Alternative Lebensformen

Kreuzberg gibt nicht auf

Ein friedlicher Sonntag. Im Fernsehen gibt es "100 Deutsche Jahre. Mauerschau - Innerdeutsche Grenzen", den "ZDF-Fernsehgarten", live von der IFA. Und: "Ein unvergeßliches Wochenende". Auf Mallorca. Draußen scheint die Sonne. Ein Tag, um auf die Straße zu gehen.

Am Spreespeicher wirbt tm 3 mit großflächigen Plakaten für die Champions League. "Voll verschossen. Total ballverliebte Jungs." Und daneben: "Hol dir den Kick." Nicht nur Jungs treffen sich an diesem Nachmittag auf der Oberbaumbrücke. Und um sich den Kick zu holen, greifen manche auch gerne auf faules Obst, Mehlbeutel, Wasserbomben und Plastikschläuche zurück.

Polizisten haben die Straße abgesperrt und hocken gelangweilt in ihren Wannen. Ein paar Meter weiter warnt ein Schild: "Wer weitergeht, wird begossen." Nicht nur das: Wer weitergeht, ist Komparse für "Mad Max XXII", live von der Oberbaumbrücke. Nur geht es hier nicht um Benzin, sondern um die Ehre. Oder um Spaß. So genau weiß das keiner.

Die Brücke ist Schauplatz für die seit einigen Jahren stattfindende Straßenschlacht zwischen den Bezirken Friedrichshain und Kreuzberg. Die WAF (Wasser Armee Friedrichshain), sagt einer, sei der "legale Arm" der Friedrichshainer amorphen Zentralisten (FAZ). Und hier wollen sie es den Kreuzbergern mal so richtig zeigen.

Schwere Geschütze werden aufgefahren. Mit drei, zu Wasserwerfern und Schleudern umfunktionierten Lastwagen sind sie angerückt. Und von Anfang an geht es nur in eine Richtung. Zwar gelingt es den Kreuzbergern, einen der Wasserwerfer zu entern, aber gegen die gut ausgestatteten Friedrichshainer ist nichts zu machen.

In der Halbzeit mischt sich ein Flaschensammler unter die Menge. "Was is'n hier los? 'ne Party?" Dann stimmt er in die Parolen "Ost-Ost-Ost-Berlin" und "Nieder mit Kreuzberg" ein. Vor 30 Jahren hat er noch auf der anderen Seite gekämpft. "Aber da ging es ja um was anderes."

Die Fronten sind nicht ganz klar. "Wer seid ihr?" ruft jemand, und ohne die Antwort abzuwarten, wird draufgeschlagen. "Das ist Kreuzberg. Unorganisiert und immer rauf auf die Scheiße", meint einer, ist aber überzeugt, "in der Defensive die besseren Kampfmittel" zu haben. Nach einer Stunde ist die Schlacht entschieden. Die Friedrichshainer haben die Brücke eingenommen.

Alle sind erschöpft und glücklich. Nur der Service wird beklagt. Was fehlt, sind Bierstände und Pausenmusik. Egal. Später wird gemeinsam gefeiert. Ein friedlicher Sonntag.