Küssen und Schlagen

Wie die deutsche Dasa an einem gesamteuropäischen Luft- und Raumfahrtkonzern bastelt

In Friedenszeiten pflegte der europäische Adel einst die hohe Kunst der Heiratspolitik. Mit dem Austausch junger Damen und Herren über die Reichsgrenzen hinweg wurde in den letzten Jahrhunderten an mehr oder weniger eisernen Allianzen gebastelt. Mit der Folge, daß heute alle derartigen Existenzen über Ecken miteinander verwandt sind. Fortgeführt werden diese Praktiken bis heute - in Europas Rüstungsindustrie.

Da ist British Aerospace an der schwedischen Saab beteiligt, die deutsche Dasa an Matra Marconi Space, Dasa und Frankreichs Aérospatiale bauen in der gemeinsamen Firma Eurocopter den Kampfhubschrauber Tiger. Alle zusammen verdienen am Airbus und bald wohl auch am Eurofighter.

Seit gut einem Jahr dreht sich das Hochzeitskarussell noch einen Tick schneller. Das letzte Fusionsgerücht betrifft Daimer-Chrysler Aerospace (Dasa) und Aérospatiale-Matra, die durch den Zusammenschluß - nach Boeing - zum zweitgrößten Luft- und Raumfahrtkonzern der Welt mit 46 Milliarden Mark Jahresumsatz aufsteigen könnten.

Ihr Antrieb ist die Angst vor den US-amerikanischen Rüstungsriesen Boeing-McDonnell, Douglas-Rockwell, Lockheed-Martin-Northrop Grumman und Raytheon-Hughes, die in den neunziger Jahren auf Druck der US-Regierung geschaffen wurden. 1997 wurde dieser Prozeß mit der Vereinigung bei Lockheed vorerst abgeschlossen. Allein Lockheed-Martin vereinigt nun 20 Unternehmen mit einem Umsatz von knapp 40 Milliarden Dollar.

Die USA haben Imperien aufgebaut, von denen Vorstandsmitglieder der Dasa mit bewunderndem Unterton sprechen. "Das Ergebnis dieses Konzentrationsprozesses marginalisiert die zersplitterte europäische Industrie", sagte der erst vor kurzem zurückgetretene Dasa-Vorstand Wolfgang Piller vor der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik. Allein Boeing habe 1997 einen Umsatz von 50 Milliarden US-Dollar erreicht. Das sei "mehr, als die acht größten europäischen Luft- und Raumfahrt-Unternehmen zusammen erwirtschaften".

Piller ist fasziniert, daß Boeing durch den Aufkauf anderer Firmen heute als Marktführer alle fliegenden Systeme beherrscht - Aufklärungsdrohnen, Kampfflugzeuge, raumgestützte Kampf- und Aufklärungsplattformen. Neuentwicklungen könnten auf dieser Basis "nicht nur innerhalb der USA, sondern sogar ausschließlich innerhalb dieses Unternehmens geschehen".

Piller zieht den Schluß, daß maßgebliche Privatfirmen wie British Aerospace, Frankreichs Matra und die Dasa zunächst "eine für die US-Industrie partnerfähige und auch wettbewerbsfähige Größenordnung erreichen müssen". Deshalb werde in Europa jetzt über eine European Aerospace and Defence Company (EADC) gesprochen - ein Luftfahrt- und Rüstungskonzern, der im Kern "aus führenden Unternehmen Frankreichs, Großbritanniens und Deutschlands" besteht und ganz Europa dominiert.

Die Spielregeln, die Piller vorgibt, wollen allerdings nicht so recht zur bisherigen Strategie der Konzerne passen. Die Europäisierung setze von Anfang an "echte Partnerschaft" voraus. Da hat der Dasa-Manager den Kapitalismus etwas überschätzt. Das "Alle für einen, einer für alle" funktioniert in Mantel-und-Degen-Filmen, nicht bei Fusionen. Bereits das vergangene Woche gestreute Vereinigungsgerücht über die Allianz von Dasa mit dem gerade zuvor fusionierten französischen Konzern Aérospatiale-Matra will so recht niemand bestätigen. Für den französischen Konzernsprecher Pierre Bayle entbehren die Angaben "jeder Grundlage". Ein Münchener Dasa-Sprecher meinte halbverbindlich, daß derzeit "jeder mit jedem spricht".

