Lepper, der Bauernfänger

Sozialdemokraten, Konservative, Gewerkschafter, Protestierende - alle mögen Andrzej Lepper

Sie blockieren Straßen, Parlament und Ministerien, hungern oder prügeln sich mit Polizisten. Kumpel, Stahlwerker, Bauern oder Krankenschwestern - alle, die an den neuen Wirtschafts- und Sozialreformen schwer zu schlucken haben.

In Polen gibt es bereits ein neues Wort für die Protestkultur: Der "Lepperismus" bezeichnet eine Art populistische Interessenvertretung, die der Regierung bestandssichernde Konzessionen abringen will. Und die lenkt meistens auch ein, um den sozialen Unfrieden zu bändigen, setzt damit aber gleichzeitig die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel: Der Lepperismus gilt in den sogenannten reformorientierten Kreisen mittlerweile als Gefahr für das politische System, weil er die parlamentarische Interessenvermittlung außer Kraft setzt.

Andrzej Lepper ist Gründer und Vorsitzender des Bauernverbandes Samoobrona (Selbstverteidigung). Seinen Einfluß zeigte er im Januar dieses Jahres, als er die Bauern zu Protestaktionen aufrief. Hunderte polnischer Landwirte blockierten daraufhin die Grenzübergangsstraßen und Hauptverkehrswege und forderten, die staatlichen Schweinefleisch- und Getreidepreise heraufzusetzen. Nur so könne sich die polnische Landwirtschaft gegenüber der Lebensmittelflut aus der Europäischen Union halten (Jungle World, Nr. 28 / 99).

Seitdem ist Lepper in der politischen Szene und in den Medien allgegenwärtig, ein Popstar der vernachlässigten polnischen ländlichen Regionen. Für Anfang August drohte er erneut mit Blockaden, wenn der mit der Regierung ausgehandelte Getreidesubventionskauf nicht zügiger vorangehe. "Die Bauern stehen Schlange, das Korn verdirbt!" schreit Lepper. Sowohl von der Regierung als auch von Präsident Aleksander Kw‡sniewski fühle er sich um die versprochene Verbesserung für die Landwirtschaft betrogen.

Der Bauernführer ist eine schillernde Person. Bis 1989 war er Mitglied der Vereinigten Polnischen Arbeiterpartei und Leiter zweier landwirtschaftlicher Produktionsgenossenschaften. Heute hat er die lauteste Stimme in nationalsozialen, konservativen Bauernkreisen. 1991 gründete er zusammen mit anderen hochverschuldeten Landwirten den Verband Samoobrona. Die Mauscheleien um eigene finanziellen Zuwendungen, um Geldspenden durch das antiamerikanische Schiller-Institut oder eine dubiose Reise von befreundeten Samoobrona-Mitgliedern als Wirtschafts- und Politikerdelegation nach Brasilien schmälern sein Ansehen nicht - ebensowenig wie seine Aussage, er habe Goebbels' Sozialtechnik studiert. Spätestens wenn Lepper den Papst zitiert und das Volk-und-Kirche-Pathos bedient, hat er alle Anhänger wieder applaudierend hinter sich.

Die Mitgliederzahl des Verbandes ist seit den Januar-Protesten enorm gewachsen. Der im Juli ohne Konkurrenz wiedergewählte Lepper ist einer von ihnen: erzkatholisch, antiliberal, xenophob und ein Modernisierungsverlierer. Der 46jährige wuchs in einer zwölfköpfigen Bauernfamilie auf und wurde geprägt von den Lehren des polnischen Volkskatholizismus und des polnischen Sozialismus. Er kennt die Bauern und spricht ihre Sprache.

