Operation Massaker

Indonesien stimmt internationaler Truppe in Ost-Timor zu, der Terror aber geht weiter

Darwin ist gewöhnlich das, was die Australier als eine Country Town bezeichnen. Isoliert gelegen am nördlichsten Zipfel des Kontinents, ist es vor allem bei Rucksacktouristen beliebt, die nach Outback und Wüste mal wieder Stadtluft schnuppern möchten.

Seit vergangener Woche jedoch befindet sich die Hauptstadt des Nordterritoriums im Mittelpunkt der Öffentlichkeit Australiens und Südostasiens. Die Nähe zum knapp zwei Flugstunden nördlich gelegenen Ost-Timor hat eine immense strategische Bedeutung - eine eventuelle militärische Intervention in der Krisenregion wird ihren Anfang auf jeden Fall von Darwin nehmen.

Die Unruhen in der ehemaligen portugiesischen Kolonie begannen unmittelbar nach der Bekanntgabe des Ergebnisses des Unabhängigkeitsreferendums am vorvergangenen Samstag. Rund 78 Prozent der Bevölkerung hatten für eine Loslösung von Indonesien gestimmt - für die bewaffneten Milizen das Signal, loszuschlagen. Flankiert von Polizei und Militär wurden Dörfer und Städte systematisch von Unabhängigkeitsbefürwortern "gesäubert", ihre Häuser in Brand gesteckt und die Bewohner vertrieben oder ermordet. Alleine bei einem Massaker in einer Kirche in Suai kamen über 100 Menschen ums Leben.

Vom vorvergangenen Sonntag an war die Hauptstadt Dili gänzlich in der Hand bewaffneter Banden, geplünderte Wertgegenstände wurden auf Schiffe der indonesischen Marine verladen. Besonderes Ziel der Milizen waren auch Pressevertreter, das Hotel Tourismo, Treffpunkt fast aller ausländischer Journalisten, ging am Montag in Flammen auf.

Am frühen Dienstag verhängte die Regierung in Jakarta das Kriegsrecht über die Provinz - angesichts der Beteiligung der indonesischen Armee an den Übergriffen eine mehr als fragwürdige Geste. Am selben Tag gingen Milizen und Soldaten dazu über, große Teile der noch ausharrenden Bevölkerung zusammenzutreiben und auf Lastwagen mit dem Ziel West-Timor zu zwingen. Bis zum Freitag hatte dieser Exodus an die hunderttausend Menschen betroffen.

Um die 1 500 Menschen suchten derweil Zuflucht auf dem Gelände des belagerten UnametHauptquartiers der Vereinten Nationen in Ost-Timor. Am Freitag nachmittag evakuierten die UN unter Schutz einer australischen Elite-Einheit fast alle ihre Mitarbeiter aus Dili. Die australische Luftwaffe versorgt die Flüchtlinge zur Zeit per Fallschirmabwürfen mit Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Was aus ihnen und den noch knapp 50 verbliebenen UN-Angestellten wird, ist ungewiß.

In Darwin herrscht eine gespannte Atmosphäre, die sich bereits am Mittwoch in von Exil-Timoresen geführten Angriffen auf das indonesische Konsulat entlud. Am selben Tag traf Bischof Carlos Belo in Darwin ein, nachdem Milizionäre seine Residenz in Dili geplündert und in Brand gesteckt hatten.

Am Donnerstag und Freitag wurde im Außenbezirk Marrara eine Zeltstadt errichtet, in der die 400 Unamet-Angestellten und ihre Familien aus Dili nach der Evakuierung vorerst untergekommen sind. Ebenfalls auf Hochtouren laufen die militärischen Vorbereitungen, zwei Brigaden mit 4 000 australischen Soldaten warten einsatzbereit auf Befehle.

Unterdessen wuchs der innenpolitische Druck auf die australische Regierung, endlich zu handeln. Die Berichte von Mord und Vertreibung beherrschen mittlerweile die Medien, Bilder von brennenden Häusern und marodierenden Milizen sind omnipräsent. Zudem war am Montag das Auto des australischen Konsuls in Dili beschossen, die Botschaft in Jakarta von pro-indonesischen Demonstranten gestürmt und die australische Flagge verbrannt worden. In Canberra hingegen stiegen Pro-Ost-Timor-Demonstranten am Freitag auf das Dach des australischen Parlamentes und sprühten mit roter Farbe die Worte "Schande" und "Völkermord" an die Außenfassade; in Melbourne wurden die Büros der indonesischen Fluggesellschaft Garuda demoliert.

