Kriminelle Hilfe

Schlepper, Schleuser, Menschenhändler: Wer Flüchtlingen über die polnische Westgrenze hilft, weiß sich in Deutschland der Diskriminierung sicher

Die Zahlen sollen für Aufregung sorgen: 380 Schleuser hat der deutsche Bundesgrenzschutz (BGS) 1997 in den östlichen Bundesländern Berlin, Brandenburg und Sachsen identifiziert. Neuere Informationen liegen nicht vor. "Die Zahl der Schleuser und die Zahl der Geschleusten ist in den letzten Jahren angestiegen", erklärt Ivo Priebe, der Sprecher der für diese drei Länder zuständigen Grenzschutzdirektion Ost.

Wie die Zahl 380 zustandekommt, erklärt Priebe der Presse gern: "Wenn ein Illegaler sagt, ihm hätten zwei polnische Bürger auf dem Weg hierher geholfen, dann haben wir zwei Schleuser polizeilich festgestellt." Das Wort "mutmaßlich" vergißt er geflissentlich, auch wenn die Unschuldsvermutung gilt, bis ein Gericht entschieden hat, ob die Verdächtigen tatsächlich geschleust haben. Für Priebe sind Schleuser wie Geschleuste schlicht Kriminelle.

Anders für die Aserbaidschanerin A., die als anerkannte Asylberechtigte in Berlin lebt. "Helfer" sagt sie zu den Leuten, die sie unterstützt haben, um von Moskau bis über die Oder zu kommen. Sie spricht emotionslos von den Männern. "Das waren Profis, wir haben gezahlt, und sie haben ihre Arbeit gemacht." Daß sie eine ganze Menge Geld dafür zahlen mußte, war für die einst wohlhabende Ehefrau eines desertierten Offiziers in Ordnung gegangen. In Moskau, ihrer ersten Fluchtstation, mußte sie samt Mann und zwei Kindern im Auto wohnen. Später verkaufte sie den Wagen, um die Fluchthelfer zu bezahlen. "Sonst hätten wir mit dem Geld in Moskau zu essen gekauft und wären anschließend verhungert."

Traurig wird A. nur, wenn sie von ihrem Gepäck spricht, das sie in Polen auf einer Landstraße stehenlassen mußte. "Die Männer sagten uns, mit Gepäck würden wir es nicht unbemerkt über die schmale Grenzpassage schaffen." Und damit, das gesteht A. im nachhinein ein, hatten sie wohl recht.

Seit dem Fall der Mauer hat sich ein Wandel in der öffentlichen Meinung über Flüchtlinge und ihre Helfer vollzogen. Aus hilfesuchenden Menschen wurden Asylbetrüger und Eingeschleuste. Aus Fluchthelfern, die bis 1989 als ehrbare Menschen galten, wurden "Schleuser" und "international agierende Menschenhändler". Noch 1980 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) einem Mann, der einem Flüchtling aus der DDR herausgeholfen hatte, Rechtsanspruch auf einen Schleuserlohn zugesprochen. Der BGH erkannte damit einen Vertrag zwischen Flüchtling und Fluchthelfer als rechtsstaatlich an.

Fluchthelfer brauchten Menschen bis 1993 lediglich, um aus bestimmten Staaten herauszukommen. Die Einreise nach Deutschland war bis dahin mit Verweis auf die Genfer Flüchtlingskonvention für Schutzsuchende völlig legal. Mit der Novellierung des Asylverfahrensgesetzes 1993 und der Einführung der Klausel von den sicheren Drittstaaten begann dann die Jagd: Wenn der BGS seither Flüchtende innerhalb der Dreißigkilometerzone entlang der Ostgrenze aufgreift, dürfen die Beamten sie ohne jegliche Formalitäten wieder in den Nachbarstaat zurückschieben. Wem es aber gelingt, in eine der Zentralen Aufnahmestellen für Asylbewerber zu kommen, der kann nach wie vor Asyl beantragen. Die illegale Einreise wird mit Verweis auf die Flüchtlingskonvention nachträglich legalisiert. Nur der Helfer, sprich der Schleuser, macht sich strafbar.

