Modell Japan am Ende

Asienpfanne Teil III: Das alte Akkumulationsregime ist in der Krise, ein neues nicht in Sicht

Japans Einstieg in das neue Jahrtausend ist der denkbar schlechteste: Ökonomische Stagnation, Bankenkrise und ein Gefühl politischer Lähmung machen sich breit. Nach fünf Quartalen der Rezession kamen im Frühjahr zwar Hoffnungen auf, die dann durch Stagnation im Sommer jedoch wieder zunichte gemacht wurden. Zudem waren die Investitionen der Unternehmen im zweiten Quartal gegenüber dem Vorjahr um 13,4 Prozent gefallen.

Frust herrscht in allen Lagern. Nachfrageorientierte Ökonomen haben sich zwar mit sieben Konjunkturprogrammen durchsetzen können, allerdings mußte das meiste Geld für die Vermeidung eines finanziellen Kollaps verpulvert werden. Die Konsumenten sind nicht einmal durch die Verteilung von Gutscheinen zum Kaufen zu bewegen. Und selbst zinslose Kredite vermögen kaum Investoren zu motivieren. Im Gegenzug müssen sich die auf Kosten und Gewinne orientierten Angebotsökonomen einsilbig verhalten, denn der Verfall der Preise scheint durch nichts mehr aufzuhalten zu sein. Insofern vermag der staatsfinanzierte Bau von Straßen, Tunneln und Brücken nur ein noch weiter gehendes ökonomisches Absacken zu verhindern.

Dabei hätte man sich von der Depression wenigstens einen politischen Bruch erwarten können. Tatsächlich war bereits 1993 das liberaldemokratische Regime nach 38jähriger Herrschaft zusammengebrochen. Mit der Seifenblasen-Ökonomie waren zugleich zu viele Affären ruchbar geworden. Die an die Macht gelangte sozialliberale Opposition wurde jedoch schnell ein Opfer der Verhältnisse und ihrer Illusionen. Obgleich die zurückgekehrten Liberaldemokraten zu Beginn dieses Jahres in eine Krise geraten waren, gelang ihrem neuen Premierminister Keizo Obuchi mittlerweile die Konsolidierung der Macht. Obuchi brachte den Haushalt durch, ließ Nationalhymne und Flagge festlegen und holte die buddhistische Neue Komeito-Partei in die Regierung. Damit scheint die politische Rückkehr der Armee, die bislang ein Schattendasein fristete, unmittelbar bevorzustehen. Überdies ist mit Tokios neuem Bürgermeister Shintaro Ishiharas der Rechtsradikalismus zum politischen Faktor geworden. Ishihara klopft starke Sprüche gegen US-Banken und das chinesisches Politbüro. Seinnationalistisches Motto: "Laßt uns Japan loben!"

Japan loben wollen allerdings vor allem Schnäppchen-Jäger. Da an der Börse keiner den Einstieg verpassen will, konnte der Nikkei sich wieder auf knapp 18 000 Punkte erholen. "Noch nie waren die Chancen für ausländische Unternehmen in Japan so gut wie jetzt", schwärmt FAZ-Korrespondentin Barbara Odrich, "durch Übernahmen oder nennenswerte Beteiligungen dauerhaft Fuß zu fassen." Allerdings müsse mit eine Durststrecke gerechnet werden. Die Industrie plagen Überkapazitäten, und die Verschuldung den Staat.

Sicherlich hat sich Japan mit seiner Spekulation ins Unglück gestürzt. Ebenso klar ist, daß Tokios Banken Südostasien in den Orkus gezogen haben. Angesichts uneinbringlicher Kredite von über einer Billion Mark im Lande steigerten sie ihr Kreditgeschäft mit Tiger- und Drachenländern von 80 Milliarden Mark (1994) auf 520 Milliarden zwei Jahre später. Mit der 1997/98 durch den Asiencrash erfolgten Komplettierung des Scherbenhaufens muß Tokio nun um Schuldner und Kunden fürchten.

