Mobilmachung in Tschetschenien

Plansoll übererfüllt

Scheinbar unaufhaltsam weitet sich der Krieg zwischen russischen Truppen und islamistischen Insurgenten im Nordkaukasus aus. In Dagestan haben die russischen Truppen des Innen- und Verteidigungsministeriums nunmehr trouble an zwei Fronten: im westlichen Distrikt Novolaksk nahe der administrativen Grenze zu der abtrünnigen Republik Tschetschenien und im Zentrum Dagestans nahe der Hauptstadt Maschkala. Zwei Wochen zuvor hatte die russische Regierung noch verkündet, einen tschetschenischen Überfall auf Dagestan abgeschmettert zu haben.

Zu allem Überfluß rief Tschetscheniens Pseudo-Staatschef Aslan Maschadow am Samstag den Ausnahmezustand aus und kündigte eine allgemeine Mobilmachung an; zur Verteidigung des "Vaterlands" sollten die Tschetschenen die Waffen aufnehmen, jedes Dorf müsse in eine Festung verwandelt werden. Er sei dazu wegen wachsender Spannungen mit Moskau gezwungen; russische Kampfflugzeuge hätten eine Reihe von Bombenangriffen auf angebliche Rückzugsstellungen in Tschetschenien ausgeführt, die die in Dagestan kämpfenden islamistischen Rebellen nutzten. Die russischen Behörden wiesen die Vorwürfe Maschadows zurück, sie hätten tschetschenische Zivilisten bombardiert. "Wir können sagen, daß der Krieg in Tschetschenien schon begonnen hat", sagte Maschadow auf einer Pressekonferenz in der tschetschenischen Hauptstadt Grosny.

Moskau beschuldigt Grosny, den Rebellen zu erlauben, Tschetschenien als Basis für ihre Attacken in Dagestan zu nutzen. Maschadow hingegen besteht darauf, keine Kontrolle über die Rebellen zu haben, die unter seinem ehemaligen Kampfgefährten, dem Warlord Schamil Bassajew, und dem Jordanier Khattab für einen Islamistenstaat in Dagestan kämpfen.

Die islamistischen Rebellen waren am 7. August in Dagestan eingefallen und hatten sich am 24. August nach zwei Wochen schwerer Kämpfe zunächst nach Tschetschenien zurückgezogen. Am vorvergangenen Samstag kam es in der zweitgrößten dagestanischen Stadt Buinaksk zu einem schweren Autobombenanschlag auf ein Wohnhaus, in dem russische Soldaten mit ihren Familien wohnten. Mehr als 60 Menschen kamen dabei ums Leben. Einige Stunden später erfolgte die nächste Rebelleninvasion in Dagestan - diesmal rund 2 000 Guerillas, die die russischen Truppen überraschten und einige dagestanische Dörfer einnahmen. Der russische Präsident Boris Jelzin kritisierte seine Militärs wegen "Nachlässigkeit", die Kämpfe aber gingen unvermindert weiter. Am Wochenende wurde ein russischer Kampfhubschrauber von den Rebellen abgeschossen, nach offiziellen Angaben des russischen Innenministeriums vom Wochenende wurden bislang 157 russische Soldaten getötet und 645 verwundet.

Nun wächst die Kritik an Jelzin und Co. In der Washington Post wurde angeführt, der Konflikt unterstreiche die Schwäche des russischen Zentralstaats, der die Kontrolle über die weitverstreuten Regionen nicht aufrechterhalten könne. Zudem habe Jelzin versäumt, sich mit Maschadow zu treffen. Ein solches Treffen wurde viele Monate lang angekündigt, hat aber nie stattgefunden. Nur in Kooperation hätten sie Bassajew widerstehen können, zitiert die Zeitung Emil Pain, Direktor eines Zentrums für ethnopolitische regionale Studien, der einst als Tschetschenien-Berater für Jelzin tätig war. Nun sehe es so aus, als ob Maschadow die Kontrolle verliere.

Mitte vergangener Woche flog zudem noch in Moskau selbst ein Wohnhaus in die Luft. Mehr als neunzig Tote wurden bis zum Wochenende gezählt, russische Behörden vermuten einen Anschlag der islamistischen Rebellen, was diese aber bestreiten. Mittlerweile hat sogar das FBI Moskau seine Hilfe gegen den "internationalen Terrorismus" angeboten. Unter anderem will es dabei helfen, Websites der islamischen Militanten, die in Dagestan kämpfen, zu eliminieren. Angeblich soll der islamistische Oberschurke Ussama Bin Laden den Rebellen in Dagestan finanzielle Unterstützung gewähren. Das sagte zumindest der russische Innenminister Wladimir Ruschailow in einem Telefonat mit FBI-Chef Louis Freeh; Millionen Dollars würden zu diesem Zweck durch europäische Banken geschleust.

Die FBI-Hilfe entbehrt nicht der Ironie. Die USA hatten die islamischen Gotteskrieger in Afghanistan in den achtziger Jahren aufgebaut, um die Sowjetunion zu schwächen. Das Plansoll ist mittlerweile übererfüllt. Nun ist es Rußlands Schwäche, die dem Westen Angst einflößt.