»Ich bin Antimilitaristin«

Dem Krieg voraus ging seine Verschleierung: Als "Pazifismus unter den aktuellen Bedingungen" bezeichnete im Oktober 1998 die damalige Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Heide Rühle, die Drohung der Nato, Jugoslawien zu bombardieren. Keinen Monat später waren die ersten Bundeswehrsoldaten in Mazedonien stationiert - allerdings nicht zur Evakuierung der 2000 OSZE-Beobachter im Kosovo, wie die Grünen behaupteten, sondern zum Einmarsch in die Provinz, wie sich spätestens nach Beginn der Nato-Angriffe im März herausstellte. Auf ihrem Parteitag in Bielefeld billigten die Grünen im Mai die Militärschläge gegen Jugoslawien. Angelika Beer ist Verteidigungspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion.

"Für den Frieden kämpfen, das geht mit Waffen nicht", haben Sie noch 1993 - auf dem Grünen-Sonderparteitag zum Bosnienkrieg - gesagt. Sechs Jahre später hat sich diese Position wohl erledigt: Während des Kosovo-Krieges waren Sie maßgeblich daran beteiligt, Ihre Fraktion zur Unterstützung der Nato-Angriffe gegen Jugoslawien zu bewegen. Woher kommt der Sinneswandel?

Das ist kein Sinneswandel, sondern die Erkenntnis, daß erstens die Mittel der Friedensbewegung der achtziger Jahre keine Antwort auf die Kriege der Gegenwart sind und zweitens, daß die Mittel der zivilen Konfliktprävention nur dann wirken können, wenn man sie rechtzeitig einsetzt. Die Kohl-Regierung hat dies sowohl in Bosnien als auch im Kosovo verweigert. Im März 1999, als alle Verhandlungen an der Weigerung Milosevics gescheitert waren, standen wir vor der Entscheidung, entweder wegzuschauen und somit ethnische Säuberungen großen Ausmaßes im Kosovo zu akzeptieren oder aber den Nato-Einsatz, der bereits Ende letzten Jahres vom alten Parlament beschlossen wurde, als sogenannte Ultima ratio zu akzeptieren. Obwohl ich dem sogenannten "Act Ord"-Beschluß 1998 nicht zugestimmt habe, habe ich seine Durchführung im März 1999 politisch unterstützt.

In einem Beitrag für die taz haben Sie geschrieben, daß bis heute unklar sei, "inwieweit die Regierungen der Nato-Staaten in die konkreten Angriffsplanungen einbezogen waren". Wie kann man denn zu etwas zustimmen, ohne zu wissen, wozu man zustimmt?

Wir waren zu Beginn der Angriffe natürlich informiert über die Nato-Planungen. Nachdem aber der erhoffte schnelle Erfolg, nämlich ein Einlenken Milosevics, ausblieb, wurde die Zeitplanung geändert, ohne daß es ausreichend Informationen oder Mitspracherechte gab. Diesen militärischen Automatismus, der soweit ging, einen Bodenkampfeinsatz ohne völkerrechtliches Mandat zu riskieren, habe ich in der taz kritisiert. Deshalb fordere ich einerseits, den Ablauf der Nato-Luftangriffe kritisch aufzuarbeiten, und warne zweitens davor, daß der Bundestag noch einmal einen Vorratsbeschluß faßt. Durch ihn war das Primat der Politik nicht mehr jederzeit gewährleistet.

Sie haben den Kurs von Außenminister Fischer vor und während des Krieges unterstützt, vor allem deshalb, weil er alles versucht haben will, den Konflikt politisch zu lösen. Kann man das nach allem, was über den Vertragsentwurf von Rambouillet - und da insbesondere den Annex B - bekannt geworden ist, wirklich ernsthaft behaupten?

Erstens ist meines Erachtens politisch alles versucht worden, seitdem Rot-Grün an der Regierung ist. Zweitens hat der Annex B bei den Verhandlungen definitiv keine Rolle gespielt, weil darüber nicht verhandelt wurde, sondern der Bruch vorher erfolgte - auch wenn die Kritik an der Formulierung des Annex B in Teilen berechtigt ist. Die Versäumnisse aber sind in den zehn Jahren davor gelaufen - seit der Aufhebung des Autonomie-Status der Kosovaren. Alle Warnungen vor einer Zuspitzung im Kosovo wurden seitens der europäischen Staaten ignoriert - bis das Kind dann in den Brunnen gefallen war. Nicht zuletzt Fischer ist es gelungen, während der Nato-Luftangriffe die Diplomatie wieder in den Vordergrund zu bringen, Rußland einzubinden und die Uno-Resolution zu erzielen.

Wenn es Rot-Grün tatsächlich darum ginge, zivile Konfliktschlichtungsmodelle zu befördern, warum hat man es dann bis zum Kriegsausbruch nicht geschafft, die zwischen Milosevic und dem US-Sondergesandten Richard Holbrooke im Oktober letzten Jahres vereinbarten 2 000 OSZE-Beobachter in das Kosovo zu entsenden?

