Zwei Leben für die Eidgenossen

Die Akte um Geheimdienstler Dino Bellasi ist vorerst abgeschlossen: Er zog seine Aussage zurück und gilt jetzt als Pyschopath.

Die sommerliche Staatsaffäre begann kurz nach Mitternacht: Am 13. August nahm die Polizei Dino Bellasi und seine Frau Gabriela am Flughafen Zürich-Kloten fest. Dem ehemaligen Bundesbeamten und Mitarbeiter des Schweizer Geheimdienstes Untergruppe Nachrichtendienst im Generalstab (UGND) wird vorgeworfen, mit fiktiven Rechnungen 8,6 Millionen Franken aus der Truppenkasse abgezweigt zu haben.

Ausgerüstet mit einem Stempel des Ministeriums für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport und in der Uniform eines Hauptmanns der Schweizerischen Armee, habe der 39jährige Bellasi seit 1994 regelmäßig Bargeld von der Nationalbank bezogen. Diese Transaktionen wären ein Verwaltungsskandal geblieben, hätte Bellasi nach seiner Verhaftung nicht darauf bestanden, das Geld für den Aufbau eines geheimen, regierungsunabhängigen Nachrichtendienstes verwendet zu haben.

Der eher biedere Bürokrat - mit rund 60 000 Schweizer Franken Jahresgehalt - führte offensichtlich ein Doppelleben: Dino Bellasi, bekannt als äußerst zuverlässiger Buchhalter, reiste häufig mit einem gemieteten Privatjet oder Helikopter und übernachtete gerne in den Präsidentensuiten von Nobelhotels. Seiner Frau Gabriela, die er als Mitarbeiterin der Begleitagentur "Princess Escort" kennengelernt hatte, baute er in Österreich eine großzügige Villa - mit dem Grundriß eines Schweizerkreuzes.

Der verantwortliche Bundesrat Adolf Ogi zeigte sich bestürzt über den Betrugsfall, ließ aber verlauten, daß bis jetzt keine Hinweise auf einen "nachrichtendienstlichen Schaden" vorläge. Doch erst die Schlagzeile einer Boulevardzeitung veranlaßte Ogi, an einem Sonntagnachmittag hektisch eine Pressekonferenz einzuberufen. Inzwischen war bekannt geworden, daß Bellasi in der Bundeshauptstadt über ein großes Waffen- und Munitionslager verfügte. Nun mußte Ogi zugeben, daß der Fall Bellasi keine verwaltungsinterne Angelegenheit mehr war: "Die Affäre hat möglicherweise Dimensionen erreicht, an die wir nicht im Traum gedacht haben: Waffenhandel, organisierte Kriminalität und Geheimarmee." Ogi betonte zwar, daß der Chef des Nachrichtendienstes und direkte Vorgesetzte von Bellasi, Peter Regli, immer noch sein Vertrauen genieße, schickte ihn aber gleichzeitig in einen unbefristeten Urlaub.

Denn in einem Verhör mit der Bundesanwältin Carla Del Ponte, die erst kürzlich zur Chefanklägerin des Uno-Kriegsverbrechertribunals ernannt wurde, hatte Bellasi den UGND-Chef Regli schwer belastet: Er habe von Regli 1994 den Auftrag erhalten, mittels gefälschter Rechnungen die Aufstellung und Bewaffnung eines geheimen, regierungsunabhängigen Nachrichtendienstes zu finanzieren. Auch das Haus in Graz sei als Treffpunkt außerhalb der Schweiz gebaut worden. Ebenfalls auf Befehl von Regli habe er eine Geldwäsche-Firma gegründet und zur Tarnung den erfolgreichen Geschäftsmann gespielt. "Bellasi ist kein Betrüger, sondern ein Superpatriot", kommentierte Anwalt André Seydoux das Geständnis seines Mandanten.

