Working and Poor

Auf zu neuen Ufern: Mit dem Kombilohn werden die Tarifpartner im Bündnis für Arbeit einen neuen Niedriglohnsektor durchsetzen

Es klang, als sei bereits alles in trockenen Tüchern. Gewerkschaften, Unternehmer und nordrhein-westfälische Landesregierung schienen sich einig: Mit einem dreijährigen Modellversuch wollte man Mitte August in einigen ausgesuchten Betrieben den Einstieg in den Kombilohn beschließen. Vor allem im Dienstleistungssektor, so dachten sich die Partner im Bündnis für Arbeit, sollte man die Empfänger und Empfängerinnen von Sozial- oder Arbeitslosenhilfe für wenig Geld zum Malochen schicken.

Die Jobs wären den Arbeitgebern durchaus günstig zu stehen gekommen, schließlich hätte der Staat die Sozialabgaben zugeschossen. Dennoch machten die Unternehmer einen Rückzug. Ohne eine grundsätzliche Senkung der Tarife wollte man sich auf den Deal nicht einlassen. Das aber war mit dem nordrhein-westfälischen DGB-Landesverband nicht zu machen. Die Idee platzte vorerst. Zwar war mit dieser Entscheidung vom 18. August der Einstieg in den Kombilohn erst einmal vom Tisch, doch Landeschef Wolfgang Clement (SPD) kündigte daraufhin gleich einen Alleingang an, um durch Subventionen Stellen zu schaffen. Nun dürfen sich 200 bis 250 Sozial- oder Arbeitslosengeldbezieher doch auf neue Jobs freuen. So etwa als Kantinenhilfe bei der Bayer-Gastronomie, einer Tochter des Chemie-Riesen, oder als Hilfsarbeitskraft in lokalen Krankenhäusern.

Ähnliche Projekte, allerdings in Zusammenarbeit mit den Arbeitgebern, gibt es bereits in den südlicheren Bundesländern: In Baden-Württemberg wird schon jetzt heftig experimentiert, und im Herbst wollen auch Hessens Tarifpartner mit ersten Testläufen beginnen. Das Ziel: Nach dem Vorbild der USA, Dänemarks und den Niederlanden soll der Sozialstaat durch einen Niedriglohnsektor verbilligt werden. Weil eine derartige "marktgerechte" Entlohnung nicht die Reproduktion derjenigen sichert, die dort arbeiten, muß der Staat den kapitalfreundlichen Lohn zu einem Kombilohn aufstocken.

Die nötige Vorarbeit lieferten Wolfgang Streeck und Rolf Heinze aus der Benchmarking-Gruppe des Bündnisses für Arbeit. Ginge es nach den beiden, dann sollten Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger künftig im Dienstleistungsbereich eingebunden werden. Sozialhilfeempfänger, die nicht mehr für die industrielle Reservearmee gebraucht werden, müssen sich demnach auf einen Job in der deutschen Wirtschaft einstellen. Dienstleistungen, so klären Streeck und Heinze in einem Reformpapier auf, "brauchen ein anderes Arbeitsregime als die Industrie: andere Arbeitszeiten, andere Entlohnungsformen". Und natürlich "andere Formen der sozialen Sicherung".

Der produktive Sektor bietet sich dagegen für die geplanten Maßnahmen kaum an. Dort, in dem industriellen Bereich, wo mit wenig menschlicher, aber um so mehr maschineller Arbeitskraft gewirtschaftet wird, nimmt der Bedarf an Arbeitskräften weiterhin ab. Dennoch sollten qualifizierte Berufsarbeit, Flächentarif oder Kündigungsschutz weiterhin den industriellen Kernsektor prägen, so Streeck und Heinze, "auch wenn dieser immer kleiner werden wird". Das ist naheliegend: Denn gerade wenn Unternehmer erfolgreich Kapital anhäufen, wird jeder weitere Zyklus der Produktion weniger Arbeit benötigen, da gesteigerte Produktivität nur durch den Ersatz lebendiger Arbeit, also durch ein Mehr an Maschinen, zu haben ist.