Das ist der Tatsache geschuldet, daß über Jahre hinweg versäumt wurde, Menschen auszubilden, die in der Lage sind, konfliktpräventive oder -moderierende Aufgaben zu übernehmen. Aus diesem Defizit müssen politische Konsequenzen für die Zukunft gezogen werden. Wenn man sieht, daß nun die Kfor gezwungen ist, nichtmilitärische Aufgaben zu übernehmen, wird deutlich, daß genau diese Instrumente aufgebaut werden müssen. Ansonsten wird es immer wieder dazu kommen, daß das Militär versucht, Grauzonen zu füllen, um ein Vakuum zu vermeiden. Das hat negative Auswirkungen sowohl auf die Zusammenarbeit mit Hilforganisationen als auch mit internationalen Polizeikräften. Wir brauchen eine Stärkung der OSZE, die für solche Aufgaben zuständig ist.

Im Februar meinten Sie noch, die Medien würden immer nur über Krieg schreiben wollen, obwohl die Regierung doch eigentlich den Frieden vorbereite. Nun hat Rot-Grün Krieg geführt, und doch kritisieren Sie in der taz, daß die serbische Infrastruktur weitgehend zerstört ist. Ist es nicht etwas beliebig, erst den Nato-Bombardements zuzustimmen und danach die Zerstörung Jugoslawiens zu beklagen? Das wußte man doch vorher schon.

Es war vorher nicht absehbar, daß die Nato in der zweiten Phase der Angriffe insbesondere zivile Infrastruktur angreifen würde. Wie gerade erwähnt, wurde die Zielplanung geändert.

Es geht jetzt um die Stabilisierung der gesamten Balkanregion. Ich fürchte, daß die Staatengemeinschaft immer noch nicht verstanden hat, daß die Schaffung von wirtschaftlicher, sozialer und ökologischer Stabilität die Voraussetzung ist für einen wirklichen Friedensprozeß auf dem Balkan - inklusive Jugoslawien.

Nachdem Sie in den letzten Jahren immer wieder gegen Öffentliche Gelöbnisse demonstriert haben, haben Sie sich am 20. Juli zur Teilnahme an der Zeremonie im Bendlerblock freiwillig gemeldet. Halten Sie das für die adäquate Veranstaltung, die Bundeswehr nach dem Krieg in der Gesellschaft weiter hoffähig zu machen?

"Freiwillig melden" tun sich Soldaten, nicht Abgeordnete. Ich bin als Mitglied des Verteidigungsausschusses eingeladen worden. An dem Gelöbnis habe ich teilgenommen, weil ich es für richtig halte, am Gedenken zum 50. Jahrestag der zivilen und militärischen Opfer des Widerstandes gegen Hitler die Rekruten mit der Geschichte zu konfrontieren. Der Bendlerblock, in dem grausame Verbrechen geplant und begangen wurden, ist der geeignete Ort, um zu unterstreichen, daß die Wehrmacht nicht Tradition der Bundeswehr sein kann. Grundsätzlich hat unsere Regierung vereinbart, daß Öffentliche Gelöbnisse in der Regel wieder auf Bundeswehrgelände stattfinden werden. Übrigens: Sollte noch einmal versucht werden, in der Tradition Volker Rühes Gelöbniskampagnen aus Wahlkampfzwecken zu veranstalten, werde ich auch wieder dagegen demonstrieren.

Wie kommt eine frühere Antimilitaristin dazu, sich nun als Traditionsbegründerin der Bundeswehr hervorzutun?

Die Bundeswehr hat seit ihrer Gründung genügend Erfahrungen gesammelt, um ihre eigene Tradition zu begründen. Dazu braucht sie nicht die Hilfe einer grünen Antimilitaristin. Aber sie sollte auch AntimilitaristInnen und Kritik akzeptieren.

Sind die deutschnationalen Offiziere, die das Attentat gegen Hitler geplant haben, Traditionsbezug für die Bundeswehr?

Nein, es gilt auch hier zu differenzieren und die Motive jedes einzelnen zu überprüfen. Der Gedenktag und die Ausstellung im Bendlerblock haben die Offiziere, die das Attentag gegen Hitler planten, sowie den zivilen Widerstand geehrt. Aus meiner Sicht war es richtig, diesen Jahrestag auszusuchen, anstatt, wie von Rühe geplant, den Tag des Mauerbaus.

Würden Sie sich heute noch als Antimilitaristin bezeichnen?

Ich bin Antimilitaristin, war nie Pazifistin. Ich lehne eine Politik, die politisches Handeln durch militärisches Handeln ersetzt, und die z.B. aus nationalen Interessen militärisch interveniert, ab.

Und dazu muß die Bundeswehr modernisiert werden?

Ziel unserer Regierung ist der Aufbau einer präventiven Außen- und Sicherheitspolitik, mit Schwerpunkten auf Konfliktprävention und einer gerechten Struktur- und Entwicklungspolitik. Dennoch müssen wir zur Kenntnis nehmen, daß die Kriege der Vergangenheit andere sind als die der Gegenwart oder der Zukunft. Zumindest für Europa fürchte ich, daß es zu weiteren ethnischen Auseinandersetzungen kommen wird. Deshalb muß es, wenn Konfliktprävention und -moderation scheitern, eine Bundeswehr geben, die im Notfall in der Lage ist, einzugreifen. Und dazu muß sie fairerweise auch richtig ausgestattet sein.