Am Samstag kam ein erstes Signal von seiten des indonesischen Armeechefs und Verteidigungsministers Wiranto: "Wir können die Möglichkeit, die Ankunft der (internationalen) Friedenstruppe zu beschleunigen, nicht ausschließen", sagte er. Am Sonntag erklärte sich dann Präsident Habibie, über dessen faktische Entmachtung durch die Generäle in den indonesischen Medien ausführlich spekuliert wird, im Fernsehen: "Ich habe entschieden, daß wir unsere Zustimmung dazu geben, daß eine Friedenstruppe gemeinsam mit der indonesischen Armee für die Sicherheit in Ost-Timor sorgt." Die Truppen hätten sich bemüht, die Gewalt in Ost-Timor einzudämmen, hätten aber "psychologische Probleme" bei dem Umgang mit "dem sehr komplexen Problem".

Habibies Ankündigung vorangegangen war das, was die Australian Financial Review "ein Wochenende intensiven militärischen, politischen und ökonomischen Drucks, angeführt von den USA", nannte - einige Monate nach Bekanntwerden der Pläne des indonesischen Militärs, Ost-Timor in Schutt und Asche zu legen, sollte die Bevölkerung sich für die Unabhängigkeit entscheiden. Zumindest kam dabei einiges über die Unterstützung des indonesischen Regimes durch die westlichen Länder heraus. Die USA und Großbritannien hatten gesagt, sie würden unmittelbar Waffenverkäufe an Indonesien suspendieren. Bei den USA handelte es sich dabei um eine Größenordnung von etwa 100 Millionen Dollar.

Die EU plant nun ein Treffen, um ein Waffenembargo und Handelssanktionen gegen Indonesien zu beraten. IWF und Weltbank drohten mit der Einstellung weiterer Kreditzahlungen.

Zustimmung zur Beteiligung an einer internationalen Truppe für Ost-Timor haben mittlerweile Malaysia, die Philippinen, Thailand und Singapur, Schweden, Frankreich und einige andere Länder erteilt, unter der Führung von Australien. Die USA werden sich in erster Linie auf logistische Unterstützung beschränken.

Das ist angesichts der guten Kontakte zwischen Pentagon und indonesischem Militär kein Wunder. Nach einem Bericht von Allan Nairn, der in der neuesten Ausgabe der US-Zeitschrift The Nation erscheint, wurde Admiral Dennis Blair, Chef aller US-Truppen im Pazifik, im April - der Milizenterror eskalierte schon - zu Wiranto geschickt. Sein Auftrag: Wiranto zu übermitteln, er solle dafür sorgen, daß die Milizen aufgelöst werden. Statt dessen, so zitiert Nairn ein Kabel des S-Attachés in Jakarta Col. Joseph Davis, erklärte Blair Wiranto, "daß er sich auf die Zeit freue, in der (die Armee) wieder ihre eigentliche Führungsrolle in der Region übernehmen wird. Er lud General Wiranto als seinen Gast im Zusammenhang mit der nächsten Runde bilateraler Verteidigungsdiskussionen im zeitlichen Rahmen von Juli bis August 1999 nach Hawai ein. (...) Er erwartet die Genehmigung für die Entsendung eines kleinen Teams, um Polizei und (...) ausgewähltem TNI-Personal technische Hilfestellung bei Kontrollmaßnahmen gegen Massenaufläufe zu geben." Die Auflösung der Milizen habe Blair nicht angesprochen. Wiranto sei nach Angaben von indonesischen Offizieren hocherfreut über das Treffen gewesen, das er als grünes Licht für die Fortführung der Milizoperationen wertete.

Nachdem Ost-Timor weitgehend entvölkert wurde, ist nun fraglich, wann die internationalen Truppen dorthin gelangen sollen. Der australische Verteidigungsminister John Moore geht davon aus, daß erste Militär-Kontingente bereits Ende dieser oder Anfang nächster Woche in Ost-Timor eingesetzt werden könnten. Unter der Überschrift "Ost-Timor, ein 'logistischer Alptraum' für Blauhelme" vermeldete die Nachrichtenagentur AP am Sonntag: "Zu den gefährlichsten Aufgaben der Friedenstruppe zählt wohl die Entwaffnung der zahlreichen pro-indonesischen Milizen und der vielen separatistischen Untergrundkämpfer".