Antisemitische Entschädigung

Projekte und Projektionen

Deutschland steht unter Druck: "Amerikanische Anwälte, die ihre Geschäftstüchtigkeit gut hinter der Fassade von Schuld und Sühne zu verstecken wissen, setzen deutsche Unternehmen mit überzogenen Forderungen unter Druck. (...) Opferverbände und Regierungen im Osten Europas fordern Gerechtigkeit und meinen Mark."

Solche Sätze sagen mehr über den aus, der sie schreibt, als über den Sachverhalt, den sie beschreiben; in diesem Fall ist es der Spiegel-Autor Peter Bölke, aus dem das Ressentiment spricht. Nicht nur, daß die Deutschen einmal mehr Opfer fremder Mächte sind; mehr noch ist es die Projektion des eigenen Handelns auf den als solchen wahrgenommenen Gegner. Denn es sind die deutschen Unternehmen, "die ihre Geschäftstüchtigkeit gut hinter der Fassade von Schuld und Sühne zu verstecken wissen" (Spiegel) und die Überlebende mit ihrem Alter unter Druck setzen; sie sind es, die "Gerechtigkeit" für sich fordern, weil sie um ihre Profite fürchten.

Antisemitische Projektion des betriebswirtschaftlichen Denkens auf die Anwälte vermittelt auch einen Eindruck davon, wie gering die Bereitschaft der deutschen Unternehmen ist, auch nur eine Mark zu zahlen: Wenn der neue Unterhändler Otto Graf Lambsdorff es jetzt als Durchbruch bezeichnet, daß die ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter nicht nach der wirtschaftlichen Situation der Staaten, in denen sie leben, entschädigt werden, sondern alle die gleiche Summe erhalten sollen, heißt das: Alle bekommen gleich wenig.

Die Deutschen wollen sich ihre Meisterschaft in Vergangenheitsbewältigung von niemandem streitig machen lassen und sind deshalb schnell dabei, die Intentionen, die man selbst hat, anderen zu unterstellen. Dies ist zum Bestandteil deutscher Befindlichkeit geworden.

Die Bemühungen der IG-Farben-Liquidatoren Volker Pollehn und Otto Bernhardt, mit Hilfe ehemaliger Häftlinge an die Schweizer Milliarden heranzukommen, sind zwar so abseitig wie schamlos, liegen aber zugleich auf der Linie der deutschen Unternehmen. Der Unterschied ist, daß Siemens, VW und die anderen Konzerne Verluste fürchten, wenn sie nicht wenigstens eine kleine Summe zahlen, während IG-Farben sich mit der vorgeblichen Entschädigung selbst sanieren wollen. Leider ist nicht ausgeschlossen, daß IG-Farben Erfolg haben. Mit der Besetzung des Beirats werden die Liquidatoren mehr oder weniger glaubwürdig nachweisen wollen, daß es ihnen ernst ist mit der Entschädigung der Opfer - weil sie auf anderem Wege nicht an das ersehnte Vermögen herankommen.

Die den Anwälten und Überlebenden unterstellte Fixierung aufs Geld ist das Mittel, mit dem IG-Farben locken: Wer würde bei einem solchen Vermögen nicht alles unternehmen, auch wenn die Chance zur Realisierung des Projekts noch so klein ist. Deswegen denkt man bei IG-Farben, das Angebot sei unwiderstehlich. Ein paar Historiker, die ein Auskommen suchen, lassen sich ebenso schnell finden wie einige Realpolitiker, die vorgeben, im Interesse der Überlebenden zu handeln.

Wenn die Überlebenden Geld wollen, so die Logik von IG-Farben, dann sollen sie helfen, das Geld zu bekommen. Was dann für IG-Farben abfiele, wäre das "Erfolgshonorar", von dem der Spiegel behauptet, die US-Anwälte würden es kassieren wollen; die Verhandlungen seien deswegen so zäh, weil dieses Honorar nur fällig wird, wenn es zu Prozessen kommt. Daß die Anwälte seit Jahren um eine außergerichtliche Regelung ringen, ist zwar bekannt, aber das Ressentiment hält sich nicht an besseres Wissen.

Bei IG-Farben wird deutlich, daß die Liquidatoren hoffen, ihr Vorurteil über "die Juden", sie dächten nur ans Geld, entspreche der Wirklichkeit. Diese Hoffnung haben auch die Unterhändler der deutschen Unternehmen - wo über Geld geredet wird, ist die Schuld schon fast vergessen. Es ist auffällig, daß in deutschen Medien zwar viel über die Entschädigungsverhandlungen berichtet wird und manchmal auch darüber, wofür die Unternehmen zahlen sollten.

Was fehlt, sind Berichte über das Ausmaß von Zwangsarbeit und der "Vernichtung durch Arbeit". Dies nutzt nicht nur den Unternehmen, sondern auch dem deutsche Staat, den Kommunen, zahlreichen landwirtschaftlichen Betrieben und allen Deutschen, die von der Zwangsarbeit profitiert haben.