Dritter Weg rechts

Die Grundwertekommission der SPD liefert lediglich den Gegentext zur unaufhaltsamen Modernisierung der Partei.

Ein Frühwarnsystem soll es richten. Nach der Serie von Wahlniederlagen demonstrierte die SPD-Spitze letzte Woche Geschlossenheit: Mit der Einrichtung eines hochrangig besetzen Gremiums, bestehend aus dem designierten Generalsekretär Franz Müntefering, Fraktionschef Peter Struck, Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier und dem parlamentarischen Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Wilhelm Schmidt, will Parteichef Gerhard Schröder dafür sorgen, daß der SPD die Wähler künftig nicht mehr in Scharen davonlaufen.

Die Genossen stehen zusammen. Der nach dem Abgang Oskar Lafontaines prominenteste parteiinterne Kritiker des Blair-Schröder-Papiers und des rot-grünen Sparkurses, Reinhard Klimmt, wird trotz der Proteste des rechten Parteiflügels Verkehrsminister im Schröder-Kabinett. Der Kritik der Parteilinken, Schröder könne nicht nur Kritiker in die Regierung integrieren, sondern müsse sich um neue Inhalte kümmern, trägt der Kanzler mit dem Versprechen lockerer Gesprächsrunden Rechnung. Durch den Umbau der Parteiorganisation und der Rückkehr von Müntefering in die Parteizentrale soll die SPD wieder kampagnenfähig werden.

Mit Hilfe der autoritären Rezepte des Chef-Architekten von New Labour, Peter Mandelson: "Die Wähler sind vernünftig und realistisch im Hinblick auf die sich verändernde Welt. Sie wissen, daß Reformen nötig sind. Was sie allerdings von ihren politischen Führern wollen, ist eine klare und feste Sicht der Dinge, Entschiedenheit in der Verfolgung ihrer Ziele, Einigkeit und Disziplin. All das ist wesentlich für eine radikal reformierende Regierung wie die rot-grüne Koalition in Deutschland."

So gehört zur Formierung der "neuen" Sozialdemokratie eben auch, daß die Inhalte und Ziele des Blair-Schröder-Papiers abgeschwächt werden müssen. Diese Aufgabe besorgt innerhalb der SPD die Grundwertekommission mit ihrer Positionsbestimmung "Dritte Wege - Neue Mitte". Ergebnis: Den einen Dritten Weg, der die Sozialdemokratie in das nächste Jahrhundert führt, gibt es nicht. Sowenig aussagekräftig die Begriffe "Modernisten" und "Traditionalisten" seien, so wenig hilfreich sei es, mehr Markt automatisch als positiv und mehr Staat als negativ zu begreifen. Doch die Grundwertekommission macht der Parteibasis Hoffnung: Das Herz und die Seele der Sozialdemokratie würden nicht der Logik des Shareholder-value unterworfen.

Aus den Positionen der Grundwertekommission ergibt sich zwar, daß die SPD weiter modernisiert werden wird, allerdings nicht ganz so radikal wie New Labour. Fast schon zwangsläufig führe soziale Gerechtigkeit im Zeitalter der Globalisierung zu einem "Modernisierungsprogramm". Doch während sich in den ersten Nachkriegsjahrzehnten durch sozialstaatliche Transfers noch gesamtgesellschaftliche Umverteilungen vornehmen ließen, genügt heute der "trickle down effect" einer prosperierenden Ökonomie nicht, um auch die unteren Schichten am gesellschaftlichen Wohlstand angemessen zu beteiligen. Weitaus dramatischer wird es, wenn die Logik der Kapitalakkumulation erst einmal nicht mehr zu einer prosperierenden Ökonomie führt.

Oder, wie es der italienische Marxist Antonio Gramsci mit einem heimischen Sprichwort erklärt hat: "Wenn ein Pferd scheißt, essen hundert Spatzen zu Mittag." Um im Bilde zu bleiben: Man mag das Pferd mit noch soviel Heu und Hafer füttern (Subventionen, Steuersenkung für die Reichen), die Pferdeäpfel der Kapitalakkumulation und des Wirtschaftswachstums sind karg, und es sind zu viele Spatzen auf den Abfall vom gesellschaftlichen Reichtum angewiesen.

