Männer in Not

Evangelikale Kirchenmitglieder machen gegen die neue Hannoveraner Bischöfin mobil

Seit Anfang des Monats ist für manche der 3,4 Millionen Protestanten in Niedersachsen die Welt nicht mehr in Ordnung. Mehr noch: Sie ist sogar in höchster Gefahr, denn an diesem Tag hat Margot Käßmann als zweite Frau in der Geschichte des deutschen Protestantismus das Amt einer Bischöfin übernommen. Für einen Teil der Brüder und Schwestern ist damit der akute Notstand ausgebrochen - ungeachtet der Tatsache, daß schon heute im Sprengel Hannover rund ein Viertel der etwa 2 000 Pastoren weiblich sind und bereits 1995 das Wort "Bischöfin" in die Kirchenverfassung aufgenommen wurde.

Die Kritik an der Wahl einer Frau ins höchste Amt der Landeskirche kommt vom konservativen Rand der Gemeindemitglieder. Bei den ehrenwerten Herren, die anläßlich der Hannoveraner Bischöfinnenwahl eine "Notsynode" abhielten, handelt es sich jedoch nicht um eine Handvoll durchgeknallter Sektierer, sondern um eine Bewegung innerhalb der Protestanten, die päpstlicher als die Deutsche Bischofskonferenz argumentiert und sich um weit mehr als nur Kirchenpolitik kümmert: Die Evangelikalen sind protestantische, bibeltreue Fundamentalisten, die sich unter anderem durch ihren Antifeminismus auszeichnen.

Nach Ansicht ihrer Sprecher dürfen Frauen in der Kirche nicht Männern übergeordnet sein - schon die Ordination von Pfarrerinnen sehen sie als "Verrat an der Bibel" an. Manche Evangelikale lehnen die Wahl der früheren Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags allein deshalb ab, weil sie eine Frau ist und halten das Hannoveraner Bischofsamt auch nach Käßmanns Amtsantritt für vakant.

Überraschend kamen die Proteste nicht. Im Vergleich zu der Entrüstung, die Maria Jepsen entgegenschlug, als sie 1992 im ungleich kleineren Stadtstaat Hamburg zur ersten Bischöfin einer lutherischen Kirche weltweit gewählt wurde, fielen sie sogar zurückhaltend aus. Damals hatten Theologen aus den Mitgliedsorganisationen des evangelikalen Dachverbandes Konferenz Bekennender Gemeinschaften Gift und Galle gespuckt. Einer ihrer Sprecher, Peter Beyerhaus, nannte die Wahl Jepsens "eine der schwersten geistlichen Katastrophen in den letzten Jahren", ein anderer verstieg sich sogar zu der Behauptung, die Lage der Kirche sei heute schlimmer als im Dritten Reich.

Derartige Relativierungen des Nationalsozialismus sind unter den Evangelikalen nichts Außergewöhnliches - einige ihrer sogenannten Lebensschutzgruppen bezeichnen Schwangerschaftsabbrüche als "Holocaust". Und seit Ende 1996 gibt es eine Bekennende Evangelische Gemeinde Neuwied, die nach eigenen Worten den Aufbau einer bundesweiten Bekennenden Kirche nach dem Vorbild der gleichnamigen Organisation anstrebt, die sich 1934 im Widerstand gegen die Einflußnahme der Nazis auf den deutschen Protestantismus bildete. Die heutigen Bekenner wollen ebenfalls Widerstand leisten - jedoch gegen eine mögliche Gleichstellung von Lesben und Schwulen in der evangelischen Kirche.

Diese Argumentation entbehrt nicht einer gewissen - vielleicht ungewollten - Logik: Die Bekennende Kirche gründete sich 1934 entgegen allen Mythen eben nicht, weil die deutschen Protestanten den Nationalsozialismus generell ablehnten, sondern weil die Nationalsozialisten der Kirche in Glaubensdinge hineinreden wollten. Heute sind große Teile der Evangelikalen der Ansicht, daß die Feministinnen ihrem Glauben im Wege stehen - und zwar mehr noch, als es die Nationalsozialisten je waren.

Auch Rudi Weinmann, Kirchenvorsteher in einem Dorf an der niedersächsischen Elbe, der heute gegen die neue Würdenträgerin mobilisiert, bezieht sich ausdrücklich auf die Bekennende Kirche, die sich mit dem Hinweis auf ein kirchliches Notrecht legitimierte. Die groß angekündigte "Notsynode" der Evangelikalen am 4. September, die "zum Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes aufrufen" sollte, fiel zwar sehr viel kleiner aus als geplant - statt der 2 000 erwarteten Teilnehmer kamen nur 150. Doch an der politischen Schlagkraft der Konferenz Bekennender Gemeinschaften änderte sich dadurch nichts.

So sprach sich der Dachverband schon in der Vergangenheit gegen die doppelte Staatsbürgerschaft aus. Kein Wunder: Einer ihrer Funktionäre, Klaus Motschmann, ist Redaktionsmitglied von Critic-n, drei weitere - Ernst Zuther, Walter Rominger und Friedrich-Wilhelm Künneth - sind für die rechtsextreme Zeitschrift als Autoren tätig. Wolfhart Schlichting tritt als Aktivist der Paneuropa-Union auf, Ekkehard Jacoby war Unterstützer, Peter Beyerhaus Referent des als rechte Sekte geltenden Vereins für psychologische Menschenkenntnis (VPM); der derzeitige Vorsitzende des Dachverbandes, Ulrich Woronowicz, war zeitweise Vorsitzender des Christlich-Konservativen Deutschland-Forums Berlin. Und als die Junge Freiheit noch eine Kirchenseite hatte, fanden sich auch dort gelegentlich Beiträge von Autoren aus diesem Klüngel. Doch die Kirchenseite brauchte es vor zwei Wochen gar nicht mehr. Denn da bezeichnete Klaus Motschmann im Hauptteil die "Notsynode" in Hannover "schon vorab, unabhängig von ihren Ergebnissen, als vollauf gelungen".

Was allerdings Bundeskanzler Gerhard Schröder dazu bewogen haben mag, in seiner Grußansprache zur Amtseinführung der Bischöfin die männliche Anredeform zu wählen, weiß wohl allein er selbst. "Sehr geehrter, lieber Herr Landesbischof Käßmann", sagte Schröder zum Erstaunen der geladenen Gäste und des Kirchenvolkes gleich zweimal hintereinander, bis er bemerkte, daß es sich beim Herrn Landesbischof um ein Weib handelte. Dieses hatte gerade "mit Gottes Hilfe" den neuen Hirtinnendienst angenommen und ließ sich dabei weder von des Kanzlers Irrungen noch dem Teilnotstand ihrer Schäfchen beirren.