratenstuben reserviert ist. Vielleicht mit Knödel?

Typen wie Stoiber, oder wer immer von dieser Nomenklatura nachmittags auf dem Festspielhügel herumstolziert, werden sowieso erst bei der Ankunft vom Referenten gebrieft, daß der Bonhomme, dem sie gleich die Hand schütteln werden, nicht der neue Vorsitzende der banatschwäbischen Landsmannschaft ist, sondern ein durch nichts als das Erbrecht legitimierter Dummschwätzer, der nicht einmal als Automatenaufsteller auf Mallorca brauchbar wäre.

Wolfgang Wagner hat sein Lebtag nichts getan, als eventuelle Konkurrenten und Nachfolger vom Bayreuther Hühnerhof wegzupicken. Seine Autobiographie "Lebensakte" ist so geistvoll wie der Rechenschaftsbericht eines Kreisfeuerwehrverbandsvorsitzenden. Die Quintessenz seiner Inkompetenz ist freilich ein anderer Mangel, und kein Regisseur, kein Bühnenbildner hat ihm darin je widersprochen: In Bayreuth verabsäumt man seit Wielands Tod, was der alte Richard meisterlich beherrschte und Wieland noch einmal in Szene setzte: dem Zeitgeist ein Kunstwerk anzuhängen wie ein Ladenschild.

Das ist freilich nicht typisch für Bayreuth. Nichts scheut das Juste-milieu der bundesdeutschen Macher und Verdiener mehr als eine Kunst, die seinem Wesen entspricht. Im Werk Wagners konnte die wilhelminische Bourgeoisie sich selbst erkennen. Zum Festessen am Sedanstag gehörte die Klavierbearbeitung des "Einzugs der Sänger auf die Wartburg", gespielt vom Töchterlein. In Wagners Opern waren das Bewußtsein und der Gefühlshaushalt der herrschenden Klassen einer Epoche begraben. Hundert Jahre später, heute also, fällt mir nicht ein Kunstwerk ein, das in ähnlicher Weise eine ähnliche Rolle spielte.

Es hat wenig Zweck zu lamentieren, daß es Veranstaltungen wie die Bayreuther Festspiele gibt. Sie sind nur ein Steinchen im Mosaik einer verblödeten Gesellschaft. Festspiele, ob klein, ob groß, dienen der Unterhaltung. Davon macht Bayreuth keine Ausnahme. Immer nur Golf spielen und Anlagetips ist auch öde. Der Personalchef fährt ein paar Tage nach Franken so wie ich zur Jahrestagung des Pen-Club. Opern eignen sich gut dazu, mal an nichts zu denken, und Wagner-Opern besonders, weil sie so lang sind.

Das erklärt auch, warum mittelständische Unternehmer, die drei Ferraris aus der Portokasse bezahlen könnten, Wartezeiten in Kauf nehmen, als wäre das Billett in Bayreuth ein Automobil Marke Wartburg und das Fichtelgebirge die DDR.

Gesungen, gefiedelt, agiert und inszeniert wird in Bayreuth nicht besser als an einem Dutzend deutscher Opernhäuser. Ja, man kann sagen, die Musik ist noch guter Durchschnitt, aber was in puncto Bühnenbild, Ausstattung und Regie hingelegt wird, dient oft nur noch dem Sensationsbedürfnis des Spiegel-Redakteurs für Musik und Gesellschaft und stützt die Forderung, daß man Wagner, wenn schon, denn schon nur noch konzertant aufführen sollte und vielleicht in finnischer Sprache.

Wer, wie ich, in den frühen fünfziger Jahren noch die alten Inszenierungen und Ausstattungen gesehn hat, wird das schon immer für eine gute Idee gehalten haben. Das Beste an Wieland Wagners Inszenierungen war im Grunde ihr Hang zum Oratorischen.

Entsprechend sinnlos ist es, darüber nachzudenken, wer demnächst die neue Leiterin auf dem fränkischen Idiotenhügel werden soll und sich darüber zu echauffieren, daß die derzeitige Gattin des seit 33 Jahren amtierenden Platzhirschs sich Hoffnungen auf die Nachfolge macht - und sei es als Regentin, bis ihre Tochter einen Taktstock von einem japanischen Eßstäbchen unterscheiden kann.

Bei dieser Tochter handelt es sich um ein etwa 19jähriges Gestell mit langen Korkenzieherlocken, die aussehen, als hätte sie Mamas Dildo als Lockenwickler mißbraucht. Mädels wie diesem würde ich noch nicht mal sechs frische Landeier abkaufen.

Im Grunde deklassiert sich jeder, Wagner oder nicht, der den Intendantensessel in Bayreuth anstrebt. Genausogut kann man die Mercedes-Generalvertretung in Kuala Lumpur übernehmen.