Prinz Charles von der Saar

Die SPD streitet um die Neue Mitte: Der saarländische Ministerpräsident Reinhard Klimmt und die Parteilinke greifen den wirtschaftsliberalen Kurs von Bundeskanzler Gerhard Schröder an

Es wird eine spannende Saison für Reinhard Klimmt. Wer steigt auf, wer ab? Am heutigen Mittwoch startet sein Verein, der 1. FC Saarbrücken, gegen Zweitliga-Absteiger Fortuna Düsseldorf in die neue Spielzeit der Regionalliga West/Südwest. Und in einem Monat, am 5. September, entscheidet sich, ob der Aufsichtsratsvorsitzende des Traditionsvereins demnächst noch intensiver seiner Fußball-Leidenschaft nachkommen kann. Die Chancen dafür stehen gut: Nach der jüngsten Umfrage im Auftrag des Saarländischen Rundfunks wollen bei der kommenden Landtagswahl nur noch 43 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei der SPD machen. Die CDU hingegen käme auf 46 Prozent. Wenn die Grünen knapp und die FDP klar an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern würden, könnte die CDU die absolute Mehrheit der Sitze gewinnen - und Klimmt viel Freizeit. Noch bei der Bundestagswahl hatte die SPD-Saar mit 52,4 Prozent das beste Ergebnis aller SPD-Landesverbände eingefahren.

13 Jahre hatte Reinhard Klimmt darauf warten müssen, bis er endlich ran durfte. Als "Prinz Charles von der Saar", den ewigen Zweiten hinter Oskar, hatten sie ihn schon verspottet. Seit nicht einmal einem Jahr amtiert er nun als saarländischer Ministerpräsident. Wenn die Saarländer ihren Ministerpräsidenten direkt wählen könnten, sähen seine Aussichten gut aus. Im direkten Vergleich mit seinem Duz-Freund von der CDU, Peter Müller, liegt er mit 46 gegenüber 35 Prozent klar im Vorteil. Daß es zur Zeit trotzdem nicht danach aussieht, als könne er im Amt bleiben, dafür macht der 56jährige vor allem die Politik seines Parteifreundes Gerhard Schröder und der von ihm geführten Bundesregierung verantwortlich.

In der vergangenen Woche stopfte Klimmt das politische Sommerloch mit einem Beitrag zur Debatte um die zukünftige Ausrichtung der deutschen Sozialdemokratie, der für gehörige Unruhe in der SPD gesorgt hat. Die seit dem Abgang Lafontaines auf dem Weg zum Kanzlerwahlverein dümpelnde sozialdemokratische Partei horchte auf: In ungewohnter Schärfe griff Klimmt das Papier "Der Weg nach vorn für Europas Sozialdemokraten" an, das Gerhard Schröder und der britische Premierminister Tony Blair kurz vor der Europawahl der Öffentlichkeit präsentiert hatten. Es sei zu einer "Unzeit" gekommen und habe maßgeblich mit zu der sozialdemokratischen Wahlschlappe vom 13. Juni beigetragen. Denn es habe den Eindruck erweckt, "als solle aus dem erfolgreichen Zweiklang der Bundestagswahl - jener harmonischen Verbindung von Innovation und Gerechtigkeit - die Gerechtigkeit ausgemustert werden", so der Lafontaine-Nachfolger und -Freund.

Das Anstößige an dem Schröder/Blair-Papier liege dabei nicht so sehr in dem, was da geschrieben, sondern in dem, was da nicht geschrieben steht. Nach Klimmt fehle "die spürbare Sorge um die Herstellung und den Erhalt der sozialen Gerechtigkeit - die Seele der Sozialdemokratie". Die CDU/CSU habe ihre Mehrheit im Bundestag nicht zuletzt deshalb eingebüßt, "weil die soziale Linie ihres Kurses nicht mehr stimmte". Folge die SPD den Thesen des Schröder/Blair-Papiers, ohne sie an entscheidenden Stellen durch eine soziale Ausrichtung zu vertiefen oder umzugewichten, "wird es ihr womöglich nicht anders ergehen".

Klimmt kritisiert auch die Schrödersche Auffassung, es könne keine sozialdemokratische, sondern nur eine "moderne Wirtschaftspolitik" geben. "Wie soll denn die SPD durch Kompetenz überzeugen, wenn nicht einmal ihr Vorsitzender herausstellt, daß gerade sozialdemokratische Wirtschaftspolitik moderne Wirtschaftspolitik ist." Schließlich orientiere sich sozialdemokratische Politik an einer Reihe von Grundwerten. "Andernfalls wäre sie beliebig, undefinierbar." Warum hier ausgerechnet die Wirtschaftspolitik von dieser grundsätzlichen Werteorientierung ausgenommen werden soll? "Das will mir nicht einleuchten", so Klimmt weiter.