"Bellasi lügt", konterte ein sichtlich beleidigter Regli und riet den Untersuchungsbehörden, ein psychiatrisches Gutachten von Bellasi zu erstellen. Der Ex-Militärpilot Regli hatte seit dem Amtsantritt 1991 sämtliche Skandale seines Dienstes unbeschadet überstanden. Weder die illegale Entsorgung von zehn Kilogramm "leicht strahlenden" Urans noch die vermuteten Kontakte zu Wouter Basson, dem Verantwortlichen des B- und C-Waffenprogramms des südafrikanischen Apartheid-Regimes, wirkten sich negativ auf seine Karriere aus.

Zwei Tage später erschien die Bundespolizei früh morgens an der Papiermühlestraße 20 in Bern, dem Sitz des Nachrichtendienstes. Die Büros von Regli und zwei weiteren Geheimdienstkadern wurden durchwühlt und anschließend versiegelt. Nach dieser überraschenden Hausdurchsuchung schlossen auch die bürgerlichen Parteien, die sich bis dahin nur zögerlich zum Fall Bellasi äußerten, eine parlamentarische Untersuchungskomission (PUK) nicht mehr aus.

Die Hinhaltetaktik der bürgerlichen Parteien ist verständlich. Parlamentarische Untersuchungen förderten in der Vergangenheit nicht gerade das Vertrauen in die staatlichen Institutionen. Im Gegenteil: So enttarnte die letzte PUK 1990 in den verwinkelten Gängen des Militärdepartements gleich zwei unbekannte Organisationen: Die geheime Widerstandsarmee P-26 sollte - die französische Résistance diente als Vorbild - nach einer militärischen Niederlage der Schweiz weiterkämpfen. Der geheime Nachrichtendienst P-27 versteckte sich hinter der vom Bund finanzierten Tarn- und Geldwäschefirma Hidascope AG und fertigte Listen an von "unzuverlässigen" Armeeangehörigen und "extremistischen" Zivilisten, die im Kriegsfall sofort in Internierungslager verbracht werden sollten.

Der Ruf nach einer PUK wurde noch lauter, als das Departement von Bundesrat Ogi bestätigte, daß Soldaten des Nachrichtendienstes mehrmals mit Bellasis Waffenarsenal militärische Schießübungen durchgeführt haben.

Doch vergangenen Mittwoch sorgte Bundesanwältin Carla Del Ponte für eine überraschende Wendung im Fall Bellasi: Sie erklärte, der Beschuldigte habe seine früheren Aussagen widerrufen und entschuldige sich bei seinen Vorgesetzten und deren Familien. Der anwesende Anwalt, André Seydoux, sprach von "gravierenden Persönlichkeitsstörungen" seines Mandanten.

Bellasi, nun gar Psychopath und wohl doch ein Einzeltäter: Bundesrat Ogi spürte wieder Rückenwind. Nach der strafrechtlichen Rehabilitierung Reglis und zweier Chefbeamten ging er mit seinem Programm "Glasnost im helvetischen Pentagon" wieder in die Offensive.

In einem Interview mit der Neuen Zürcher Zeitung kündigte Ogi - bereits vor dem Widerruf Bellasis - eine Modernisierung des Schweizerischen Geheimdienstes an. Dies sei notwendig, denn "wenn wir die Armee vermehrt im Ausland einsetzen, wird die Aufklärungsarbeit an Bedeutung gewinnen".

So schnell ist der Fall Bellasi jedoch nicht vom Tisch. Neben den parteipolitischen Debatten über die Wiedereinsetzung von Nachrichtenchef Regli laufen die Ermittlungen gegen den Verantwortlichen des strategischen Nachrichtendienstes, Fred Schreier, weiter. Er hat einen Teil der gefälschten Rechnungen von Bellasi unterschrieben und wird immer noch als möglicher Komplize gehandelt. Fred Schreier gehört noch zu der Garde der Kalten Krieger im Schweizerischen Geheimdienst: Er war bereits der Verbindungsmann zum geheimenen Nachrichtendienst P-27; dem Vorbild von Bellasis (Alp-)Traumtruppe.