Anders dagegen jener Bereich, der mit dem Stichwort der "reifen Dienstleistungsgesellschaft" verbunden wird. Hier spielen Branchen eine Rolle, in denen lebendige Arbeit nicht durch Maschinerie zu ersetzen ist, wie beispielsweise Kellnerinnen, Fahrradkurriere, Putzmänner. Miese Jobs, die als Qualifikation kein abgeschlossenes Studium, sondern in erster Linie den Willen zum Durchhalten brauchen. Arbeitsplätze, in denen Lohndrückerei eine wichtige Rolle spielt, um Profit zu erwirtschaften, eben weil der Einsatz menschlicher Arbeitskraft von besonderer Bedeutung ist. Freilich gibt es diesen Niedriglohnsektor längst. Doch dort, wo bislang Migranten und Migrantinnen sowie Studierende arbeiteten, soll nun Platz geschaffen werden für breitere Bevölkerungsschichten.

Trendsetter für das hochmoderne Entwicklungsmodell Kombilohn oder Kombi-Einkommen ist Baden-Württemberg, wo man das Vorhaben Einstiegsgeld genannt hat. Der Vielzahl der Bezeichnungen entspricht eine Vielzahl von Modellen. Prinzipiell lassen sich die Konzepte danach unterscheiden, ob der Staat die Kosten eines Arbeitslohns bezuschußt wie auch bei den ABM, oder ob die Freibeträge für Sozialhilfe bei der Aufnahme einer Arbeit erhöht werden. So werden im Ländle Einkünfte über den bisherigen Betrag von 135 Mark, der monatlich zuverdient werden darf, nicht mehr zu 85 Prozent, sondern nur noch zur Hälfte auf die Sozialhilfe angerechnet.

Der DGB betrachtet diese Erhöhung der Freibeiträge eher skeptisch. Der Verband befürchtet "Mitnahme"- oder "Drehtüreffekte". So dürften Firmen Beschäftige entlassen und dann "durch die Drehtür" wieder einstellen, um so Zuschüsse zu kassieren. Weil das Einstiegsgeld nur für eine begrenzte Zeit gewährt werden soll, treten die Sozialhilfebezieher so frei durch die Drehtür wieder ein, wie sie sie zu verlassen trachteten: abhängig von rentabler Arbeit, die sie ohne die Transferleistung des Staates nicht hätten annehmen können. Und damit entsteht wiederum Konkurrenz für die Klientel der Gewerkschaften, die sich weiterhin als Interessenvertretung der noch rentablen Arbeitskraft verstehen. Naheliegend also, daß der DGB einerseits die Konkurrenz fürchtet und gleichzeitig die Wirksamkeit des Programmes, Hilfe zum Wiedereintritt in den ersten Arbeitsmarkt zu leisten, anzweifelt.

Noch aber ist der Kombilohn in der Testphase. Ob am Ende direkte Lohnzuschüsse und Transferleistungen wirklich zur Schaffung zusätzlicher entlohnter Arbeit führen, steht in den Sternen. Ebenso, ob dieser Bereich dauerhaft nur subventioniert existieren kann oder auch Schwung in die restliche Lohnhierarchie bringen wird. Für Ökonomen wie Streeck und Heinze ist das Ziel vorgezeichnet: Sie wollen einen Niedriglohnsektor einführen, um die Beschäftigungsquote in Deutschland zu steigern. Was unterm Strich für die Betroffenen nicht viel bedeutet. Schließlich kann, wer beschäftigt ist, nicht unbedingt von dieser Beschäftigung leben. In den USA wurde bereits ein passender Ausdruck geprägt: working poor.

Der Menge derjenigen, die dann dauerhaft keinen festen Job mehr haben werden, legt die Benchmarking-Gruppe nahe, "auf eigenen Füßen" zu stehen. Denn heutzutage sei "(fast) jeder Arbeitsplatz besser als keiner". Weil diese Philosophie jedoch nicht von heute auf morgen durchzusetzen ist, hielt Hans-Peter Stihl, der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer, bereits 1997 den Kombilohn für geeignet, um eine Transformationsphase einzuläuten: "Wir können nicht auf einen Schlag das gesamte Sozialniveau absenken, ohne daß die Sozialpolitiker aller Couleur aufschreien. Deshalb halte ich den Weg für sinnvoll, über den Kombilohn diesen tabuisierten Bereich aufzubrechen."