Besonders ärgert den saarländischen Ministerpräsidenten, der auch Mitglied des SPD-Parteivorstandes ist, daß diejenigen, die nicht mit allem einverstanden seien, was die Politiker der "Neuen Mitte" verkündeten, "unter der Hand mit dem Stigma des Unmodernen, des 'Traditionalisten' gezeichnet" würden. "In diesem Sinne wirkt die Bezeichnung 'modern' in dem Schröder/Blair-Papier auch als innerparteilicher Kampfbegriff, der eine faire Debatte erschwert." Dabei würden sich die Verfechter des "Dritten Weges" oder der "Neuen Mitte" doch nur redlich bemühen, "das Pulver neu zu erfinden, mit dem die 'alte' Linke bereits seit 20 Jahren schießt".

In der Konsequenz fordert Klimmt Korrekturen an der gegenwärtigen Haushaltskonsolidierungspolitik der Bundesregierung. Er glaubt nicht daran, daß sich ein überschuldeter Staatshaushalt sanieren lasse, wenn zugleich die staatlichen Einnahmen sinken. Steuersenkungen, die dem vermögenden Teil der Bevölkerung zugute kämen, dürften nicht zu Lasten derer gehen, die am wenigsten haben, fordert der Saarländer. Gerade die Empfänger von Arbeitslosen- oder Sozialhilfe hätten in den vergangenen Jahren zu den verschiedenen Sparpaketen der Bundesregierung ihren Beitrag leisten müssen, während Bessergestellte davon eher profitiert hätten. "Um der sozialen Ausgewogenheit des Sparpakets willen halte ich es für recht und billig, auch diejenigen in die Pflicht zu nehmen, die über hohes Privatvermögen verfügen." Die Einführung einer Steuer auf das private Vermögen von Millionären sei für ihn "ein Gebot der sozialen Gerechtigkeit".

Klimmt vertrete nur eine "Einzelmeinung", ließ Gerhard Schröder - unmittelbar nach der Veröffentlichung des ketzerischen Papiers in der Saarbrücker Zeitung und im stern - verkünden. Auch im Spiegel dieser Woche spielte er die Kritik des saarländischen SPD-Vorsitzenden herunter. "Daß der eine oder andere sich auch mal gegen die Regierung in Bonn" profiliere, sei eine Erfahrung, verkündete Schröder, "die einem wie mir, der selbst schon hinter jedem Busch gesessen hat, nicht fremd ist". Zudem habe Klimmt mit seiner Kritik wohl auch klarmachen wollen, ergänzte süffisant der SPD-Bigboß, "daß er die Verantwortung für sein Wahlergebnis allein übernehmen will".

Deutlichere Worte fand hingegen der ehemalige Bundestagsabgeordnete Hermann Rappe. Der SPD-Rechtsaußen und Steigbügelhalter Schröders in Niedersachsen erklärte gegenüber dem Kölner Express, Klimmt sei der verlängerte Arm Oskar Lafontaines: "Lafontaine hat einen Sprecher gegen Schröder gesucht und gefunden." Davon solle sich die Bundesregierung jedoch nicht beirren lassen, denn das sei "die Masche des linken Flügels". Der habe "1982 Bundeskanzler Schmidt auf dem Gewissen gehabt", so Rappe. "Jetzt ist es wieder das gleiche Spiel."

Auch die Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und Niedersachsens sprangen Schröder bei. Es sei "ungerecht, was er macht", kritisierte Gerhard Glogowski die Attacke Klimmts auf seinen Amtsvorgänger. Es sei "ein Fehler, zu glauben, die Seele der Sozialdemokratie sei allein die soziale Gerechtigkeit", sagte Wolfgang Clement, der nochmals ausdrücklich das Schröder/Blair-Papier begrüßte: "Es ist höchste Zeit für die europäischen Sozialdemokraten, in europäischen Dimensionen zu denken." Der Sprecher der ostdeutschen Bundestagsabgeordneten, Ernst Bahr, warf Klimmt vor, es sei schädlich, eine solche Kritik an dem Bundeskanzler "auf so spektakuläre Weise in die Öffentlichkeit zu tragen".

Unterstützung kommt für Klimmt erwartungsgemäß von der Parteilinken. Sein Schreiben sei ein "richtiger Beitrag zur Debatte um die Zukunft der Sozialdemokratie", urteilte Juso-Chef Benjamin Mikfeld. Klimmts CDU-Herausforderer im Saarland, Peter Müller, wittert hinter den Angriffen auf Schröder hingegen ein profanes Wahlmanöver. Sein Konkurrent wolle einfach nur Punkte bei den Wählern machen nach dem Motto: "Leg' dich quer, dann biste wer."

Und was macht Lafontaine? Der trifft sich heute das nächste Mal mit Reinhard Klimmt. Im Ludwigsparkstadion. Zum Saisonauftakt des 1. FC Saarbrücken. Beide rechnen fest mit einem Sieg. Wenigstens hier.