Kreuzberg - neu gemischt

Gefährliche Orte LXXIII: Die frühere Brauerei am Viktoriapark wird zum Luxusquartier

"Wir haben Kreuzberg mit unserer Idee zum Kulturstandort gemacht", verkündet Dieter Göbel stolz. Der toughe Mittvierziger kommt aus München und ist Vertriebsleiter der 1996 gegründeten Realprojekt Bau und Boden AG. Mit "wir" meint er die Viktoria Quartier Entwicklungsgesellschaft, an der zu je einem Drittel die Bau und Boden, die Viterra Baupartner (ein Tochterunternehmen des Veba-Konzerns) und die zur Deutschen Bank gehörende Deutsche Grundbesitz Management beteiligt sind.

Und was sich hinter "unserer Idee" verbirgt, verrät ein Zeitungsinserat: "In der ehemaligen Schultheiss-Brauerei am Viktoriapark entsteht eine urbane Idylle in der Stadt für Wohnen, Arbeiten und Kultur. Nach den Plänen eines internationalen Teams von renommierten Architekten und Künstlern werden erhaltenswerte Gebäude behutsam renoviert und mit zeitgenössischer Architektur ergänzt."

Besagte Idylle - die nichts weiter sein könnte als die im Kundenprospekt beschworene "typische Kreuzberger Mischung aus Wohnen, Arbeiten und Freizeit" - realisieren als Generalauftragnehmer die Baugiganten Hochtief und Philipp Holzmann nach dem Masterplan des Stararchitekten Frederick Fisher aus dem kalifornischen Santa Monica. Wer sonst käme für ein solches - immerhin 300 Millionen Mark schweres - Investitionsprojekt in Frage?

Mit einer Größe von 5,5 Hektar ist das verplante Areal nur wenig kleiner als das am Potsdamer Platz. Mitte 1997 erwarb die Viktoria Quartier Entwicklungsgesellschaft die unter Denkmalschutz stehende Brache an der Methfesslstraße, in der früher Bier gebraut wurde, von der Brau und Brunnen AG. Nach fertigem Umbau sollen 300 000 Besucher jährlich hier ein Landesmuseum für moderne Kunst, Fotografie und Architektur erleben - mit der Berlinischen Galerie als Hauptobjekt des Komplexes. Sie befand sich zwar schon vorher auf dem Gelände, darf nach dem Wiedereinzug aber freilich mehr Besucher erwarten.

Das behauptet zumindest Göbel. Er und seine von ihm wie ein Hund herumkommandierte Mitarbeiterin Claudia Ziegelmayer wollen schließlich etwas verkaufen. 23 interessierte Teilnehmer haben sich eingefunden zu der Führung durch das Gelände mit den neogotischen Backsteinfassaden und den imposanten Gebäuden der einstigen Brauerei am Fuße des Schinkelschen Nationaldenkmals an die deutschen Befreiungskrieger. Arrangiert hat das Ganze die "Gesellschaft für Hauptstadtmarketing": die Partner für Berlin.

Bloß mieten, det is hier aba nich! Häuser und Wohnungen stehen zum Verkauf, und Göbel preist sie an wie Braunbier. Muß er auch, denn es sind keine gewöhnlichen Immobilien für gewöhnliche Leute, sondern luxuriöse Lofts und dreistöckige Einfamilienhäuser. Dazu bedarf es guter Verkaufspsychologie angesichts der auswärtigen Interessenten, die zwar Angst vor dem Kreuzberger Randalemythos, aber das nötige Kleingeld für Quadratmeterpreise ab 3 090 Mark aufwärts haben. 1 300 von ihnen sollen ab Januar 2002 hier leben.

Auf einem schicken Gelände mit Geschichte: Mit der Einweihung des Nationaldenkmals wurde den Berlinern 1821 ein neues Ausflugsziel geschenkt. Acht Jahre später eröffneten die Gebrüder Gericke am Hügel den Biergarten Tivoli als "Vergnügungsort für die gebildeten Stände". Ab 1857 brauten sie praktischerweise ihr eigenes Bier, bis die Berliner Brauereigesellschaft Tivoli 1891 von der kleineren Schultheiss Brauerei Actien-Gesellschaft feindlich übernommen wurde. "Die Geschichte des unaufhaltsamen Aufstiegs der Schultheiss AG führte nur über einen Sieg am Kreuzberg", wie die "Kreuzberger Chronik" weiß. "Das Unternehmen wurde zur größten Brauerei Deutschlands."

Und dabei blieb es: Die Nazis erklärten die Schultheiss AG zum "Wehrwirtschaftsbetrieb" und führten ihm 1943 billige polnische "Fremdarbeiter" zu. Durch eine Fusion mit der Dortmunder Union AG im Jahre 1972 entstand der größte deutsche Getränkekonzern, die Brau und Brunnen AG. Mit der Maueröffnung konnte das Unternehmen seinen früheren Absatzmarkt im Berliner Umland wieder zurückerobern, die Produktion verdoppelte sich innerhalb von zwei Jahren. 1993 gab die Brau und Brunnen aber den Brauereistandort Berlin auf, nicht ohne hiesige Saufgelage mit den Marken Schultheiss, Berliner Pilsner, Engelhardt und Jever sowie etwa 3 500 belieferten Kneipen weiterhin zu dominieren.

Um nun das ehemalige Brauereigelände in Einzelstückchen loszuwerden, muß Göbel sich ganz schön ins Zeug werfen. Er trägt entsprechend auf: Ab 80 Quadratmeter Wohnfläche gibt es ein Gäste-WC und garantiert zweieinhalb Zentimenter starkes Parkett. Und nach Prospekt natürlich alle denkbaren "privaten Dienste", "Business-Dienste" und "Haus-Dienste". Hinzu kommt eine Tiefgarage mit 350 Anwohner- und ebensovielen öffentlichen Parkplätzen. Und einen Shop-im-Shop-Supermarkt, ein Ärztehaus mit Fitness- und Wellness-Bereich sowie angeschlossenem Hotel mit etwa 100 Betten, schicken Restaurants, Atrien, Wasser- und Lichtspielen und einer vor Kreativität nur so strotzenden Atmosphäre.

Selbstverständlich werden nirgendwo im Luxusquartier Schmiede oder Motorradschlosser ruhestörend werkeln, Bäcker zur Unzeit backen oder gar Bildhauer auf Granit herumhämmern. Nein! Gut verdienende Freiberufler - Werbeagenten, Architekten, Designer, Filmleute, Journalisten und möglichst ruhige Künstler, aber auch ganz normale Wohlhabende wie Siemens-Manager und Beamte annonciert Göbel als Kundenmagneten. Sogar vier Schauspieler haben im Viktoria Quartier angeblich schon Immobiles erworben.

Noch immer gibt es Vorbehalte: "Wie wollen Sie denn den Pöbel draußen halten", fragt ein älterer, von der Nobelfestung beeindruckter, doch ob der Insellage im sozial schwächsten Berliner Bezirk sichtlich besorgter Mann. Göbel erklärt es also schon wieder: "Es gibt abgeschlossene Bereiche und einen privaten Wachdienst." Und die Bewohner der Immobilie gegenüber, die für zwölf Millionen Mark zum Verkauf steht und deren Wert dank der Nähe zum Viktoria Quartier steigen wird, kommen auch noch "irgendwoanders hin". Denn sie sind Asylbewerber. Für einen schöneren Bezirk müssen eben alle ein Opfer bringen.