Auch das war nicht immer so. Der entsprechende Schleuserparagraph wurde 1994 ins Ausländergesetz aufgenommen und 1997 verschärft. Gleichzeitig rüstete der BGS auf. Die deutsche Ostgrenze ist zur polizeidichtesten Grenze Europas geworden. 6 500 BGS-Beamte und 1 500 nichtausgebildete "Grenzunterstützungskräfte" wachen in der Region. Der Personaletat stieg von 24 982 Mitarbeitern im Jahre 1989 auf derzeit 40 500. Der Haushaltsposten kletterte im selben Zeitraum von 1,3 Milliarden Mark auf 2,9 Milliarden. Ohne professionelle Hilfe wird es also an der hochgerüsteten Ostgrenze schwierig. Dennoch reisen nach BGS-Angaben noch immer zwei Drittel der Flüchtlinge ohne Helfer ein.

"Erfreulich, daß sich die vierte Gewalt mal für das Thema interessiert", kommentiert Klaus Bartl die Presseanfrage nach seiner Erfahrung mit Schleuserprozessen. Bartl selbst vertritt gleich zwei Gewalten: Er ist Abgeordneter der PDS im Sächsischen Landtag und Rechtsanwalt in Chemnitz. Schleuserprozesse hätten rapide zugenommen, sagt er. Bartl selbst hat etwa 30 geführt. Während die Gerichte vor zwei bis drei Jahren noch Geldstrafen verhängten, hagelt es heute Gefängnisstrafen.

Was in der öffentlichen Meinung gemeine Verbrecher sind, sind für Bartl arme Schlucker. Etwa jener Mann, der in Sachsen einen Landsmann aus seinem Nachbardorf in Mazedonien getroffen hatte. Die Männer hatten das Wiedersehen mit einem Bier begossen, danach hatte sein Mandant den Neuankömmling nach Stuttgart gebracht. Damit wurde er zum Schleuser. Denn nicht nur, wer hilft, in die "Festung Europa" einzureisen, macht sich strafbar. Jegliche derartige Hilfe, mit der man Flüchtlinge unterstützt, bevor diese Asyl beantragt haben, verstößt gegen das Gesetz.

"Als Anwalt muß man sicher damit leben, daß Mandanten verurteilt werden", meint Udo Grönheit, der ebenfalls in einem Schleuserprozeß verteidigte. Trotzdem liegt dem Berliner Anwalt dieses Verfahren besonders schwer auf der Seele. Nicht nur, daß er Verurteilungen für fragwürdig hält, wenn die Betroffenen aus humanistischen Gründen helfen wollten. Wie er berichten auch andere Anwälte, die mutmaßliche Schleuser verteidigen, daß BGS und Staatsanwaltschaft hier rechtsstaatliche Prinzipien nicht so genau nehmen. Sehr oft werden Telefonanschlüsse abgehört. Beim Tatvorwurf Schleusung erlauben die Gerichte leicht auch langandauernde und großflächige Ablauschereien.

So in einem Prozeß gegen vier Tamilen am Landgericht Frankfurt/Oder, der im Juni mit Bewährungsstrafen zwischen acht und 24 Monaten endete. Sieben Monate lang war ihnen der Telefonanschluß rund um die Uhr abgehört worden. Die Männer, die in Sri Lanka selbst Opfer politischer Verfolgung geworden waren, hatten ihren illegal über die deutsche Ostgrenze geflüchteten Landsleuten geholfen, ins Asylverfahren zu kommen. Sie holten Neuankömmlinge ab, die bei ihnen angerufen hatten. Sie brachten sie in ihre Berliner Wohnung, verschafften Schuhe oder eine Jacke. Wenn nötig, gaben sie ihnen zu essen und sorgten für einige Tage Ruhe. Ihre Aufwendungen ließen sie sich erstatten: 200 bis 300 Mark pro Person.

Das Frankfurter Landgericht erkannte an, daß die Verurteilten aus humanitären Motiven heraus geholfen hatten. Dennoch lasse das Gesetz keinen anderen Spielraum als eine Bewährungsstrafe. "Das Gesetz sagt, man darf diesen Menschen absolut nicht helfen", meint Verteidiger Conrad Zimmer. "Strafrechtliche Verlängerung der Abschottungspolitik" nennt er das. Die Berliner Antirassistische Initiative berichtet von einer jungen Mutter aus einem gutbürgerlichen Bezirk, die die peruanische Mutter eines gleichaltrigen Kindes in ihrer Wohnung beherbergte. Weil die Lateinamerikanerin illegal nach Deutschland eingereist war, wurde ihre Gastgeberin wegen "Einschleusens" zu einer Geldstrafe verurteilt.