Japan hat sich als Export-Weltmeister einen Namen gemacht. Als größter Kreditgeber der Welt finanziert es die Überschuldung in den USA und die der "emerging markets". Toyota, Sony, Honda stehen für Exportprodukte; und so scheint das Land sein Geld in erster Linie mit im Ausland verkauften Autos, Videogeräten und Motorrädern gemacht zu haben.

Trotzdem stehen und fallen Nippons Bilanzen mit seinem Binnenmarkt. Während die deutsche Exportquote bei 21,1 Prozent und die französische bei 18,5 Prozent lag, betrug sie 1995 für die Insel nur 8,5 Prozent. Bei den Importen sieht es kaum anders aus. Wie in den USA rangiert auch in Japan die Binnenwirtschaft vor dem Außenhandel.

Nichtsdestotrotz richten sich alle guten Wünsche für Tokio auf sein außenwirtschaftliches Gleichgewicht. Würden sich die japanischen Konsumenten mehr auf US-amerikanische und europäische Waren einstellen, lautet das Rezept, dann wäre währungspolitisch viel gewonnen. Dadurch könnten die pazifischen Kreisläufe wieder ins Lot kommen, und allen wäre geholfen. In diesem Sinne beraten die IWF-Ökonomen und suchen Firmenaufkäufer Gelegenheiten.

In New York und Washington orientiert man sich am Schema "Model causes crisis, crisis ends model". Damit schiebt man dem japanischen Wirtschaftsmodell die Schuld zu, mit dessen Krise ein neues zustande kommen soll. Dagegen sprechen Akkumulationsprobleme. Ebenso dürfte die Reformunfähigkeit der Regierung Keizo Obuchis unbestritten sein. Vor allem aber steckt das ordnungspolitische Denken voller Vorurteile: Für Japan stimmt weder das Bild von der dominanten Großindustrie noch das vom "strategischen" Staatsinterventionismus, geschweige denn das von einem Wohlfahrtsstaat.

99,4 Prozent der 857 000 Unternehmen Japans sind klein; in diesen sind 79,2 Prozent der 55 Millionen Beschäftigten tätig, die 55 Prozent der Wertschöpfung erbringen. Mit Italien verfügt Japan damit über die meisten kleinen und mittleren Unternehmen.Daher geht der Tokioter Wirtschaftsprofessor Yoshiro Miwa davon aus, daß die Bedeutung von Konzerngruppen, Industriepolitik und Staatsinterventionismus überschätzt wird. "Die seit Beginn der neunziger Jahre in Japan geführten Reform- und Deregulierungsdiskussionen erwecken im Gegenteil den Eindruck", wirft Franz Waldenberger vom Deutschen Institut für Japanstudien ein, "als werde die Wirtschaft durch die Politik regelrecht erdrückt."

Dabei liegt der Anteil öffentlicher Ausgaben am Bruttoinlandsprodukt (Bip) für Japan lediglich bei 37 Prozent. Das entspricht US-Verhältnissen; durchschnittlich liegen die OECD-Länder bei 50 Prozent. Tokios Bürokratie beschäftigt gerade mal sechs Prozent der Erwerbstätigen, während der OECD-Durchschnitt bei 15 Prozent angesiedelt ist.

Auch sozialpolitisch bewegte sich Nippon am unteren Rand. Seine Sozialtransfers nehmen 12 Prozent des Bip in Anspruch, die OECD-Mehrheit verteilt 15 Prozent um. Wenn sich daran gerade etwas ändert, dann hat das damit zu tun, daß Japan das Land mit der höchsten Lebenserwartung weltweit ist: 84,01 Jahre für Frauen, 77,16 Jahren für Männer. Sie haben Angst um ihre Altersversorgung, deshalb sparen sie wie noch nie und klammern sich an ihren Hausbesitz.

Entsprechend kritisieren D. Hugh Whittacker und Yoshitaka Kurosawa auch die Sichtweise "model causes crisis, crisis ends model" in der Zeitschrift Cambridge Journal of Economics. Für die Asienkrise machen sie Tokios Banken und US-amerikanische Absatzinteressen verantwortlich. "Grob gesagt hat Japan die Kapitalressourcen für diese Länder gestellt, während die USA die Exportmärkte beliefert haben."

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