Lepper ist wie sie vor allem "dagegen": gegen die Agrarreformen der rechtskonservativen Regierung (also für garantierte Preise und Abnahmemengen), gegen die Öffnung des polnischen Agrarmarkts für EU-Billigeinfuhren, gegen die EU-Integration Polens. Ein "entschiedenes 'Nein' zum Ausverkauf Polens durch die gegenwärtige Regierung" ist nach Lepper die Devise der Samoobrona - die Misere der polnischen Landwirtschaft wird dabei gleichgesetzt mit dem Niedergang des gesamten Landes.

Für die Samoobrona ist die Regierung und allen voran Wirtschaftsminister Leszek Balcerowicz schuld, weil sie zuließen, daß Polen wieder fremdbestimmt würde - diesmal unter kapitalistischen Vorzeichen, durch das Diktat der internationalen Finanzorganistionen und der Europäischen Union. "Beim Konzept der 'Rückkehr Polens nach Europa' geht es um nichts anderes als um die fortschreitende Degradierung Polens auf den Rang eines EU-Hinterlandes", wettert Lepper.

Seine Kritik an der europafreundlichen Politik der polnischen Regierungen schmückt er mit Verschwörungstheorien. Die Politik, die am Runden Tisch zwischen westorientierten oppositionellen Intellektuellen und Kommunisten beschlossen wurde, sei nicht Ausdruck des authentischen Volkswillens, sondern geheimer internationaler Absprachen gewesen. Schon George Bush und Michail Gorbatschow hätten im Dezember 1989 auf Malta unter sich die "Finnlandisierung" einer Zone von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer besiegelt.

Leppers Alternative, seine Version eines "Dritten Weges", ist weit unklarer als seine Feindbilder. Weder das sozialistische System des "extremen Kollektivismus", noch der "unmenschliche Kapitalismus" sei polnisch und mit der katholischen Soziallehre vereinbar. Polen müsse seinen eigenen, den Traditionen und den nationalen Besonderheiten entsprechenden, unabhängigen Weg finden, um seinen messianischen Auftrag zwischen Ost und West zu erfüllen.

Hauptaufgabe der Samoobrona sei es - in Anlehnung an die inzwischen verkommene Solidarnosc -, den eigenen Lebensbereich selbst zu organisieren und zu verteidigen. Damit würde sie zur Befreiung Polens von seiner Rolle als arbeitskräfte- und rohstoffliefernde Kolonie des Westens beitragen.

Die politische Klasse fürchtet den Demagogen, weiß aber offenbar nicht, wie sie ihm begegnen soll: Da er die Moral und die Scharen Enttäuschter auf seiner Seite hat, kann man ihn nicht mehr als extreme Randerscheinung ignorieren. So verurteilt die Regierung zwar den rechtswidrigen Charakter der Proteste, betrachtet sie aber als moralisch begründet und verhandelt mit Lepper und der Solidarnosc-Bauerngewerkschaft über Interventionskäufe und das "Bündnis für die ländliche Region".

Seit auch das seit zwei Jahren anhängige Verfahren wegen öffentlicher Beleidigung, Schmähung der Staatsorgane und erheblichen Rechtsbruchs für Lepper entschieden wurde (dem Lubliner Gericht fehlten die Anklageschriften der zuständigen Staatsanwaltschaften), gelten die wilden Proteste der verschiedener Berufsgruppen als geduldet und ihre Auflösung als moralisch anstößig.

Je näher die Parlamentswahlen rükken, desto mehr buhlen die Bauernpartei PSL, die übrigen Bauerngewerkschaften und das rechtsnationale Lager um Leppers Klientel. Ob die Lepperisten sich integrieren lassen, ist fraglich. Ihr Führer reagiert hinhaltend. Schließlich hat er sein Imperium außerhalb der "verräterischen" herkömmlichen Bauernorganisationen aufgebaut. Er ist sich selbst genug und hat den Hang zu Höherem. In Brasilien ließ er sich bei der dortigen polnischen Exilgemeinde als neuer Präsidentschaftskandidat vorstellen - obwohl er damit schon bei den Präsidentschaftswahlen 1995 kläglich gescheitert war.