Dabei soll der Deal von Daimer-Chef Jürgen Schrempp und dem Aufsichtsratsvorsitzenden der Aéorospatiale-Matra, Jean-Luc Lagardère, ausgehandelt worden sein. Die Papiere sollen längst auf dem Schreibtisch des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac liegen, der über ein Veto-Recht verfügt. Schließlich ist der französische Staat an dem Konzern trotz Teilprivatisierung noch immer mit 48,6 Prozent beteiligt. Daran könnte die Fusion scheitern.

Dasa-Chef Manfred Bischoff bestand schon im Sommer letzten Jahres darauf, daß den Regierungen der einzelnen Staaten auf dem Weg zum europäischen Luftfahrtkonzern nicht zu große Mitspracherechte eingeräumt werden dürften. Dem Staat gehe es um Arbeitsplätze, Wählerstimmen, Technologien und Prestige, private Gesellschafter seien allein dem Unternehmenserfolg verpflichtet. Industrie und Politik, so Bischoff, sollten sich auf eine klare Kunden-Lieferanten-Beziehung beschränken.

Ob Paris auf dieser Basis einwilligt, hängt wohl davon ab, was größer ist: Der Wille, den USA wirtschaftlich als "global player" Paroli bieten zu können oder die Angst, in der angeblich gleichgewichtigen Partnerschaft von der Dasa dominiert zu werden.

Auf der anderen Seite gibt es bereits gemeinsame Projekte wie den Airbus, eine Sparte, bei der Boeing riesige Marktanteile abgenommen werden konnten. Mitte Juni unterzeichneten die Waffenbeschaffungsämter Deutschlands und Frankreichs in Le Bourget Kaufverträge über jeweils 80 Tiger-Kampfhubschrauber, die von Eurocopter gebaut werden - einer Dasa-Aérospatiale-Tochter. Mitte Juli unterzeichneten beide Seiten auch einen Entwicklungsvertrag für den automatischen Raumtransporter ATV, der ab 2003 die Ver- und Entsorgung der Internationalen Raumstation sichern soll.

Doch das alles ist nur die "kleine" Lösung. Noch bis Herbst 1998 verhandelten British Aerospace, Dasa und Aérospatiale-Matra über ein Dreierbündnis als Kern des künftigen europäischen Luftfahrtkonzerns. Die Weigerung der Franzosen, komplett zu privatisieren, führte schließlich dazu, daß Briten und Deutsche allein verhandelten.

British Aerospace, mit einem Jahresumsatz von 20,5 Milliarden Mark größter und profitabelster Rüstungskonzern Europas, wollte aber zwei von zwei Spitzenpositionen im Konzern. Dasa-Chef Manfred Bischoff meinte dazu im Januar nach der geplatzten Fusion: "Wir sind keine Ausverkäufer der deutschen Interessen. Wir werden uns deshalb nicht unter die Dominanz eines anderen begeben." Und so schockten die Briten Mitte Januar ihre deutschen "Partner" und fusionierten mit GEC Marconi, der Verteidigungssparte von General Electric.

Da eine gleichberechtigte Fusion nun unmöglich schien - der Anteil der Dasa läge lediglich bei 20 Prozent - schlugen die Deutschen im Juni bei der spanischen Casa zu. So entstand der erste transnationale Luftfahrtkonzern Europas. Das neue Unternehmen mit 21,5 Milliarden Mark Jahresumsatz und 53 000 Beschäftigten ist plötzlich mit 42,1 Prozent größter Aktionär im Airbus-Konsortium. Daß derzeit wieder mit den Franzosen verhandelt wird, legt den Verdacht nahe, daß die Dasa durch die Hintertür zu ihrem europäischen Rüstungskonzern kommen will.

Doch wenn es ernst wird, gelten noch immer die alten Spielregeln - wie gegenwärtig in Polen. Das neue Nato-Mitglied will seine alten MiG-Jäger für drei Milliarden Mark durch 60 neue Flugzeuge ersetzen. Und schon stehen alle rempelnd auf der Matte. British Aerospace-Saab bietet 60 schwedische Gripen, Boeing präsentiert 60 F-18-Kampfflugzeuge, Lockheed die F-16, Dasa den Eurofighter. Frankreichs Premierminister Jospin flog gar zusammen mit Managern des Dassault-Konzerns, der die Mirage baut, nach Warschau.