Aus diesem Dilemma wollen die Modernisierer der deutschen Sozialdemokratie einen Ausweg finden, die Grundwertekommission hält den Verfechtern eines reinen New Labour-Konzeptes deshalb zu Recht entgegen: "Arbeit und nicht sozialstaatliche Ersatzleistungen werden als der einzige erfolgversprechende Weg aus Armut und gesellschaftlicher Exklusion gesehen.

Dieser Zugang soll aber nicht primär über klassische staatlich finanzierte Beschäftigungsprogramme und nicht über nachfrageorientiertes Defcit spending auf der makroökonomischen, sondern auf der mikroökonomischen, d.h. individuellen Ebene der employability (Beschäftigungsfähigkeit) jedes einzelnen ermöglicht werden."

Näher an den Vorstellungen der Grundwertekommission als New Labour dürften deshalb die französischen Sozialisten mit ihren etatistischen und neo- oder eurokeynesianischen Ansätzen liegen: Sie "setzen auf die Verteidigung des Wohlfahrtsstaats mit besonderer Stützung der unteren Schichten; sie setzen auf eine aktive Arbeitsmarktpolitik anstelle blinden Vertrauens auf arbeitsplatzschaffende private Investitionen durch die steuerliche Entlastung der Investoren", schreibt die Grundwertekommission. Nimmt man den Rückzug von Lafontaine und der neokeynesianischen Wirtschafts- und Finanzpolitiker ernst, dann ist klar: Mit dem französischen Projekt hat die Schröder-SPD nichts am Hut, die deutsche Sozialdemokratie ist längst auf dem durch New Labour patentierten Dritten Weg.

Diese Sozialdemokratie lehnt eine entschiedene Interessenvertretung des unteren Drittels oder der an den Rand der Gesellschaft gedrängten Schichten ab. "Die SPD braucht gesellschaftspolitische Verhandlungsmacht. Die erreicht sie nur, wenn sie mit ihrem Politikkonzept auch und gerade diejenigen anspricht, die in dieser Gesellschaft das Sagen haben oder von der Entwicklung profitieren. Sie muß in ihrer Strategie die Interessen der Rationalisierungsgewinner und die der Rationalisierungsverlierer bündeln können." (Gerhard Schröder)

Wenn Rot-Grün aber dem Unternehmerlager und dem oberen Drittel der sozialen Schichten verteilungspolitisch entgegenkommt - wie sich schon jetzt abzeichnet -, dann wird sie dem mittleren Drittel erst recht keine Entlastung verschaffen. Subventionierung von Billigjobs auf der einen und weitere Entlastung der Kapitaleinkommen auf der anderen Seite sind die Mittel, mit denen die Neue Sozialdemokratie die Arbeitslosigkeit bekämpfen will. Das mag modern klingen, nur läßt sich damit weder eine wirksame Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen des unteren Drittels der Gesellschaft erreichen noch eine Besserstellung der Neuen Mitte. Weder in Sachen Wirtschaftswachstum noch mit Blick auf eine "Integration der Unterklassen" hat diese auf eine Politik des Arbeitszwangs hinauslaufende Konzeption eine Zukunft

Daß sie die aufgehäuften und sich weiter verschärfenden Konflikte der modernen Klassengesellschaft beseitigen kann, darf bezweifelt werden. Wenn die Modernisierung der Sozialdemokratie dennoch gute Realisierungschancen hat, so hängt das nicht nur mit der Macht- und Medienkonzentration zusammen, die dem Regierungschef und SPD-Vorsitzenden zur Verfügung steht, sondern auch mit dem Zustand, in dem sich eine demoralisierte Alt- wie Neulinke innerhalb und außerhalb der Partei befindet.

Joachim Bischoff ist Redakteur der Monatszeitschrift Sozialismus in Hamburg. Sein neues Buch "Der Kapitalismus des 21. Jahrhunderts. Systemkrise oder Rückkehr zur Prosperität?" ist soeben bei VSA in Hamburg erschienen.