Zum Schutze der Gesellschaft

Die Mörder kamen nicht im Morgengrauen, sondern am hellichten Nachmittag. Sie brauchten das Tageslicht nicht zu scheuen, denn ihre Polizeiuniformen schützten sie viel besser. 25 Menschen, darunter viele Frauen und Kinder, starben mitten auf der vielbefahrenen Bundesstraße PA-150 in Brasiliens nordöstlichem Bundesstaat Par‡. Die Mörder mußten sich nicht einmal bemühen, das Massaker als Gefecht hinzustellen: 18 der Ermordeten wurden mit Nackenschüssen regelrecht hingerichtet. Das war am 15. April 1996. Die Opfer waren Landlose, die auf der Straße gegen Verzögerungen bei der Enteignung eines naheliegenden Großgrundbesitzes protestieren wollten. Die Farm "Macaxeira" war damals von etwa 3 000 Familien besetzt gehalten worden. Die Täter: Militärpolizisten, die von Großgrundbesitzern der Umgebung bestochen waren.

Durch Brasilien ging - wieder einmal - ein Aufschrei. Landwirtschaftsminister José Andrade Vieira, der für sein Kungeln mit den Großgrundbesitzern bekannt war und ebenso wie Präsident Fernando Henrique Cardoso und der Gouverneur von Par‡ einen telegrafischen Hilferuf der Landbesetzer ignoriert hatte, mußte zurücktreten. 155 Polizisten wurden angeklagt. Vergangene Woche wurden die ersten von ihnen - drei Polizeioffiziere, die bei der Operation das Kommando hatten - freigesprochen, aus Mangel an Beweisen, wie eine Geschworenenjury in Par‡s Hauptstadt Belém befand. Unsinn, meint Anwalt Carlos Guedes, der in dem Prozeß die Landlosen-Bewegung (MST) vertrat: Die Geschworenen seien der Linie der Verteidigung gefolgt, die argumentiert habe, die Militärpolizei habe "im Namen des Staates und zum Schutze der Gesellschaft gegen Landdiebe, Rechtsbrecher und Verfassungsfeinde" massakriert.