Jelzins neuer Kandidat

Letzter Walzer

In Boris Jelzins "Kader-Walzer" hat erneut ein Partnertausch stattgefunden. Premier Sergej Stepaschin wurde Anfang vergangener Woche nach drei Monaten Amtszeit von Jelzin gefeuert und sitzt nun schmollend neben der Tanzfläche. Auf der kreist jetzt sein Nachfolger Wladimir Putin um den russischen Präsidenten. Putin ist der vierte russische Ministerpräsident innerhalb von knapp anderthalb Jahren und der dritte in Folge, der aus Geheimdienstkreisen stammt - was schon einiges über den Zustand der russischen Präsidialdiktatur aussagt.

Im vergangenen Jahr hatte Jelzin Putin zum Chef des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB erklärt. Und Putin seinerseits hat sich seither als überaus loyal und nützlich für den Präsidenten erwiesen. Beispielsweise in der Affäre um den Generalstaatsanwalt Juri Skuratow, dessen Untersuchungen in gefährliche Nähe zu Jelzins "Familie" im Kreml geraten waren - unter anderem wurde gegen Jelzins Schwiegersohn und den Tycoon Boris Beresowski wegen Geldwäsche über Schweizer Bankkonten ermittelt. Da lancierte der FSB im russischen Fernsehen ein Video, das Skuratow mit drei Prostituierten in der Sauna zeigte. Skuratows Position wurde damit unhaltbar.

Dieser unbefangene Umgang Putins mit "Kompromat" - kompromittierendem Material - ist eine seiner Stärken. Als ehemaliger Chef des FSB dürfte er genügend Gelegenheit haben, entsprechende Dossiers gegen Jelzins Feinde in Anschlag zu bringen.

Und die haben sich gerade neu formiert. Der Moskauer Bürgermeister Juri Luschkow hat mit einigen Regionalfürsten eine Allianz geschmiedet, die dem Präsidenten-Clan bei den vorgesehenen Wahlen überaus gefährlich werden könnte. Das politische Schwergewicht Jewgeni Primakow, der von Jelzin vor rund drei Monaten gefeuerte Premier, wird sich diesem Bündnis wohl anschließen. Luschkows Allianz ist ein deutliches Zeichen, hieß es in der St. Petersburg Times, daß "Rußlands Elite sich von Jelzin wegbewegt und Luschkow umarmt hat".

Stepaschins Fehler war es gewesen, sich nicht eindeutig genug auf Jelzins Seite zu positionieren und die Luschkow-Allianz nicht verhindert zu haben. Das dürfte den Ausschlag gegeben haben, ihn zu feuern. Als Putins Aufgabe wird nun gesehen, einzelne Provinzfürsten zu "überzeugen", sich von Luschkows Allianz wieder abzuwenden. Schließlich arbeitete er nach Angaben der Washington Post auch schon in einem Büro, das die Aktivitäten der Regionalgouverneure überwachte.

Aber das scheinen nicht alle Aufgaben zu sein, für die Putin vorgesehen ist. Jelzin bezeichnete ihn auch als seinen Kandidaten bei den Präsidentschaftswahlen. Das ist zunächst nicht sonderlich ernst zu nehmen. Die Wahlen sollen im nächsten Sommer stattfinden, und bis dahin kann sich Jelzins Meinung noch einige Male ändern. Ernster zu nehmen waren allerdings die Reaktionen auf seine potentielle Nominierung. Leonid Dobrochonow, ein Berater von KP-Chef Gennadi Sjuganow, erklärte, eine Empfehlung durch Jelzin sei wie ein "Todeskuß" - wegen Jelzins Popularität im Land, die gegen Null tendiert. Und diese Formulierung machte in den westlichen Medien die Runde.

Der Berliner Tagesspiegel ging noch weiter: Vergangenen Freitag veröffentlichte er einen Artikel, nach dem Jelzin den "Reformkurs" verlasse, den russischen Energiekonzern Gazprom wieder verstaatlichen lassen wolle, um mit den Profiten den Wahlkampf von ihm bzw. "seinem" Kandidaten zu finanzieren. Grund zur Klage bei entsprechenden Plänen hat die Ruhrgas AG, die sich 1998 mit rund 660 Millionen Dollar bei Gazprom eingekauft hat.

Zwar dementierte das russische Energieministerium den Verstaatlichungsplan umgehend. Offensichtlich ist nun aber, daß Jelzin für den Westen nicht mehr der "Reformer" ist, der Marktwirtschaft, Demokratie und Menschenrechten in Rußland zum endgültigen Durchbruch verhilft. Jetzt ist er der Mann, der nur die Interessen seiner "Familie" im Auge hat und das Staatswohl - das insbesondere in Deutschland wie selbstverständlich mit dem Gemeinwohl in eins gesetzt wird - schnöde vernachlässigt. Boris Jelzin hat als Tanzpartner des Westens ausgedient.