Polizeitruppe Bundeswehr

Die Armee an der Heimatfront

Eigentlich war alles gar nicht so gemeint: Keineswegs habe er vorgeschlagen, Soldaten gegen organisierte Kriminalität, Terroristen und Flüchtlinge in Deutschland einzusetzen, schimpfte der Generalinspekteur Hans-Peter von Kirchbach vergangene Woche. Mit entsprechenden Äußerungen vor der Kommission "Gemeinsame Sicherheit und Zukunft der Bundeswehr" am 20. Mai habe er nicht zugunsten eines Truppeneinsatzes für die innere Sicherheit plädieren wollen. Lediglich auf den hoheitlichen Auftrag zur Luftraumüberwachung im Rahmen der integrierten Nato-Luftverteidigung habe er sich damals in der Berliner Julius-Leber-Kaserne bezogen.

Alles also ein großes Mißverständnis? So nun auch wieder nicht. Denn für den Diskurs, der nun losgehen sollte, kam jedes Dementi zu spät. Allein die Vorstellung, unsere Jungs - und bald auch unsere Mädels - könnten im Kampf gegen Störer und andere unnütze Mitfresser an der deutschen Heimatfront eingesetzt werden, ließ die Herzen autoritätsliebender Politiker höher schlagen. Paul Breuer, Verteidigungspolitischer Sprecher der Unionsfraktionen im Bundestag, forderte schnell eine offene Debatte über Truppeneinsätze gegen internationale Kriminalität, Sozialdemokrat Helmut Wieczorek, Vorsitzender im Bundesverteidigungsausschuß, sah die deutsche Rekruten künftig bereits Hilfsaufgaben für die Polizei übernehmen. Noch eiliger hatte es Otto Schily: Wenn schon Generalinspekteur Kirchbach an jenem Mai-Tag Zurückhaltung walten ließ, mußte eben der Bundesinnenminister selbst energischer werden. So informiert das Tagungsprotokoll, der SPD-Politiker habe deutlich gemacht, "daß das verfassungsrechtliche Trennungsgebot der inneren und äußeren Sicherheit möglicherweise nicht mehr überall sinnvoll sei".

Klarer Fall: Wer würde etwa nach jenen heldenhaften Stunden im Sommer 1997, als unsere Jungs Tag und Nacht fürs Vaterland Sandsäcke schleppen durften, noch an der Aufrichtigkeit solcher Einsätzen zweifeln. Neben Initiativen bei Naturkatastrophen dürfen deutsche Soldaten aber bislang nur in Fällen "inneren Notstands", wie sie 1968 im Rahmen der Notstandsgesetze festgelegt wurden, im Land tätig werden. Dafür sorgt ein verfassungsrechtliches Trennungsgebot, das der deutschen Geschichte geschuldet ist. Darüber muß sich Schily freilich wenig Gedanken machen, gibt man sich doch heute in Deutschland flexibel. Wie schnell sich etwa Einsatzbereiche ausweiten lassen, zeigen die Kompetenzerweiterungen beim Bundesgrenzschutz: Einst in kasernierten Verbänden vor allem für die Grenzsicherung gegen sozialistische Staaten zuständig, kontrolliert der BGS jetzt Bahnhöfe, Raststätten und weitere soziale Plätze, die von den jeweiligen Innenministerien als gefährliche Orte ausgewiesen werden.

Von einer weitaus größeren Ausbreitung im öffentlichen Raum träumen die Strategen des Militärs schon lange. Was sich auf niedriger Ebene seit Anfang der achtziger Jahre in öffentlichen Rekrutenvereidigungen ausdrückt, hat seine Entsprechung in den Bürgerkriegs-Szenarien, wie sie beispielsweise beim Wintex-Manöver der Nato im März 1975 durchgespielt wurden: "In den Industriegebieten von Rhein, Main und Neckar, im Ruhrgebiet sowie in den norddeutschen Großstädten werden Polizei und BGS in verlustreiche Kämpfe mit Aufständischen verwickelt. Auch sämtliche Einheiten des Heimatschutzkorps der Bundeswehr befinden sich voll im Einsatz zur Unterstützung von Polizei und BGS." Weil die Rüstungsindustrie "teils durch Zerstörung, teils durch wilde Streiks lahmgelegt" sei, müsse die Armee intervenieren.

Heute sieht die Situation natürlich anders aus: Von den Aufständischen in spe sind jene Delinquenten geblieben, die für die Verwertung nicht mehr taugen: Flüchtlinge, Arme, Kriminelle; vom drohenden Krieg der atlantischen Verbündeten gegen die Sowjetunion die latente Drohung mit dem deutschen Krieg. Geblieben ist auch eine sozialdarwinistische Ideologie, der die Bereitschaft zur Vernichtung immanent ist. So ausgestattet, dürfen deutsche Soldaten heute als Polizisten im Kriegsgebiet schon mal üben, wozu sie bald auch hier eingesetzt werden könnten. Wie reagierte doch Helmut Harff, der Befehlshaber der deutschen Kfor-Einheiten im Kosovo, letzte Woche auf die Schwierigkeiten, die sein französischer Kollege mit randalierenden Albanern hatte? "Wer Schwäche zeigt, wird auf dem Balkan auch so behandelt werden. Es geht auch darum, die Waffe zu zeigen und zu benutzen. Wer schneller schießt und besser trifft, überlebt."